Textatelier
BLOG vom: 14.12.2009

Widersprüchliche Studien: Viel Fett gesund, Folsäure nicht?

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wie schon in etlichen Blogs berichtet, sind Ernährungsstudien mit Vorsicht zu geniessen. Was gestern noch als gesund galt, ist heute ungesund. Oder umgekehrt. Es ist deshalb immer vernünftig, wenn man auf das „Bauchgefühl“ hört. Aber das ist vielen abhanden gekommen. Sie futtern drauf los, dass die Schwarte kracht. Erst kürzlich übersandte mir Rolf P. Hess Abbildungen mit den 20 ungesündesten Nahrungsmitteln, die US-Amerikaner mit Hochgenuss verzehren. Darunter befanden sich fetttriefende Burger, Hotdogs, Sandwiches und Cheesburger (Internet-Adresse am Schluss des Berichts).
 
Fettreiche Ernährung gegen Krebs?
Nun können die Fettverzehrer aufatmen: In „Welt Online“ (www.welt.de) wurde nämlich eine Studie publiziert mit dem Titel „Fettreiche Ernährung soll gegen Krebs helfen“, und die „Basler Zeitung“ (http://bazonline.ch) titelte „Warum träge wird, wer häufig isst“. Vor einiger Zeit las ich, man solle mehr Kohlenhydrate essen und mit dem Fett sparsam umgehen.
 
Nun nahmen Forscher eine 90 Jahre alte Erkenntnis wieder auf. Schon 1924 postulierte Otto Heinrich Warburg, dass sich der Stoffwechsel zwischen gesundem und krebsartigem Gewebe unterscheidet. Tumorgewebe vergären nämlich den Zucker aus der Nahrung zu Milchsäure, um Energie zu gewinnen, während gesunde Zellen diesen in den Mitochondrien umsetzen.
 
Nun sind umfangreiche Forschungen auf dem Gebiet im Gange. Ulrike Krämer vom Universitätsklinikum in Würzburg beschäftigt sich mit dem Zuckerstoffwechsel von Tumoren. Sie äusserte kürzlich: „Der Verzicht von Zucker und Kohlenhydraten bei der Ernährung hilft gegen Krebs!“
 
Bisher konnte dieser Effekt nur im Tierversuch festgestellt werden. Dies ist natürlich noch kein Beweis, dass sich dieser Effekt auch beim Menschen einstellt. Es gab zwar schon einige Versuche mit der ketogenen Ernährung bei Patienten. Bisher konnte nur ermittelt werden, dass sich die Versuchsopfer nur wohler fühlten.
 
Immer wird der Vergleich mit den Inuit, die fettreich essen, herangezogen. Die Inuit (Eskimos), die sich traditionell ernährten (Fleisch von Karibus, Robben und Fisch) und westliches Essen nicht kannten, erkrankten nicht an Krebs. Wie der Anthropologe Vilhjálmur Stefánson schon Anfang des 20. Jahrhunderts beobachtete, bemerkte er bei den Inuit trotz Zuckerabstinenz keine Beeinträchtigung des Körpers und des Geistes. Mangelerscheinungen wurden nicht gesehen.
 
Als die Inuit sich der westlichen Kost anfreundeten, traten auch Krebserkrankungen auf. Der Biologe Johannes Coy, der früher im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) tätig war, behauptet nun, ein spezielles Gen (TKTL-1) würde am An- und Abschalten des Vergärungsstoffwechsels schuld sein. Wissenschaftler des DKFZ bezeichnen diese These als abwegig. Auch halten sie von der Ernährungsempfehlung (ketogenen Diät) des Johannes Coys nichts.
 
Auch Robert C. Atkins propagierte eine Diät, die viel Fett enthielt. Er sagte, man könne soviel Fett essen, wie man wolle und man nehme dabei noch ab. Die Atkins-Diät betrachte ich als Mangel- und Fehlernährung, ausserdem enthält diese zu wenig Ballaststoffe (Nahrungsfasern).
 
