Textatelier
BLOG vom: 15.08.2007

Netz der Verstrickungen: Der ungeliebte Unglücksrabe

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Nachdem ich rechtschaffen, obschon nach wiederholter Mahnung meines Buchhalters mit 5-monatigem Verzug endlich den Jahresabschluss fürs Jahr 2006 vorbereitet hatte, ging ich wohlgemut ins Patio und erschrak.
 
Da zappelte und flatterte heftig eine ausgewachsene Krähe, arg im Plastiknetz verstrickt. Zwar war es weitmaschig, aber für die Krähe viel zu eng, um sich daraus zu befreien. Ich hatte dieses Netz über die der Mauer entlang wachsenden Ranken des Rebstocks gespannt, denn ich wollte nicht wie letztes Jahr wieder von den Vögeln um die Beeren geprellt werden. Ihren Zehnten sollen sie haben, aber nicht mehr. Auf der rechten Seite der Mauer aber war der ihnen vorbehaltene Teil schon ratzekahl gefressen. Die Beeren, wiewohl schon blau, waren für mich noch viel zu sauer. Den Vögeln schmecken sie einerlei ob sauer oder süss.
 
Mir fehlten der Mut und die Kappe vom Fritz, der einst den Raben „Hans Huckebein“ fing und ihn stolz zur Tante Lotte brachte. „Die Tante kommt aus ihrer Tür; „,Ei’ – spricht sie – ,welch ein gutes Tier’!“ Wie es diesem Raben erging und wie unflätig er sich benahm, weiss jedes Kind, seitdem ihn Wilhelm Busch in Wort und Bild gekapert hat. „Jetzt aber naht sich das Malör – denn dies Getränke ist Likör.“
 
Das Malör meiner Krähe waren die Trauben. In meinen Rebennetz könnte sie sich genau so erhängen wie im Wollstrang der Tante, laut Wilhelm Busch: „Er  zerrt voll roher Lust und Tücke – Der Tante künstliches Gestricke.“
 
Vorsichtig näherte ich mich der tobenden Krähe. Sie krähte hin und wieder furchtbar abschreckend. Ich sprang zurück, als sie unverhofft einen ihrer Flügel aus dem Netz befreit hatte. Die Rabenmutter hatte auch diesem Huckebein keine guten Manieren beigebracht, geschweige denn ihm eine gute Stimme mitgegeben.
 
Wie kann ich ihn aus dem Netz befreien, ohne dass er mir einen Finger abzwackt oder die Aktion mich ein Auge kostet? Und erst noch die Krallen! Die Krähe verwickelte sich mehr und mehr im Netz. Ich ging wieder auf sie zu, wobei sie mich böse aus ihren hellblauen Augen anfunkelte. Besänftigend sprach ich auf sie ein. Das wirkte nicht.
 
Im Wimbledon Common wimmelt es von Krähenhorsten. Sie erobern jetzt, ganz gegen ihre Natur, die Vorgärten und machen viel Klamauk und plündern die Nester der Singvögel. Nein, ich kann mich beim besten Willen nicht mit ihnen anfreunden.
 
Seit Jahrhunderten wissen die Krähen, dass der Mensch sie hasst. Der Bauer bückt sich – und die Krähe fliegt aufgescheucht weg. Zu viele ihrer Gattung wurden von Steinwürfen getroffen. Ich machte es dem Bauern nach und bückte mich (ohne Stein in der Hand). Huckebein tobte noch schlimmer als zuvor, und sein Kopf war jetzt ebenfalls in die Plastikschlinge geraten. Ich sah, dass ihm langsam die Luft ausging.
 
Jetzt war mein Augenblick gekommen, ihn zu retten. Hastig stürmte ich ins Haus, setzte meine Brille auf, stülpte meine Basketball-Mütze über den Kopf, zog meine Gartenhandschuhe an und ergriff die längste Schere, die ich habe. So gerüstet gelang es mir, die Plastikbändel zu trennen.
 
Matt und erschöpft landete Huckebein auf dem Boden und wollte sich aufschwingen. Doch umsonst: Die Mauer war zu hoch und obendrein ein Flügel wohl von der vergeblichen Mühe verstaucht. Die Krähe hopste hinter die Lavendelbüsche. Da kam schon meine Frau mit einer Schüssel Wasser und wollte den Kerl bemuttern. „Auf keinen Fall“, hielt ich sie auf, „dieses Tier ist viel zu gefährlich und wird dir dafür nicht danken.“
 
Ich hatte nur einen Wunsch, mich endlich von dieser Krähe zu befreien. Weit öffnete ich die Patiotüre. Mit einem Bambusrohr gelang es mir einigermassen sanft, die Krähe zu vertreiben. Sie entkam halb hopsend, halb flatternd in den Vorhof des Nachbarhauses, genau im Augenblick, als nichtsahnend die gute Nachbarin mit Giesskanne erschien, um ihre Topfpflanzen zu bewässern. Sie liess die Kanne fallen und verjagte im Galopp das geplagte Tier mit weit auseinander gebreiteten Armen – das nicht anders konnte, als wiederum ins nahe Gebüsch zu fliehen.
 
Erst jetzt bemerkte mich die Nachbarin, im Rahmen der Türe stehend. Ich erklärte ihr, was geschehen war. Sie wusste nicht, dass diese Krähe verletzt war, entschuldigte sie sich, aber fügte vehement hinzu: „Aber ich kann Krähen einfach nicht ausstehen!“
 
Ich preise mich glücklich, keine Krähe zu sein.
 
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