Textatelier
BLOG vom: 20.03.2013

Konrad Pfeiffer: Verantwortungsethik ohne jede Resignation

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Bei aller Ehrfurcht vor den Tausenden von rechtschaffenen, tüchtigen Managern, wird diese Berufsbezeichnung heute dennoch gern mit „Abzocker“ übersetzt, wegen einiger unersättlichen „Topmanagern“. Ob das mit der Sprache, mit der Berufsbezeichnung, zu tun hat? Aus dem altehrwürdigen Geschäftsführer, Geschäftsleiter oder (General-)Direktor wurde der amerikanisierte CEO = Chief Executive Officer. Wer sich mit einem angelsächsischen Titel umgibt, wird auch angelsächsisch handeln – mit all den hinlänglich bekannten Folgen.
 
Zu den Zeiten von Konrad („Koni“) Pfeiffer-Gysler war das noch anders. Von 1967 bis 1988 leitete er die Genossenschaft Migros Aargau/Solothurn. Als Geschäftsführer (und nicht etwa als CEO) prägte er auch den Bau der Verwaltungs- und Verteilzentrale im Wynenfeld in Suhr AG. Das Bemerkenswerte: Bei ihm standen die Aspekte des Naturschutzes – der Ökologie im weitesten Sinne – und nicht die Gewinnmaximierung im Vordergrund. Die zum Einkaufen oder Arbeiten herbeiströmenden Menschen sollten auf die unübertrefflichen Schönheiten der Natur aufmerksam gemacht werden. Die riesigen Bauten wurden unter der Leitung der Biologin Esther Krummenacher (ANL, Aarau) mit einem botanisch idealen Gestrüpp aus einheimischen Pflanzen, insbesondere Bäumen und Sträuchern auf magerem, kiesigem Boden, umgeben, auf dass auch die einheimische Tierwelt hier eine Stätte der Zuflucht (und des Nahrungsangebots) finde; mit Nistkästen unter dem Dachvorsprung wurde der Neubelebung nachgeholfen. Das pionierhaft vorbildliche Werk, eine Oase des ungestörten Gedeihens innerhalb einer Kulturlandschaft, wurde von der „Stiftung Natur und Wirtschaft“ mit der Auszeichnung „1000 Naturparks“ versehen (1998). Bisher wurden 318 Firmen auf diese Weise geehrt.
 
Besonders am Herzen lag Koni Pfeiffer das dreischiffige Glashaus-Restaurant, das zuoberst auf den Bau aufgesetzt und nach allen klimatechnischen Erkenntnissen konstruiert wurde. Pflanzen füllten den hellen Raum, und draussen zwitscherten zwischen den Ästen die Vögel, vorab Spatzen. Ferienstimmung bei einer Tasse Kaffee. Das Glas ermöglichte den Ausblick auf die sich mit den Jahreszeiten verändernde Umgebungsnatur.
 
Am Rand des opulenten Gewerbeareals gedeihen noch heute einige Reihen von Sträuchern und Bäumen aus den Pfeiffer-Zeiten, Restbestände wertvoller Hecken. Doch das direktorale Herz, das die ganze Anlage belebte, hörte nach Pfeiffers Ausscheiden aus dem Berufsleben im Wynenfeld zu schlagen auf. Immer mehr Teile der Umgebung wurden nach gärtnerischer Manier umgestaltet und banalisiert, dem nach Uniformität strebenden Zeitgeist entsprechend. Sogar der Wintergarten wurde abgebrochen und die Cafeteria im fensterlosen Erdgeschoss des Konsumtempels verlocht. Oft schon habe ich beobachtet, wie gross der Drang von Nachfolgern im Geschäftsleben ist, das Werk der Vorgänger zu zerstören, und mag es noch so erfolgreich, imagebildend und wegweisend gewesen sein. In manchen Fällen schwingen rein kommerzielle Überlegungen obenauf; aber selbst dann, wenn die Kassen darunter leiden, ist die Veränderungsmanie nicht zu stoppen. Der Unterhalt eines Naturrefugiums, so weit er überhaupt nötig ist, ist um Grössenordnungen kleiner als derjenige einer schematisierten, gärtnerischen Öde.
 