Warten wir einmal ab, wie die Sache ausgeht. Ich bin überzeugt, dass eines Tages genau das Gegenteil behauptet wird. Erst vor einigen Wochen las ich, eine fettreiche Ernährung würde den Prostatakrebs beschleunigen. Was soll man noch glauben? Ich finde, man sollte normal mit Fett umgehen und auch das richtige Fett (mit einem hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, wie diese in Ölen anzutreffen sind) zuführen.
 
Fettleibig durch 5 Mahlzeiten am Tag?
Jahrelang predigten Ernährungswissenschaftler, man solle doch gefälligst nicht 3 Mal, sondern 5 Mal am Tag essen. Nun, viele hielten sich daran, weil sie sich an Zwischenmahlzeiten (9 Uhr und 15 oder 16 Uhr) gewöhnten. Sie waren der Meinung, sie könnten dann Arbeiten länger und frischer bewältigen. Auch wir hielten uns früher in den Firmen daran. Da gab es um 9 Uhr das 2. Frühstück (Znüni), dann am Nachmittag so gegen 16 Uhr (Zvieri) und labten uns an Kuchen, Keksen und Kaffee. Da wurden wir wieder munter, aber nicht fetter.
 
Auch die Schwarzwälder hielten sich im 19. Jahrhundert an die Regel der 5 Mahlzeiten. Der Neustädter Amtsphysikus Winterhalter schrieb darüber dies:
 
„Der Schwarzwälder isst täglich 5 Mahlzeiten: früh Wassersuppe, gesottene Erdäpfel und süsse Milch; um 9 Uhr Butter, Käse, Milch und Brot; zu Mittag Wassersuppe oder Specksuppe, gebratene Knöpfle, Schupfnudeln oder Erdäpfel mit Sauerkraut, Salat oder Mangold; um 3 Uhr Käse, Milch und Brot. In der Ernte wird auch wohl saurer Wein, oder Bier mit Küchle gereicht. Abends kommt Milchsuppe, gesottene Erdäpfel und abgerahmte Milch auf den Tisch (…).“
 
Die Landbewohner der damaligen Zeit mussten schwer arbeiten, und da waren 5 Mahlzeiten notwendig. Fleisch gab es damals selten. Auch der Genuss von Kaffee war eingeschränkt. Sehr hoch war der Verzehr von Milch und Kartoffeln.
 
Schweizer Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH Zürich rüttelten jetzt an diesem Dogma. 5 Mahlzeiten am Tag würden dick machen, sagen sie. Die Forscher sind der Ansicht, der Körper brauche zwischen den 3 Hauptmahlzeiten Fastenzeiten. Denn durch das ständige Futtern zwischendurch wird das Eiweiss Foxa2 gehemmt, wenn die Bauchspeicheldrüse durch die Nahrungsaufnahme Insulin ausschüttet. Wer fastet, der aktiviert Foxa2. Das aktive Protein sorgt im Gehirn dafür, dass 2 Botenstoffe produziert werden, die die Nahrungsaufnahme und spontane Bewegungen fördern.
 
Durch die Mahlzeiten zwischendurch wird die Motivation zur körperlichen Bewegung unterdrückt. Und mangelnde Bewegung und überkalorische Ernährung – das weiss inzwischen jedes Kind – führt oft zu Übergewicht bzw. Fettsucht. Der geschilderte Effekt wurde auch hier erst im Tierversuch (Mäuse) ermittelt. Bei fettleibigen Mäusen war das Protein ständig inaktiv. Die Forscher züchteten auch Mäuse, die ständig Foxa2 produzierten, auch bei fastenden oder gut ernährten Tieren. Diese bewegten sich dann 5mal mehr als fettleibige oder gewöhnliche Tiere.
 
