Textatelier
BLOG vom: 05.11.2006

SIAL Paris: Streifzüge u.a. durch die Mineralwasserwelt

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Um meine Seelenruhe war es geschehen, als ich am letzten Mittwoch, 25. Oktober 2006, den Frühnachrichten entnahm, dass wegen einer Zugsentgleisung beim Waterloo Bahnhof wir den Anschluss an unsere Eurostar-Fahrt nach Paris verpassen könnten. Also nichts wie los, viel früher als geplant. Es hat geklappt. Wir sassen im Zug und entspannten uns nach und nach. 3 Stunden später trafen wir im „Gare du Nord“ (Pariser Nordbahnhof) ein. Rasch rollte ich das Reiseköfferchen über die Strasse ins „Hôtel Nord“, genau gegenüber, und überliess Lily meine Lieblingsstadt.
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SIAL
Ich schlängelte mich durch zum Bahnsteig 43 und erreichte mit dem RER (der Regionalbahn) rund 20 Minuten später die Lebensmittelmesse SIAL = „Salon International de l’Alimentation“ in Villepinte.
 
Dort erlebte ich meinen 2. Ärger des Tages: Das 1. Mal in meinem Leben gelang es mir nicht, übers Pressezentrum in die Messe zu kommen trotz allem Hin und Her und Nachweisen meinerseits, dass ich für die Presse schreibe, meine eigene Beratungsfirma habe usf. Wenn der Pressepass nicht einer Kreditkarte gleicht, ist nichts zu machen. Als Trostpreis erhielt ich immerhin die Presseunterlagen und hatte anschliessend das Vergnügen, 88 Euro als Eintrittspreis hinzublättern.
 
Mineralwasser
So unterlasse ich jede PR zur Messe selbst und beschreibe so kurz als möglich meine berufliche Aufgabe, nämlich die Mineralwasser-Aussteller aufzustöbern. Bekanntlich beherrschen Nestlé, Danone und Coca-Cola den riesigen Weltmarkt für Mineralwasser. Heute sind solche Multis nicht mehr auf den Messen vertreten, die stattdesssen weitgehend die mittelständischen Firmen aus aller Welt anlocken.
 
Eine Mineralwasser-Marke heisst „Jana“ und stammt aus Kroatien. Ich entnahm der Broschüre, dass Kroatien für seine Quellen bekannt sein soll und dass dieser Hersteller diesen Geschäftsbereich weiterhin profitabel ausbauen will. Profitabel fürwahr: Mineralwasser ist ein Bombengeschäft.
 
Auch stiess ich auf ein Mineralwasser aus Rumänien namens „Wonder Spring“ (Wunderquelle). Die Legende will es, das bei Dihor, vermutlich in der Nähe eines Gletschers, einst eine Fee gelebt haben soll. Ihre Aufgabe war es, das Feuer der Liebe zu hüten. Deswegen sollte sie dem Gletscher fernbleiben. Pflichtsäumig aber ging sie zum Gletscher, der von ihrer Liebe beglüht wegschmolz. Und Sie haben es erraten, lieber Leser, liebe Leserin: Seither sprudelt dieses wunderbare Schmelzwasser noch immer …
 
Solche Wunder trifft man nur im Paradies, und dass ein solches auch in Belgien zu finden sei, überraschte mich sehr. „Eau du Paradis“ (Paradieswasser) heisst die Marke.
 
O Wunder, noch einmal eines: ein Mineralwasser aus dem brasilianischen Regenwald. „Brazilian Springs“, heisst es, und die Literatur verkündet, dass dieses Wasser das allerreinste auf der ganzen Welt und erst noch „eco-freundlich“ sei, trotz seines längsten „carbon footprint“. Die Mission dieses Herstellers, erfuhr ich vom Vertreter aus England, ist es löblicherweise, den brasilianischen Urwald zu schützen. Ein Teil des Erlöses werde dafür abgezweigt (10 % des Umsatzes) laut Aussage. Aber was wird aus einem Regenwald, dem laufend Wasser abgezapft wird?
 
