Textatelier
BLOG vom: 23.02.2010

Liedermacher Paul Gisler: Erdiges Urner „Uriginal“-Original

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
„Um Sie auf dem Laufenden zu halten, sende ich Ihnen in der Beilage die neue ,Uriginal’-CD: ‚Edel wyyss und raabäschwarz’. Wer weiss, vielleicht inspiriert das eine oder andere Lied Sie beim Spitzen Ihrer Feder.“
Gez. Paul Gisler, Höfenstrasse 34, CH-6312 Steinhausen 22.01.2010
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Wir, Paul Gisler und ich, kennen uns nur vom Hörensagen, vom Zuhören und vom Lesen, und irgendwie mögen wir einander. Sein CD-Album gefällt mir. Der Komponist, Sänger und Musikant (Gitarre und Zugerörgeli) singt in seiner kraftvollen Urner (Ürner) Mundart urchige Lieder, die unaufdringlich beschwingen, berühren, nachdenklich stimmen und dann wieder belustigend aufputschen. Man kann die CDs mit ihren menschengerechten Rhythmen als Hintergrundmusik laufen lassen und sich seiner Arbeit zuwenden oder genau hinhören. Hin und wieder wird man unwillkürlich den mundartlich-bodenverhafteten Erzählungen lauschen, die in den 24 „nigelnagelnyywä“ (nigelnagelneuen) Liedern enthalten sind und von Dobro (Resonatorgitarren, wie sie manchmal Blues-Musiker einsetzen), anderen Gitarren, Mandoline, Querflöte, Bluesharp und Schlagzeugen begleitet werden. Die Musiker: Andy Mejuto, Daniel Schwarz, Arthur Häbeli, Thomas Limacher, Felix Gisler und Beato José, die auch komponierten, alles in allem ein rundes, harmonisches Gesamtpaket, in dem viele Schätze verborgen sind. Und Anna Tanner hilft mit lieblicher, anschmiegsam weiblich-zarter Stimme beim Singen mit.
 
Zu den Delikatessen gehört das Lied von den „Marzipan-Chugglä“ (Marzipan-Kugeln), die ein Bauer, der „Tschiirä Teenel“, auftragsgemäss seiner Frau (Fräui) vom Stierenmarkt in Altdorf hätte heimbringen sollen – und zwar genau jene vom Konditor Muheim, weil nur diese von der feinschmeckerischen Bäuerin als „fein“ anerkannt werden. Der Tennel (Anton) absolvierte also sein Programm auf dem Viehmarkt. Er fuhr gegen Abend im Postoauto heimzu, gegen sein Heimetli. ... und da kam ihm in den Sinn – „Mischt“ –, dass er die Marzipan-Delikatessen vergessen hatte. Mit schweren Schritten lief er seinem Heimetli zu und fand auf dem Weg einen frischen „Chuätätterlig“ (Kuhfladen). Der verzweifelte Tennel bastelte daraus Kugeln, packte sie sorgfältig ein.
 
Ich schweife hier ab; denn an dieser Liedstelle ist mir eine Feststellung im Buch „Vom Essen und Trinken im alten Uri“ von Karl Iten (1972, Buchdruckerei Gamma, Altdorf) in den Sinn gekommen. Auf Seite 37 steht dort: „Ein typisches Merkmal der Urner Küche ist die Beschränkung auf einige wenige Zutaten, die aber, da sie ja grösstenteils selber produziert werden, immer von hoher Qualität sind (...) eine bodenständige, natürliche Kost, die (...) ein schlichtes, bäuerliches Wesen nicht verleugnen kann.“ Und diese Küche habe eine „ganze Reihe herzhafter und origineller Rezepte hervorgebracht“. Wer wollte dem nach der Bekanntschaft mit Teenels Kuhkugeln widersprechen!
 
Kehren wir mit diesem Hintergrundwissen zum Lied zurück: Teenels Frau erkundigte sich bei seiner Ankunft sogleich, ob er ihre Chugglä vom Muheim denn auch mitgebracht habe. Das Päckli wurde ihr überreicht. Die Frau öffnet es, beisst in eine Kugel hinein, verdreht etwas die Augen und sagt, die Kugel würde zwar eher nach Kuhmist schmecken ... aber weil die Kugeln schliesslich vom Muheim seien, wolle sie alle gleichwohl essen – denn nur von ihm seien sie fein.
 
Soweit das Lied, aus dem ich diese Moral herausgelesen habe: Vielfach isst oder trinkt man tatsächlich die Etikette ... selbst wenn nicht einmal eine drauf ist. Das könnte einem durchaus auch nach dem Betrachten und Betasten der Hülle der Doppel-CD „Edel wyyss und raabäschwarz“ passieren. Auf den brandschwarzen Untergrund sind raue, filzige Edelweissblüten aufgeklebt. Das ist bereits der erste Hinweis darauf, mit wie viel Sorgfalt und Fantasie diese alpine musikalische Blüte aufgezogen worden ist.
 
Die Gesänge sind nicht allein der Bergluft verhaftet, sondern wagen sich sogar bis nach Paris vor, wo ein buddhistischer Kater (eine Katze) lebt, der zum Vegetarier wurde – zur Begeisterung einer Mäusefamilie, die Freudentänze vollführt ... und am Ende doch so „dr’nääbä“ (daneben) war, dass er wieder Mäusefleisch ass.
 
Fast wie eine Erklärung dafür tönt der Schluss des letzten Lieds „Reflektion“:
„Alles bewegt sich – und het syy Grund (und hat seinen Grund).
Alles fliässt zrugg – wo’s här chunnt“ (Alles fliesst zurück – wo es herkam).
 
Tatsächlich: Selbst vegetarische Katzen finden zum Mausen zurück.
 
Hinweise
Die Doppel-CD wird durch Heeb AG, Music Distribution, 7000 Chur vertrieben. Sie ist für 39 CHF im Fachhandel erhältlich oder bei uriginal@sunrise.ch direkt zu bestellen (Aufpreis für Porto und Verpackung 3 CHF).
 
Internet: www.uriginal.ch
 
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