Prof. Markus Stoffel empfiehlt schon jetzt, nicht über den Tag verteilt zahlreiche kleine Mahlzeiten, sondern nur 3 einzunehmen. Wer zwischendurch hungert, der wird sein blaues Wunder – eben eine Gewichtsreduzierung oder auch nicht – erleben.
 
Ist jetzt auch die Empfehlung der DGE 5mal am Tag eine Obst- oder Gemüsemahlzeit einzunehmen, hinfällig?
 
Ist der Spruch „Esse am Morgen wie ein Kaiser, am Mittag wie ein König, am Abend wie ein Bettelmann“ sinnvoll? Früher und auch heute noch wird dieser Spruch immer wieder am Leben gehalten.
 
Noch eine Anmerkung: Die regen Forscher haben einen Hintergedanken. Sie träumen schon von Medikamenten für Fettleibige, die das Foxa2 aktivieren.
 
Krebsgefahr durch Folsäure?
Was wurde nicht alles über die Wirksamkeit der Folsäure geschrieben. So ist die Folsäure notwendig für die Blutbildung. Sie ist auch beteiligt am Aufbau der Nukleinsäuren, der Phospholipide des Nervengewebes und an der Produktion einiger Hormone.
 
Laut Prof. Dr. K. Pietrzik vom Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften, Abteilung Pathophysiologie der Ernährung der Universität Bonn, hat das B-Vitamin noch folgende Wirkung: „Nach wie vor bleibt die präventive Wirkung von Folsäure/Folat im Hinblick auf die Reduktion von Schäden am Nervenkanal der Wirbelsäule bei Neugeborenen anerkannt sowie die Tatsache, dass gleichzeitig eine gute Folatversorgung des Organismus nicht nur das Risiko für Krebserkrankungen, sondern auch für Schlaganfälle und neurodegenerative Erkrankungen zu reduzieren vermag.“
 
Laut neuesten Studien soll eine erhöhte Folsäurezufuhr mit einem gesteigerten Risiko für die Entstehung von Darmkrebs verantwortlich sein. Die Studien zu Folsäure und Krebserkrankungen liefern Hinweise, dass der Organismus bei bereits bestehenden Krebsvorstufen (Adenoma) eher einen Tumor entwickeln kann. Diesen Effekt müsste man durch weitere Studien untermauern.
 
Wie Prof. Pietrzik in diversen Stellungnahmen betonte, gibt es auch Hinweise, dass eine gute Folsäureaufnahme ein geringeres Risiko für Prostata-, Blasen- und Kehlkopfkrebs bedeutet.
 
Die Studien haben Schwächen, manche Ergebnisse können Zufallsbefunde sein. Wir sollten uns nicht verrückt machen lassen. Eine natürliche Ernährung mit Nahrungsmitteln, die viel Folsäure enthalten, ist immer gut.
 
Gute Lieferanten von Folsäure sind Weizenkeime, Weizenkleie, Sojabohnen, Petersilie, grüne und weisse Bohnen, Bierhefe, Kohlarten (besonders Grünkohl), Fenchel, Broccoli, Spinat, Salate (Feldsalat, Endivie), Nüsse, Getreide (ganzes Korn), Vollkornbrot, Leber, Hühnerei, Käse und alkoholfreies Hefeweizenbier.
 
Zur Beachtung: Folsäure wird durch Einwirkung von Sonnenlicht und UV-Strahlen zerstört. Durch Erhitzen folsäurehaltiger Nahrungsmittel nimmt der Gehalt an Folsäure bis zu 90 % ab. Deshalb sollte man (genauso wie beim Vitamin C) Gemüse nicht im Wasser liegen lassen, auch nicht stark zerkleinert an der Luft oder in der Sonne stehen lassen. Nicht unnötig rühren, sondern zudecken. Nur kurz kochen oder dünsten. Das Koch- und Einweichwasser verwende man. Ist das Kochen nicht zu vermeiden, dann kann eine Aufwertung durch Überstreuen mit Hefeflocken oder Weizenkeimen erfolgen.
 