Zuletzt ortete ich noch 3 Mineralwasser aus Italien, worunter (O) „Solé“ (mio) in Brescia angesiedelt. Überall erhielt ich Muster, die ich nicht ausschlagen konnte. Meine Tasche hing mir immer schwerer an der Schulter. Lily wird sich freuen!
 
Iran
Am Donnerstag, 26. Oktober 2006, dem letzten Tag der Messe, um die Mittagszeit, wenn die Horden mit grossen Taschen auf die Jagd nach Mustern gehen, fand ich einige Aussteller aus Persien. „Halé shoma“, begrüsste ich den Mann am 1. Stand, denn diesmal war auch ich auf ein Muster des anerkannten Safrans aus diesem Land erpicht. Herr Salimi, aus „Ghods town“ (was ich nicht mit Gottes Stadt übersetzen kann, Golestan Strasse am Farahazad Boulevard) strahlte übers ganze Gesicht, das sich leider rasch verdüsterte, da meine persischen Sprachkenntnisse mehr als mangelhaft sind.
 
Dennoch verdankte er meine Mühe recht grosszügig mit Safran – und ich sagte „cheli merci“ (Dankeschön), verbunden mit einigen ähnlichen Redefloskeln. Safran, das weiss ich, wird Lily ganz besonders freuen – und mich auch, wenn es dem Reis, den sie auf persische Art zubereitet, zugegeben wird.
 
Beim 2. Stand kam es noch besser: Meine Begrüssungsformel wirkte sofort und nachhaltig. Ich wurde aufgefordert, mich zu setzen. Dank der hübschen Übersetzerin aus Teheran konnte ich mich mit dem Inhaber auf Französisch verständigen. „Halva“ heisst die Spezialität, die Herr Amir Hossein Naseri vertreibt – ein zuckersüsses Gebäck mit dem Grundstoff Sesam. Halva kennt und schätzt die ganze Familie. Ich versprach ihm, mein Angebot für den Markteinstieg in England zu unterbreiten. Ein Riesenpaket mit „Halva nature, Halva avec pistache, Halva avec Sésame“ trug ich freudig von dannen ins Hotel zurück.
 
Nebenbei erfuhr ich von der Übersetzerin, dass man in der Islamischen Republik Iran recht „durchkommt“, solange man politischen Zündstoff vermeidet. Sie selbst habe nicht viel für die „Mufti“ übrig, erfuhr ich beiläufig.
 
Innocent Ltd.
Selbst wenn man selektiv vorgeht, ergeht es mir nicht besser als anderen Messebesuchern: Ich habe mit den angehäuften Verkaufsbroschüren viel zu schleppen. Der kleine 4-eckige Prospekt, betitelt „innocent – company rule book“, erfreute mich 1., weil es wenig wog und 2., weil er ansprechend gestaltet war und 3. eigentlich nichts zum Produkt selbst (ein fruchtiges Getränk zur Gesundheitsförderung) aussagte. 8 Lebensregeln, jede zügig illustriert, tragen die Titel: 1 Work hard / Play hard, 2. Always ask an expert, 3. Thou shalt not commit adultery, 4. Have global aspirations, 5. An apple a day …, 6. Don’t believe the hype, 7. Keep your work and emotional life separate, 8. Don’t waste time … Diese Kurztexte genehmigte ich auf der Rückfahrt im Hinblick auf meine Freizeit in Paris.
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Paris: 1. Streifzug
Ich erreichte das Hotel erst kurz vor 7 Uhr abends. Der Tag war ausserordentlich mild: + 20º Celsius. Lily und ich setzten uns auf der Terrasse des „Café Nord“ und planten unseren Abend. Ein Riesenstrom von Passanten zog vor uns vorbei, unterwegs zum Bahnhof oder zurück.
 