Koni setzte Massstäbe, die mit dem Erlöschen des Umweltbewusstseins im Rahmen der sogenannten Neoliberalität (neuzeitliche Form des umsatzorientierten Wirtschaftens in unbekümmerter Freiheit) zunehmend unbeachtet blieben. Nach seiner Pensionierung (1988) wirkte er naturschützerisch weiter, setzte sich für einen naturnahen Stadtbach in Suhr ein. Er fütterte Mäusebussarde oberhalb seines Wohnhauses am Suhrer Kirchhügel mit Fleisch, besuchte zusammen mit seiner gleichgesinnten Frau Erla Naturschutzvorträge und nahm an Exkursionen teil, solange dies ihm seine Beine noch erlaubten. Er unterstützte die Entstehung des Naturamas (Naturmuseum in Aarau) als „Leuchtturm, der in unsere Lebensräume hinein leuchtet (...) und unser Lebensschiff durch die vielen Untiefen führt“. Er ermöglichte die Stiftung Galegge, die den Galeggen-Biohof ganz in seiner Nähe betreibt, ansonsten das Grundstück am Suhrer Dorfrand überbaut worden wäre. Zudem regte er den Energieverbund zwischen der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA), den Industriebauten im Wynenfeld und dem Kantonsspital Aarau im Interesse einer verbesserten Energieeffizienz an. Er sprach nicht von Energiewende, sondern ging haushälterisch mit Energie um. Und so weiter.
 
Im Frühjahr 2008 lud er mich in sein Haus mit dem Naturgarten und einem Vogelbrett vor dem Stubenfenster am Galeggenweg ein. Er erzählte mir begeistert vom naturverbundenen deutschen Diplom-Landwirt Heinz Erven, der die Natur im Garten beobachtete, diese tunlichst gewähren liess (Blog vom 01.04.2008: Heinz Erven: Auf Ohrwürmer und Vögel statt Chemie gesetzt). Und er zeigte mir einen Film über das Leben von Gottlieb Duttweiler, den Migros-Gründer. Mit dem orangefarbenen M fühlte sich Koni bis zuletzt verbunden, und er akzeptierte schweigend, dass nun halt ein anderer Wind wehte.
 
Bis zuletzt. Am 08.03.2013 ist Konrad Pfeiffer gestorben, 18 Tage vor seinem 87. Geburtstag. Während 4 Jahren war er von der Parkinson-Krankheit geplagt gewesen, so dass er sich fast nur noch im eigenen Haus einigermassen selbständig bewegen konnte. Seine Familie betreute ihn aufopfernd, damit er sein Naturrefugium nicht verlassen musste. Er klagte nie, war nie depressiv oder bei schlechter Laune und ertrug die fortschreitenden körperlichen Einschränkungen mit Geduld. Eine Woche vor seinem Tod erlitt er einen schweren Sturz, der einen Spitalaufenthalt erforderte und von dem er sich leider nicht mehr erholten konnte. Damit wurde er von ungewissen gesundheitlichen Folgen verschont.
 
Abschied
Die Abschiedsfeier vom 15.03.2013 in der reformierten Kirche Suhr stand ganz im Zeichen der Naturverbundenheit von Koni, für den es keine Diskrepanz zwischen Natur und Mensch gab. Die besinnliche Feierstunde in der auf einem Hügelsporn gelegenen Kirche begann mit trillernder, an eine Nachtigall erinnernde Orgelmusik (dem Adagio von Tomaso Albinioni), meisterhaft gespielt von Susanne Doll, Basel, und die reine, geschulte Stimme von Andrea Hofsetter, Lenzburg, umrahmte die Feier ebenfalls. Die Töne erfüllten den bis auf den letzten Platz besetzten Kirchenraum mit dem Chor, der mit Masswerk und 2 farbkräftigen Chorfenstern, 1957 von Felix Hoffmann geschaffen, geschmückt ist.
 
