Textatelier
BLOG vom: 06.05.2012

Verschweizert und überzeichnet: Der alltägliche WahnSinn

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Zugegeben, ich bin befangen: Mit dem Fotografen, Illustrator und Verleger Fernand („Sepp“) Rausser und seiner Frau einfühlsamen Ursula bin ich seit Jahren befreundet, und den Berner Schriftsteller und Geschichtenerzähler Heinz Däpp, den ich ebenfalls persönlich kenne, mag ich sowieso; seine Gedankenkapriolen sind gleichzeitig tiefsinnig und köstlich.
 
Wenn dann von den beiden im Wegwarte-Verlag (Inhaber: Sepp und Ursula Rausser) ein Buch erscheint – die Kadenz der Verlagsproduktion in Bolligen BE ist erstaunlich –, erwarte ich einen Leckerbissen, der so frisch wie immer möglich genossen werden muss. Genau so ist es mit dem Buch „Der alltägliche WahnSinn“ geschehen, dessen Titel zum Teil den Fettdruck einbezieht, damit auf die Doppeldeutigkeit des geschriebenen und gezeichneten Inhalts hinweist und bereits zum Denken und Schmunzeln anregt.
 
Die hohen Erwartungen werden bei der Lektüre mehr als nur erfüllt. So liest man zum Beispiel ein kurzes Feuilleton über einen Schweizer namens Godi Schweizer, der einer jener Schweizer ist, die finden, es gebe zu viele Schweizer in der Schweiz. Die Schweiz sei überschweizert, vor lauter Schweizern sehe man die Schweiz bald nicht mehr, und es schweizere bedenklich durch die ganze Schweiz hindurch. Jene Schweizer, die in der Schweiz zu viel seien, könne man, so Godis Idee, ausweisen, ausbürgern oder nicht mehr hereinlassen, wenn sie von den Ferien heimkommen.
 
Selbstverständlich kann man alle Geschichten im gleichen Buch auch auf Berndeutsch haben, was sich dann so liest: „Dr Godi Schwyzer isch eine vo dene Schwyzer, wo fingt, es gäb z viiu Schwyzer ir Schwyz, d Schwyz syg überschwyzeret, vor lutter Schwyzer gsäch me d Schwyz bau nümm, und es schwyzeri bedänklech dür di ganzi Schwyz düre“.
 
Alle Texte stehen zweisprachig nebeneinander, und das ist gut so: Selbst als ein überschweizernder Schweizer ist man für die Übersetzung schon dankbar.
 
Das als Leseprobe herangezogene Muster ist der lebenslustige Beweis dafür, dass Heinz Däpps tief aus den Abgründen des Alltags herausgefischte und etwas überzeichnete Beobachtungen, die nie unkenntlich werden, immer wieder einmal ihre Aktualität erhalten, wenn auch gelegentlich im umgekehrten Sinn und Geist. So ist dieser Tage in der Schweiz und in Deutschland eine Diskussion angelaufen, ob es denn zu viele Deutsche in der Schweiz habe, also eine Art Überdeutschung, wenn man die Sprachvirtualität von Heinz Däpp nachahmen will. Und da wurde am 02.05.2012 gleich noch eins draufgesetzt: Der Deutsche Axel Weber (55), ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank, wurde von der UBS-Hauptversammlung zum Präsidenten des UBS-Verwaltungsrats gewählt (Nachfolger von Kaspar Villiger). Da der deutsche Ökonom Weber ausserordentlich grosse Sympathien zur Schweiz hat, weiss man jetzt nicht so recht, ob er die Schweiz überdeutscht oder gar noch zusätzlich überschweizert.
 
Das Thema Schweiz liegt dem Heinz Däpp offensichtlich am Herzen, auch wenn er etwa vom Kampf mit der Vaterländischen Bewegung für eine neue Schweiz erzählt, die Personenfreizügigkeit behandelt und den Klimawandel als Chance für den Tourismus sieht. In Verbindung mit seiner Gedankenakrobatik sind oft auch nicht minder zirkusreife sprachschöpferische Kalauer, wenn – um ein Beispiel zu nennen – Stöffu Stutz von Schutztrutz besser schützt als Schüggu Schütz von Schützdi. Das Berndeutsche bietet diesbezüglich ungeahnte Variationsmöglichkeiten. Ein Glanzstück im Buch ist die Erzählung, wie der neue Manager Zuck Zucker eine Bonbonfabrik total umkrempelt, bis sie pleite geht – tief aus dem wirtschaftlichen Leben gegriffen.
 