Der Bahnhof selbst ist ein Prunkgebäude, dessen Bau 1865 abgeschlossen wurde. Der Architekt hiess Jacques Ignace Hittorff. Unter dem mächtigen Gewölbebogen befindet sich die Haupthalle des Bahnhofs. 14 drapierte Frauenfiguren, der Klassik entlehnt, zieren die Fassade. Jede von ihnen trägt eine Krone. Ganz zuoberst tront „Paris“, damit jedermann weiss, wo er ist. Links und rechts wird sie flankiert von Figuren, die internationale Reisedestinationen vertreten: London, Berlin, Warschau, Amsterdam, Wien und Brüssel. Bescheidenere Figuren sind oberhalb der Säulen des Gewölbebogens aufgestellt und vertreten nationale Städte.
 
Lily war am Nachmittag zu Fuss zu den Galeries Lafayette gepilgert, ebenfalls ein imposantes Gebäude, unweit der Opéra. Ihr jedoch ging es um den Kauf von Hautpflegemitteln von Helena Rubinstein, die in London unauffindbar geworden sind. Auch den Rückweg unternahm sie zu Fuss. Wir waren uns beide einig, unsere Beinmuskeln für den nächsten Tag zu schonen. So nahmen wir das Abendessen recht und schlecht im „Café Nord“ ein. Nachher – wiederum einigermassen auf dem Damm – gab es für uns nichts anderes, als mit der Métro zur Station Saint-Germain-des Prés zu fahren, einfach weil dies unser bevorzugtes Pariser Quartier ist und es dort einen Treffpunkt für uns gibt – am Ende der Rue Mazarine. An der Ecke ist ein Lokal, das, glaube ich, „Baco“ heisst.
 
Kaum sassen wir in der Métro, begann eine junge nordafrikanische Dame nebenan eine Konversation übers Handy, die zuerst recht sanft begann: Coco, du hast mich hintergangen …“ Dem folgte ein Wutausbruch: „Ich werde dir jemand schicken, der dir die Fresse einhaut … und wenn du dann im Spital bist, kommt Gérard, der dich nachbehandelt.“ Auf welche Weise, das beschrieb sie schreiend in ordinärster Sprache. Weder wir noch sonst jemand rührte sich, wie sie diese Tirade von sich gab. Zum Glück verliess sie an der nächsten Station den Wagen. Als der Zug anfuhr, hörten wir sie dem Steig entlang weiter gellend schreien und fluchen, wutentbrannt sich windend wie eine Veitstänzerin.
 
Die Franzosen lassen ihre Zunge leicht gehen: „Ils aiment s’engueuler“ (sie schnauzen sich gerne an) über den geringsten „Hafenkäs". Solch ein Unwetter ist meistens kurz und verfliegt rasch und wird sofort mit einer Umarmung vergessen. Aber dieses?
 
Von der Métro Station St-Germain brauchten wir unsere Füsse nicht zu strapazieren. Gemächlich schlenderten wir und hielten da und dort vor den vielen Boutiques, welche die Strassen säumten. Viele der Geschäfte sind alteingesessen. Lily hielt bei den Modegeschäften inne, ich bei den Antiquitätenhandlungen. Ja, der Laden, auf Art Nouveau Lithographien spezialisiert, worunter berühmte Plakate von Henri de Toulouse-Lautrec und Jules Chéret, stand immer noch am rechten Fleck. Oft habe ich ihn besucht, um mich zu informieren und besonders die Lithographien von der heute sehr begehrten Serie „Les Maîtres de l’Affiche“ zu bewundern. Es versteht sich, dass ich dort nichts kaufe. Die Preise sind viel zu hoch. Viel lieber sichere ich mir Fundstücke anderswo, etwa auf dem Marché aux Puces (Métro: Pte. Clignancourt). Leider musste ich diesmal auf diesen Flohmarkt verzichten, denn wir fuhren schon am Freitag um die Mittagszeit nach London zurück.
 
Wir gewannen also unser Sitzleder draussen vor dem „Baco“. Der Verkehr war wie lahmgelegt, doch dieses Lokal war dicht besetzt von Leuten, die wie wir, den lauen Abend genossen – bis knapp vor Mitternacht.
 