Wer dies beachtet und sich gesund mit viel Gemüse ernährt, braucht sich um ein mögliches Folsäure-Defizit keine Sorgen machen. Problematisch wird es erst, wenn die Menschen hauptsächlich Fast-Food zu sich nehmen.
 
Schützt Kaffee die Prostata?
Langzeitstudien bestätigen den schon in früheren Studien beobachteten Effekt, Kaffee schütze die Prostata. Die Langzeitstudie dauerte 20 Jahre. Männer, die den meisten Kaffee tranken, hatten ein um 60 % geringeres Risiko an Prostatakrebs zu erkranken. Verglichen wurden die Werte mit Personen, die überhaupt keinen Kaffee konsumierten.
 
Kathryn M. Wilson vom Channing Laboratory an der Harvard Medical School und Harvard School of Public Health wies daraufhin, dass Kaffee den Zuckerstoffwechsel und den Sexualhormonspiegel beeinflusst. Auch ist nicht das Koffein an diesem Effekt beteiligt, sondern vielmehr die biologisch aktiven Komponenten wie Antioxidanzien und Mineralstoffe.
 
Als die Online Ausgabe von „focus“ diese Studie am 08.12.2009 vorstellte, kamen etliche Leserzuschriften. Einige lobten den Kaffeegenuss, einer meinte, hinter der Studie stecke die Kaffeeindustrie. Ein Leser schrieb: „Dann krepieren wir zwar am Infarkt oder Magenkrebs, aber prostatamässig haben wir alles richtig gemacht?!“
 
Hemmt Soja Krebserkrankungen?
Sojaprodukte sind nicht nur hochwertige Proteinlieferanten, sie haben auch eine gesundheitliche Wirkung. So können bestimmte Inhaltsstoffe der Sojabohne (z. B. Isoflavone) den erhöhten Cholesterinspiegel reduzieren, das Krebsrisiko (Brustkrebs, Gebärmutterkrebs) senken, die Knochengesundheit (Osteoporoseprävention) verbessern und Beschwerden in den Wechseljahren (Hitzewallungen) günstig beeinflussen.
 
Yiao Ou Shu von der Vanderbild University in Nashville (Tennessee) untersuchte kürzlich den Einfluss von Soja-Isoflavonen auf die Rückkehr von Brustkrebs sowie die Überlebensrate von Brustkrebspatientinnen. Ingesamt wurden die Daten von 5042 weiblichen Brustkrebs-Überlebenden in China herangezogen. Die Untersuchung erstreckte sich von 2002 bis 2009. Ergebnis: Diejenigen Frauen, die am meisten Sojaprodukte verzehrten, hatten ein um 29 % niedrigeres Risiko, während der Studiendauer zu sterben. Das Risiko eines Rückkehrs des Krebses war bei dieser Personengruppe um 32 % erniedrigt.
 
Die Mediziner betonten, 11 Gramm Sojaprotein am Tag würden genügen, um den positiven Effekt zu erreichen. Eine grössere Verzehrsmenge brachte keinen weiteren Erfolg. Die erwähnte Studie wurde in der Dezemberausgabe von „JAMA“ publiziert. 
 
Internet
www.focus.de/gesundheit/ratgeber („Kaffee schützt die Prostata“)
www.focus.de/gesundheit/ratgeber („Soja kann Krebs hemmen“)
www.welt.de (Medizin: „Fettreiche Ernährung soll gegen Krebs helfen“)
www.bazonline.ch („Warum träge wird, wer häufig isst“)
 
Literatur
Oeschger, Bernhard; Weeger, Edmund: „Schwarzwaldleben anno dazumal“, DRW-Verlag Stuttgart, 1989.
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“, Verlag Textatelier.com GmbH, Biberstein 2005.
Der kleine Souci, Fachmann, Kraut: „Lebensmitteltabelle für die Praxis“, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2003.
 
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