Textatelier
BLOG vom: 29.09.2012

Herbstgedanken – und eine Ode ans verzauberte Dasein

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Der Sommer ist vorbei. Tage und Nächte werden merklich kühler. Es regnet und stürmt. Es gibt zwar noch einige Sonnentage, aber sie werden seltener. Die Tage werden kürzer. Morgens ist es länger dunkel. Noch sind die meisten Blätter grün und fallen nicht ab, aber das dauert nicht mehr lange. Auf den Wegen liegen Kastanien und Eicheln. Es ist Erntezeit.
 
Die Jahreszeiten sind oft mit dem Ablauf eines Menschenlebens verglichen worden. Der Frühling als Anfang, der Sommer als die Blütezeit, der Herbst als die Ernte und als Niedergang und der Winter als das Ende.
 
Und in jeder Jahreszeit gibt es Tage, die an die anderen Jahreszeiten erinnern. Im Frühling fällt noch Schnee, ein paar sehr warme Tage erfreuen uns. Im Sommer ist es nasskalt; einige Tage lassen an den Herbst denken. Im Herbst gibt es warme Tage und ganz kalte mit frostigen Nächten. Der Winter will lange nicht kommen, es schneit erst im Januar, kurz und heftig.
 
So ist es auch im Leben, Veränderungen kommen kaum erkennbar, nicht klar abgegrenzt. Gesunde und kranke, gute und schlechte Tage wechseln sich ab. Die Jahre vergehen; was einmal jung war, wird älter und alt.
 
Die Krankheiten verändern sich, was das Kleinkind bekam, bekommt der Alte nicht mehr. Dafür andere, die den Verschleiss anzeigen. Je älter ich werde, desto schneller friere ich, wenn die Temperaturen fallen.
 
Wir verbinden mit dem Herbst die Melancholie des Älterwerdens, des Bewusstseins, dass man den Höhepunkt seines Lebenslaufes überschritten hat. Der Blick auf die Todesanzeigen in der Zeitung offenbart es: Der ist 10, die andere 20 Jahre älter geworden als ich es jetzt bin. Aber auch: Den habe ich schon einige Jahre überlebt!
 
Und dann kommen ein paar schöne, warme Tage. Die Blätter werden bunt, die Pilze riechen und locken. Das Licht scheint so anders durch die Bäume als im Sommer. 
„Aber noch ist uns das Dasein verzaubert;
an hundert Stellen ist es noch Ursprung.
Ein Spielen von reinen Kräften,
die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.“ 
Jede Jahreszeit hat seine Reize, auch der Herbst und der Winter, ebenso die Lebenszeiten. Immer noch gibt es täglich etwas Neues zu entdecken, stellen sich neue Herausforderungen, kommen neue Gedanken und Ideen. Im Herbst meines Lebens ist auch Platz für das Geniessen der Zeit nach der Pensionierung, mit der Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen. 
„Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert,
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt;
jener entwerfender Geist, welcher das Irische meistert,
liebt in dem Schwung der Figur nichts wie den wendenden Punkt.“ 
Ich bin im Herbst und zwar im Monat November geboren. Jetzt bin ich auf eine Studie gestossen, bei der 6 Millionen Herz-Kreislauf-Todesfälle in Deutschland untersucht worden sind. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Menschen, die in diesem trüben Herbstmonat geboren worden sind, älter werden als andere. Ein Vergleich von Daten aller Todesursachen zeigte eine ähnliche Kurve. So leben im Vergleich zu im Mai geborene Männer, solche, die im November geboren werden, im Schnitt 11,7 Monate länger.
 
Über die Gründe spekulieren die Wissenschaftler. Der Artikel beginnt mit dem Satz: „Wer im November geboren ist, kann sich freuen.“ Ich kann mich zusätzlich freuen, denn mein Geburtstag steht noch bevor. Ein „verzaubertes Dasein“.
 
Meine Nachbarin, die mehr als 90 Lebensjahre überschritten hat, grüsst mich heute Morgen. Ich frage sie, wie es ihr gehe. Sie tänzelt fröhlich und sagt strahlend: „Gut!“ Sie freut sich auf das Frühstück, das sie jeden Morgen im Café geniesst, und entschwindet.
 
Ihr brauche ich es nicht zu sagen: „Carpe diem!“ (Nutze den Tag!)
 
Quelle
Rainer Maria Rilke: „Die Sonette an Orpheus“, Insel Bücherei, Leipzig Nr. 115, o. J. http://www.sueddeutsche.de/leben/studie-geburtsmonat-beeinflusst-lebensdauer-november-kinder-leben-laenger-1.1072366
 
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