Paris: 2. Streifzug – „Les violons parfois …“
Damit ist nicht der Bestseller von Françoise Sagan, sondern meine Violine gemeint. Vor 2 Wochen habe ich eine Dummheit begangen, als ich die zerissene A-Saite zum 2. Male wieder behelfsmässig reparieren und einflechten wollte. Ich hatte sie heraus gespult und stellte fest, dass es oben noch genug Saitenlänge gab, die … Nun will ich mein arg missglücktes Vorhaben nicht weiter schildern, ausser dass mir dabei der Steg, der die Saiten in der Mitte der Violine hoch hält, auseinanderbarst. Die beiden Bruchstücke trug ich in der Tasche. Vielleicht findet sich im Verlauf des Donnerstagnachmittags ausreichend Zeit, einen neuen Steg bei einem Geigenhändler zu kaufen.
 
Palais Royal
So gut wie St-Germain gehört es sich jedes Mal, wenn ich allein oder mit Lily in Paris bin, einen Besuch des Palais Royal ins Programm einzubauen. Unser Streifzug begann auf der Rive Gauche bei den Bouquinistes (Buchhändler entlang der Seine-Ufer). Über die Fussgängerbrücke ging es weiter zum Louvre (einstiger Königspalast, heute Museum), den wir vorübergehend diesmal nur von Aussen und nicht von Innen betrachteten, denn der Palais Royal drängte sich an diesem sonnigen Nachmittag vor. Der angenehmste Weg zum Palais, wenigstens für mich, ist durch den Louvre des Antiquaires. Weder auf diese Antiquitäten-Galerie noch auf die Geschichte des stattlichen Palais Royal will ich hier eingehen.
 
Der Innenhof des Palais ist weit gestreckt. Ringsum sind Läden, die Seltenheitswerte haben, eingenistet. Wer ausgefallene Knöpfe und Seidenbänder braucht oder Ehrenmedaillen sammelt, der muss dort nicht lange suchen. Der eigentliche Innenhof, ein Garten von Platanen wie eine Ehrengarde flankiert und mit einem Springbrunnen in der Mitte, ist eine Oase für Kinder, Eltern und für Leute, die sich eine Verschnaufpause gönnen. Auf den Bänken sitzt gar mancher Leser, in ein Buch vertieft.
 
In einem kleineren Innengarten setzten wir uns gleich neben eine Marmorfigur, worauf eine Taube gelandet war und ihre Federn putzte. Zwei kleine Mädchen, fast sonntäglich gekleidet, spielten „Cache-Cache“ (Versteckspiel) und glichen dabei den „filles sages“ (braven Mädchen), wie um die Jahrhundertwende (1900) farbig vom Kinderbuchillustrator Maurice Boutet de Monvel geschmückt.
 
Eine Schar von frechen Spatzen trieben viel Klamauk auf dem gestutzten Heckengebüsch neben einer Frau ungewissen Alters. Sie hatte einen alten Laib Brot aufgeschnitten und den Spatzen vorgelegt. Diese waren keineswegs scheu, und die Nähe der Frau störte sie keineswegs. Es schien, dass sie sich an ihre Wohltäterin gewöhnt hatten. Auf dem Rasen unterhalb stritten Tauben um die Brosamen, die von oben den Spatzen in ihrem eifrigen Kampf ums Brot entfallen waren. Einige andere ältere Leute sassen, sich am Spektakel erfreuend, neben der Frau. Die spielenden Mädchen in ihrer Nähe mochte die Dame nicht leiden, da sie die Spatzen aufscheuchen könnten. Immer wieder verscheuchte sie die Kinder. Na ja, was kann man sagen: Sie hatte die Vögel ungleich lieber als artig spielende Kinder … Zwei Spanierinnen hielten gebannt inne und schauten zu, wie die Spatzen ums Brot balgten. „Bitte“, wandte sich eine schliesslich an die Frau, „dürfen wir ein Foto machen?“ Gnädig lächelnd nickte sie und drehte sich der Kamera zu. Das nenne ich eine „photo opportunity“!
*
Ich schaute auf die Uhr. Die Zeit für meine Geige war gekommen. Wir erreichten bald den Boulevard des Italiens. Zuvor, beim Odéon in St-Germain, hatte ich ein junge Frau, die eine Violine trug, angehalten. Willig gab sie mir Auskunft: „Vous trouverez ça“ (Violinbrücke und neue Saiten): im Pigalle. Den Weg dorthin kannte ich: immer aufwärts Richtung Montmartre. Aber auf welche Strasse finde ich das, was ich brauchte? Beim Kiosk erhielt ich Auskunft. „Das Quartier des luthiers (Lauten- und Instrumentenhändler) finden Sie, wenn Sie dort drüben die Strasse zur Kirche hochgehen“, wies uns der Befragte die Richtung. „Dort müssen Sie nochmals fragen.“ Endlich dort angelangt, fragten wir mehrmals Polizisten, um die rechte Strasse zu erwischen. Wir fanden sie schliesslich, doch gab es dort nichts ausser Gitarrenläden. Wir fragten weiter und wurden schliesslich fündig. „Sie finden die Violingeschäfte entlang der Rue de Rome”, klärte uns ein Gitarrenhändler auf. „Gehen Sie Richtung Clichy“, riet er uns noch. Inzwischen war es schon 5 Uhr geworden. Wir mussten uns sputen.
 