Eine stattliche Portion Lebensphilosophie ist stets dabei, etwa jene von Klaus Krümeler, der immer zu Beginn eines neuen Lebensjahrs zusammen mit Sokrates daran denken muss, dass die Flasche Wein schon halb leer ist, dabei erschrickt und sogleich die Grenze seines Denkens erreicht.
 
Alles kommt leichtfüssig, beschwingt daher. Man löffelt das Buch aus wie ein süsses Sortbet-Dessert, das auf der Zunge wie Zuck Zuckers weiche Bonbons schmilzt und dabei seinen ganzen Duft auspackt, der sich zum Glück nicht sofort verflüchtigt (womit ich das überstrapazierte Wort „nachhaltig“ erfolgreich umgangen habe).
 
Über die Bilder von Sepp Rausser lässt sich im Prinzip dasselbe sagen. Wenn man über den Umstand, dass ein Fotograf so kunstvoll, absolut strichsicher zeichnen kann, fertig gestaunt hat, empfindet man beim Betrachten der Zeichnungen zuerst einmal ein Gefühl von harmonischem Seelenfrieden. Da ist alles ausgewogen, wohltemperiert. Sobald man dann die Details beachtet, eröffnen sich neue Dimensionen. Wenn sich ein mit einem ganzen Farbenareal, Wein, Brot und Salami schwer bewaffneter Kunstmaler in seinem Atelier anschickt, eine blonde, einladend gerundete, knackige, nackte Schönheit zu malen, wird das Bild auf Schrift abstrahiert: „beautyful“ steht in ständig wiederholter Fassung auf der Leinwand. Zu sehr ist der Maler ergriffen, um noch Kurven nachzeichnen zu können. Vielleicht ist diese Reduktion ein Hinweis auf die kunstmalerische Kultur, von der Sepp Rausser überhaupt nicht erfasst wurde.
 
Manchmal ist eine Illustration eine zeichnerisch verfremdete Fotografie, so das Bild „Eklatanter Erfolgsgarant“: Es zeigt eine vollkommen kahle, erodierte Gebirgslandschaft mit einem einzigen giftgelben Haus auf einer kleinen Hochebene, das mit „HERBIZIDE“ beschriftet ist. Und neben dem Haus, offenbar ein spezialisiertes Verkaufsgeschäft, steht eine Tafel: „20 %“. Anderweitig wird eine Landschaft mit ihren Dörfern auf den Hügelkuppen und den Landwirtschaftsgärten, die etwa der Cinque Terre in Italien entspricht, unter einem Netz von Autobahnbrücken begraben. Vielleicht dachte der Sepp auch an die Stadt Bern mit ihren hochfliegenden Autobahnen.
 
Das könnte ein Meisterfotograf wie der Sepp natürlich auch fotografisch eindrücklich festhalten. Nicht immer aber genügt ihm das. Er will aufrüttelnd überzeichnen ... und beginnt zu zeichnen. Bei all den fototechnischen Fortschritten, die auch Manipulationen erlauben: Zeichner (Illustratoren) bringen es weiter. Sie sprengen alle Grenzen, wenn sie anklagend etwas bewirken wollen. Auf dass es ihnen ergehen möge wie der Elise Hebeisen in einer Däpp-Geschichte, die über sich selber lachen muss, wenn sie in einen Spiegel schaut.
 
Genug des vollauf berechtigten Lobs, das jedermann am Original nachkontrollieren kann. Ich sehe dem Urteil über mein Urteil mit Fassung entgegen.
 
Bibliografische Angaben
Däpp, Heinz, und Rausser, Fernand: „Der alltägliche WahnSinn“, Wegwarte Verlag, CH-3065 Bolligen 2011. ISBN 978-3-9523235-7-1.
 
Der Wegwarte-Verlag im Internet
 
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