Textatelier
BLOG vom: 03.03.2011

Slapstick mit Lebensmitteln: dumm und verschwenderisch

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
In den alten Slapstick-Komödien der Stummfilmzeit mit ihren handfesten Aktionen spielten Rahmtorten eine wichtige Rolle. Eine flach gestreckte Hand des Täters wurde unter sie geschoben. Der Tortenträger wie Hardy holte mit ausgestrecktem Arm weit aus und schmetterte die süsse Rondelle dem Partner wie Laurel ins Gesicht. Dieser bahnte die Finger durch den angeklebten, luftigen Rahm, um nachzuschauen, was denn da eigentlich ablief, schaute mit jämmerlichem Gesichtsausdruck aus der Tortenfüllung. Das Publikum fand das nicht weniger lustig als wenn jemand auf einer am Boden liegenden Bananenschale ausglitt. Das Lachen kannte bei solchen Gelegenheiten keine Grenzen. In der Zwischen- bis zur Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts war es noch beeindruckend, wenn ein so teures Konditoreiprodukt, das sich viele nicht leisten konnten, aus reinem Schabernack verschwendet wurde.
 
Die Torten waren ja, wenn sie auf Zelluloid gebannt waren und Millionen erfreuten, noch gut eingesetzt; Aufwand und Ertrag stimmten, da das Lachen vermutlich gesünder als das überbordende Tortenessen ist. Weniger Verständnis habe ich dafür, wenn zum Beispiel nach Autorennen oder anderen als wichtig erachteten Sportveranstaltungen auf dem Siegerpodest der teuerste Champagner aus stark geschüttelten Jeroboam-Flaschen verspritzt wird, weil das nicht einmal lustig, sondern bestenfalls nur angeberisch ist. Humor sieht anders aus. Kohlensäurehaltiges Mineralwasser minderer Qualität würde den gleichen Zweck erfüllen. Selbst das Herumwerfen von schwarzem Kaviar würde mich bei solchen Gelegenheiten nicht in Verzückung bringen. Das Werfen von Eiern oder Tomaten auf missliebige Menschen zum Zechen des Protests ist ebenfalls unter die Geschmacklosigkeiten einzuordnen.
 
Lebensmittelvernichtungen stören mich immer. In Gaststätten gibt es viele Leute, die es sich zur Angewohnheit gemacht haben, vom Besten Reste stehen zu lassen, durchaus im Wissen, dass dies alles fortgeworfen werden muss. Besonders anstössig finde ich es, wenn grosse Fleischstücke auf dem Teller zurückbleiben. Denn es wurden mit einem riesigen Aufwand an Energie Tiere gemästet, Tiere getötet und zerlegt, das Fleisch gelagert und von einem hoffentlich talentierten Koch nach allen Regeln der Kunst sorgfältig zubereitet. Das so entstandene Gericht wird mit Verachtung gestraft und in den Abfallkübel geworfen, darf nicht einmal mehr als Schweinefutter verwertet werden. Allein der Handel vernichtet in der Schweiz jährlich etwa 250 000 Tonnen weitgehend einwandfreie Lebensmittel – in allen Haushalten zusammen geht die Verschwendung weiter.
 
Mir ist es schon passiert, dass in einem Restaurant die Fleischportion so gross war, dass ich unmöglich alles essen konnte. In solchen Fällen bitte ich das Servierpersonal, mir die Resten zum Mitnehmen einzupacken, wofür ich dann das Trinkgeld gebührend aufrunde. Das Haus fühlt sich dadurch geehrt – es ist ein Kompliment an die Küche. Das Fleisch kann problemlos am nächsten Tag noch sorgfältig für den Eigengebrauch kurz aufgewärmt werden. Umgekehrt wird die Rückgabe oft als beleidigend empfunden; es gibt viele Köche, die darauf achten, was auf dem Teller zurückbleibt. Und sie werden sich dann ein entsprechendes Bild des Gasts machen, der ein sorgfältig gewürztes und auf den Punkt gebrachtes Filetstück mit Verachtung bestraft, stehen lässt und dadurch zu Müll degradiert. Oft lassen sich Leute auch teuren Wein einschenken und lassen ihn dann stehen.
 
Wenn ich eine hervorragende Sauce im Teller habe, die nicht von den Beilagen aufgenommen wurde, wische ich sie mit einem kleinen Stück Brot auf und geniesse den herrlich duftenden, vollgesogenen Schwamm.
 
Und zum Fortwerfen von Brot besteht höchstens dann Grund, wenn es durch eine falsche Lagerung schimmlig geworden ist. Sonst lässt es sich vielseitig verwerten. Es gibt viele Gerichte, die nur auf der Basis von Altbrot besonders gut gelingen wie Frikadellen oder Hackbraten. Man kann Altbrot im Milchkaffee aufweichen lassen und zu einem Stück rezenten Käses hineinziehen. Das sind wirkliche Genüsse, nicht einfach der verachtete „Coupe-AHV“ (eine mit Kaffee und Brot gefüllte Schale für Rentner, konkret: Bezüger der Alters- und Hinterlassenenversicherung in der Schweiz). Oder man kann Brotresten als Tierfutter verwerten.
 
Zugegeben: Ich stecke seit 9 Jahren tief im AHV-Alter drin, lasse die Rente wie alle über 65-Jähigen in der Schweiz über mich ergehen. Doch ist der verantwortungsbewusste Umgang mit Lebensmitteln für mich keine Frage der Armut oder des Wohlstands, sondern eine solche der Ethik.
 
Wer das nicht begreift, dem sollte man keine Sahnetorte, sondern einen dampfenden Kuhfladen aufs Gesicht drücken – in der Hoffnung, er möge das Zurück aus der Enthirnung in der entwirklichten Welt finden.
 
Hinweis auf ein weiteres Blog über den Umgang mit Lebensmitteln
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Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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