Lily war inzwischen vom langen Spaziergang „bergan“ erschöpft und ich ebenfalls. „So nehmen wir am besten ein Taxi“, schlug ich vor, um unsere Lebensgeister wieder zu erwecken. Aber weder Taxi noch Taxihaltestelle waren in Sicht. „Da kommt eines“, spurtete ich zur Kreuzung los, Lily weit hinter mir zurücklassend. Bei der Ampel erwischte ich es. „Ich mache jetzt Feierabend“, sagte der Fahrer, „aber wohin wollen Sie denn?“ Zum Glück lag die Rue de Rome auf seinem Heimweg. Als Lily das Taxi erreichte, war ein Hupkonzert hinter uns im Gang. „Immerhin halten Sie die Spitze“, grinste ich, als wir endlich weiterfuhren.
 
Die Auskunft der Violinistin stimmte, wir waren mitten im Pigalle. Der Verkehr war dicht. Unterwegs hörte ich leise Musik aus seinem Radio, obendrein Klassische, etwas aus den Vier Jahreszeiten von Vivaldi. Ein gutes Omen, dachte ich. Diese Musik komme meiner Absicht sehr gelegen, sagte ich, und erklärte ihm warum. Er drehte den Knopf des Radios auf. „Ich höre mir immer klassische Musik an“, meinte der Chauffeur, „das entspannt mich im Verkehrsgewühl.“
 
Endlich bog er in die Rue de Rome ein und setzte uns vor einem Violinladen ab. Ich erkundigte mich nach dem Fahrpreis. „Geben Sie mir, was Sie wollen“, schlug er vor, „da ich sowieso auf dem Heimweg bin.“ Ich reichte ihm eine 50-Euro-Note: „Nehmen Sie was sie wollen, nur nicht alles“, schlug ich vor. 40 Euros gab er mir zurück. „Nein wirklich nicht mehr, das genügt“, versicherte er. So wünschte ich ihm eine gute Heimfahrt und ein tolles Abendessen.
 
Wir betraten das Geschäft. „Nein, so einfach geht es nicht“, sagte der Ladeninhaber, eher kurz angebunden, „Sie müssen die Violine mitbringen, denn der Steg muss aufs Instrument angepasst werden.“ Ich wusste nicht, dass ein Steg nicht von der Stange, sondern massgeschneidert angefertigt werden muss. „Und kleben?“ fragte ich kleinlaut. Er schüttelte den Kopf: „Das vermindert die Vibration.“ Nun bin ich für meine eigenen Vibrationen keineswegs berühmt. Auf etwas mehr oder weniger käme es mir nicht an.
 
