Textatelier
BLOG vom: 15.07.2009

Der Balmbergpass über den Jura: An Steilheit unübertroffen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Der Balmbergpass zwischen Günsberg und Welschenrohr im Kanton Solothurn übertrifft andere, viel berühmtere Übergänge an Steilheit. Die etwa 7 km lange Strassenverbindung über die 1. (südliche) Jurakette hat eine maximale Steigung beziehungsweise ein Gefälle von 25 Prozent, je nachdem, ob man die Angelegenheit von unten oder oben betrachtet. Das bedeutet, dass auf einer horizontalen Strecke von 100 Meter Länge ein Höhenunterschied von 25 Meter überwunden wird. Das ist für einen befahrbaren Pass rekordverdächtig – der Gotthard bringt es beispielsweise nur auf 8 %, der Simplon und der Susten auf 9, der Albula auf 12, die Sattelegg im Kanton Schwyz, Marchairuz und Mollendruz im Kanton Waadt jeweils auf 14 %. An 2. Stelle ist die Strasse auf den Weissenstein (Oberdorf SO – Gänsbrunnen) mit 22 % vertreten. Allerdings kann der Weissenstein kaum als Passübergang im engeren Sinne bezeichnet werden.
 
Die Solothurner sind es also, welche die im Jura steilsten Strassen bauen und nicht etwa die Alpenbewohner. Im Buch „Geographie des Kantons Solothurn“ (1969 im Kantonalen Lehrmittelverlag Solothurn erschienen) schreibt Urs Wiesli auf Seite 194: „Die durchwegs über 1000 m hohe Weissensteinkette vom Grenchenberg bis zur Schwängimatt westlich Oensingen ist eindeutig für Passübergänge am ungeeignetsten. Die Oensinger Klus liegt zudem zu nahe, als dass es sich gelohnt hätte, die hohe und steile Schranke schon frühzeitig mit aufwendigen Strassenbauten zu überwinden. Wenn gleichwohl einige alte Wege auf den Berg existieren, dann dienten sie vielfach weniger dem Durchgangsverkehr als der Erschliessung der ausgedehnten Wälder und Weiden.“
 
Die auf 1087 Höhenmeter führende Balmbergstrasse wurde früher als Märetweg bezeichnet, ein Hinweis auf ihre Funktion als Marktweg. Ihr Verlauf und damit auch ihre Steigung sind von der Tektonik vorgezeichnet. Sie ist schon 1697 in einem Strassenverzeichnis erwähnt. Heute ist sie in einem guten Zustand, tadellos geteert, aber meistens nur 3 m breit, so dass ein Kreuzen von 2 Personenwagen mittlerer Grösse (inkl. Aussenspiegel um die 2 m breit) unmöglich ist. Das Gewicht der zugelassenen Fahrzeuge ist auf 3,5 Tonnen limitiert, und Anhänger sind nicht erlaubt.
 
Bei meiner Fahrt über den Balmbergpass am Nachmittag des 08.07.2009 von Günsberg aus hatte ich das Glück, dass anfänglich kein Verkehr herrschte und mir erst kurz vor Welschenrohr 2 Personenwagen entgegenkamen. Die Strasse ist dort unten, auf der Halde, welche aus erodiertem Felsabbruchmaterial (Kalkstein) und roter Boluserde besteht, bereits zweispurig. Im Passbereich sind immerhin einige breitere Stellen vorhanden; allenfalls muss ein Automobilist etwas zurückfahren. Stabile metallene, wellenförmige Leitplanken bieten einen Schutz vor dem Absturz in die Tiefe.
 
Im Solothurnischen ist der Kettenjura (Faltenjura) besonders felsig. Aus der sonst üblichen mehrzeiligen Hügellandschaft ist dort oft ein regelrechtes Gebirge mit steilen Felswänden geworden, wobei die höchsten und damit auch steilsten Ketten ans schweizerische Mittelland angrenzen. Betrachtet man den Jura vom Mittelland aus, zum Beispiel bei der Zufahrt Hubersdorf nach Günsberg, erscheint er im obersten Teil als hohe, unüberwindliche Mauer (diesmal hat man das Gebiet Chamben vor sich, Landeskarte 1:25 000: „Balsthal“). Den genau gleichen Eindruck erweckt die Rückseite auf dem Weg von der Balmbergpasshöhe hinunter nach Welschenrohr. Direkt hinter Welschenrohr baut sich die 2. Jurakette als Steilwand auf: die Grossi Risi (1120 m). An die kahle Felswand neben dem Rinderberg haben kühne junge Burschen das Gemeindewappen (Flösser-Bundhaken in Weiss und Rot) hingemalt. Zwischen und auf den Felsen haben sich Waldgebiete eingenistet.
 
An der Balmbergstrasse, wenig oberhalb von Welschenrohr, ist ein Wegkreuz – es handelt sich um ein Kleeblatt- oder Lazaruskreuz mit den Jahreszahlen „1819 1964“ und einer Bronzetafel, die das Jesu-Haupt mit Dornenkranz zeigt. Es ist eines von vielen Religionssymbolen im Dünnerntal, in dem oft auch Kapellen anzutreffen sind.
 
Und so findet man sich plötzlich mitten im Innerjura. Die parallel verlaufenden Jurafalten können durchaus mit riesigen Wogenkämmen verglichen werden, wie sie sich in der stürmischen See ergeben. Im Solothurner Teil dieses bewegten Meers scheint der Sturm am heftigsten getobt zu haben; die Wellen brechen zu stolzen, fast senkrechten Felsen ab. Diese Wellen, als „Verrunzelung der Sedimenthaut“ (Toni P. Labhart 1982) bezeichnet, sind ursprünglich tatsächlich aus dem Meer heraus aufgeschoben worden; das Grundgebirge, das in 1 bis 2 km Tiefe beginnt, wurde nicht gefaltet. Im Mesozoikum (Erdmittelalter, das vor etwa 251 Mio. Jahren begann) dehnte sich dort, wo heute der Jura ist, ein flaches Schelfmeer aus, das in Becken und Schwellen gegliedert war. Doch hinkt der Vergleich mit den Meereswogen trotzdem, weil die Wellen erstarrt sind und in dieser Position der Ruhe einen friedlichen, wenig bedrohlichen Eindruck machen, wenn auch häufige Steinabbrüche nicht zu verhindern sind; der zerklüftete Kalk hat vielerorts keine grosse Stabilität. Genau das hat aber zu den Rundungen der Juralandschaft geführt und ihr zu ihrer Lieblichkeit verholfen. Die Felspartien nimmt man gern als optisches Kontrastprogramm hin.
 
Der Balmbergpass bietet auf der Süd- wie auch auf der Nordseite eindrückliche Aus- und Einblicke: ins Juragefüge und (südseitig) auch ins Mittelland und zu den Alpen, die den Wellengang der Gesteine verursacht haben: Ein Tsunami der friedlichen Sorte, weil er sich Zeit liess, nichts überstürzte und an dieser Stelle seine Bleibe fand.
 
 
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