Ein bisschen weiter unten fand ich ein bescheidenes Geschäft, vielmehr ein Atelier. Das Haus trug die gleiche Nummer, wie unser Haus in London: Nummer 27, und über dem Atelier stand angeschlagen „Luthier et Archetier“ (Archetier = Bogenmacher). Ich fasste wieder Mut. Der Geigenmann war damit beschäftigt, den Violinbogen für eine Studentin zu flicken und umwickelte mit schwarzem Leder das Ende des Bogens. An der Wand hing eine Reihe von Stegen, mehr als ich jemals überqueren werde. Wie er sich mir zuwandte, deutete Lily auf die andere Strassenseite. „Ich warte dort auf dich.“ Wirklich, sie musste sich von den Strapazen etwas erholen. Also denn erklärte ich dem Geigenfachmann mein Problem. Leider wusste auch er keinen besseren Rat als der mürrische Kerl zuvor. Immerhin erklärte er mir, warum es nicht so einfach gehe und legte einen Steg auf meinen. Das müsse sorgfältig auf die gerundete Fläche des Instruments zugeschnitten werden, und ohne Ihre Violine gehe das nicht. Könne er nicht wenigstens die beiden Teile zusammen kleben, um mir wenigstens vorübergehend aus der Patsche zu helfen. „À la rigueur“ (allenfalls), gab er zögernd nach.
 
Als Dank für sein Entgegenkommen kaufte ich einen ganzen Satz meiner bevorzugten „Pirastro“-Saiten, Untermarke „Tonica“. Schliesslich hatte er mir ein Tonikum verabreicht. Diese Saiten stammen aus Deutschland und bürgen für Qualität, bis einer wie ich kommt und damit pfuscht. Darunter steht noch handschriftlich aufgedruckt: „I’m So Happy I Can’t Stop Playing!“ Wenn das nur wahr wäre… Nachsatz: Übers letzte Wochenende habe ich die A-Saite äusserst sorgfältig und stufenweise hoch gestimmt. Heute geht es darum, mit der Stimmgabel das Instrument fein zu stimmen. Ich halte mir den Daumen, auf dass der Steg den Druck aushält.
 
Restaurant des Beaux Arts
Nachdem ich meinen Capuccino im Café auf der anderen Seite ausgetrunken hatte, ging es weiter, diesmal abwärts Richtung Opéra. Es war kurz vor Ladenschluss, und wir mussten uns durchs Gewimmel der Passanten schlängeln. Das Gute an Paris ist, dass man bei der „Talfahrt“ Richtung Seine den Weg nicht so leicht verliert. Rund um die Opéra waren viele Touristen. Etliche hatten sich auf den Stufen zum Opéra-Eingang niedergelassen. Das herrliche Gebäude, auf das die Pariser stolz sind, war aufgefrischt. Die Vergoldungen glänzten und wurden von den Scheinwerfern angestrahlt. Wie schon oft zuvor, stand ich ein Weilchen vor dem tanzenden Bacchanten-Reigen (als „La Danse“ bekannt), von Jean-Baptiste Carpeaux (1827−1875) geschaffen. Einzigartig, wie es Carpeaux gelang, diese Marmorgruppe zu beleben – eine wahre Augenweide.
 
Um diese Zeit wusste ich nicht um die Bewandtnis mit dem Restaurant des Beaux Arts. Lily und ich bogen zum 2. Male in den Boulevard des Italiens ein, in der Hoffnung, ein angenehmes Restaurant zur Krönung unseres kurzen Aufenthalts in Paris zu finden. Nein, das hätte ich besser wissen müssen: Hier gibt es nur Restaurants für Touristen.
 
Also weiter, wiederum Richtung Palais Royal. Ich erinnerte mich an ein Restaurant. Leider hatte es dort keinen Platz mehr, und eine Stunde auf einen leeren Tisch zu harren, damit war mein Magen ganz und gar nicht einverstanden.
 
Bei der Métro-Station Bourse (Börse) fuhren wir, anders konnte es nicht sein, wieder zur linken Seite der Seine und stiegen beim Odéon aus. Wir suchten und fanden schliesslich ein vielversprechendes, einfaches und doch gediegenes Restaurant ganz in der Nähe unseres bevorzugten Treffpunkts „Baco“ an der Rue Mazarine. Ein Ecktisch war wie für uns im Restaurant des Beaux Arts reserviert. Wir hatten gut gewählt: mehr Franzosen als Touristen herrschten vor. Der Kellner kam mit einer grossen schwarzen Tafel, worauf die Menüs in Kreide aufgeschrieben waren. Wir waren etwas unschlüssig. „Hier essen Sie ausgezeichnete traditionelle Küche”, meldete sich unser Nachbar mit seiner Frau am Tisch nebenan. Gerne liessen wir uns von ihm und seiner Frau beraten. Lily und ich wählten auf die Empfehlung seiner Frau „Veau aux abricots avec pommes purées“. Das habe sie selbst gewählt. Wir warfen einen Blick auf ihren Teller und waren sofort überzeugt. Die Schnecken aus der Bretagne sind ebenfalls nicht zu verachten …“, meldete sich ihr Gemahl. Ich habe Schnecken in Knoblauchsauce sehr gerne. Wer dies nicht mag, aus allerlei triftigen Gründen, braucht mir ja nicht auf den Teller zu schauen.”
 
Das Paar, etwa gleich alt wie wir, stammt wirklich aus der Bretagne und besucht regelmässig Paris für Ausstellungen, gutes Essen, Abwechslung und schätzt und geniesst besonders die Ambiance in St-Germain. Nicht nur hatten sie viele der auch von uns geschätzten Länder und Städte besucht, was uns eine ausgezeichnete Grundlage fürs Gespräch über den Tisch hinweg bot. Auch die Themen Literatur und „Beaux Arts“ bereicherten unseren Gesprächsstoff. Selbst die Politik wurde am Tellerrand gestreift. Etwas erstaunt vernahm ich, dass Tony Blair ein hohes Ansehen in Frankreich geniesse. Sachte vertrat ich und begründete meine andersseitige Meinung und schlug vor, dass wir vielleicht am besten Blair gegen Chirac tauschen sollten.
 
Wie wir gar munter und heiter miteinander plauderten, kam der Kellner und fragte uns, wie uns die Mahlzeit schmecke. Wir lobten „Les Beaux Arts“ sehr und fühlten uns wie Franzosen aufgenommen.
 
Es ging schon gegen Mitternacht, als sich das Paar von uns verabschiedete und Lily und ich uns noch einen Schlaftrunk natürlich im „Baco“ genehmigten. Ohne es zu merken, wechselten weder Lily noch ich nicht ins Englische über, sondern plauderten wie am Anfang unserer Bekanntschaft auf Französisch weiter.
 
Paris: 3. und letzter Streifzug vorderhand
Gerne hätte ich noch etwas länger beim gestrigen Gespräch im „Les Beaux Art“ verweilt – und damit den Rahmen meines Blogs gesprengt. Es verblieb uns leider bloss noch ein Morgen, um uns ein bisschen in der unmittelbaren Umgebung des Gare du Nord umzusehen. Ich wusste von früheren Besuchen her, dass dort geradewegs nebenan der Rue Maubeuge ein Quartier versteckt ist, das den Liebreiz von Pariser Quartieren preisgibt: voller unabhängiger Delikatessenläden, dazwischen ein Buchbinder, einige Trödlerläden („Brocantes“), Chocolatiers usf. Wir begegneten dort vielen Leuten, die ihre Hündchen spazieren führten.
 
In einem Käsegeschäft wollte ich mich mit etwas Käse eindecken. Zwei ältere Damen plauderten lebhaft miteinander beim Eingang. Über die Auslage gebeugt, wählte eine 3. Dame umständlich eine Reihe von Käsesorten – je 50 g „de ci et de ça, un bout de je sais pas quoi” (50 g von diesem und von jenem, ein Stückchen von dem da). Leider fehlte uns die Zeit, um auf die Bedienung zu warten. Kurz später schickten wir uns mit Sack und Pack (mit der überfüllten Tirette (Rollköfferchen) zur Eurostar-Abfahrt. „Au revoir Paris“, vielmehr: „ À bientôt“!
 
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