Die Tochter, Maja Pfeiffer, erinnerte an einige Lebensdaten, gab einen Einblick ins erfüllte Leben ihres Vaters, dem alle, Familie, Freunde und Bekannte, herzlich zugetan waren und der eine grosse Lücke hinterlässt, wie sie sagte. Er wuchs zusammen mit 2 Brüdern in Zürich-Unterstrass auf, liess sich 1942 bis 1946 landwirtschaftlich ausbilden und studierte 1947 bis 1951 an der ETH Agrar-Ingenieur. Friedrich Traugott Wahlen war dort Professor für Pflanzenbau, nachdem er während der Kriegsjahre mit dem „Plan Wahlen“ für einen höheren Selbstversorgungsgrad der Schweiz gesorgt hatte. 1952 begann Konis Karriere in der Landprodukte-Abteilung des Migros Genossenschaftsbunds am Sihlquai in Zürich. Der Bio-Gedanke keimte schon damals auf. Die Migros verkaufte „Vorzugsgemüse“, das ohne den Einsatz von Gülle und mit nur wenig mineralischen und chemischen Hilfsstoffen erzeugt wurde.
 
Das privates Glück fand Koni zusammen seiner Frau Erla und den 3 Kindern. Seine Frau ist ihm bei fast allen Interessen eine einfühlsame Partnerin gewesen. So haben sie sich beide sehr aktiv im Naturschutz engagiert, und beide haben die einheimischen Vögel und Pflanzen sehr gut gekannt. Den Naturschutzgedanken hat Koni in die Köpfe alle Kinder und der 5 Enkel einpflanzen können, und dieser wurde innerhalb der Familie zum verbindenden Element. Für seine anspruchsvolle Arbeit hat Koni immer wieder im Simmental Kraft getankt, in seinem Domenriedli, einem kleinen Bauernhaus, von wo aus er mit seiner Frau dem Hobby des Wanderns frönen konnte.
 
Die letzten Jahre umschrieb Maja Pfeiffer so: „Unser Vater hat in seinem Leben viele weitere Interessen und Kontakte gepflegt - und wie das seinem Charakter entsprochen hat, immer mit Leidenschaft und Engagement. Wo er nicht mehr so mobil gewesen ist, hat er sich das Leben zu sich heim bestellt. Jede neue Einschränkung hat ihn nicht etwa dazu gebracht, zu resignieren, sondern ihn angespornt, sich nach etwas Neuem umzuschauen. So hat er vor 4 Jahren noch damit angefangen, Aquarelle zu malen. Er hat sich Bücher als Vorlagen bestellt und unermüdlich tagelang gemalt.“
 
Der Spitalaufenthalt nach dem Sturz – er lag mit einer Sauerstoffmaske im Bett – leitete das Ende ein. Tochter Maja: „Sein Kopf hatte immer noch gewollt und hat gekämpft, aber sein Herz hat nicht mehr gekonnt.“
*
Alles habe seine Zeit, sagte Pfarrer Ursus Waldmeier, Aarau. Es gebe die Zeit zu leben, und es gebe die Zeit, zu sterben. Nichts, das normaler wäre. Was zählt: Die Gestaltung seines Lebens im Dienste der Allgemeinheit unter Einbezug der Natur, zu der sie gehört. In einem Grusswort zu Konis 80. sprach Naturschutzfachmann Richard Maurer von Verantwortungsethik, die dem nunmehr Verstorbenen als Leitlinie galt.
 
 
Hinweis auf weitere Tagebuchblätter über Konrad Pfeiffer
 
Buchhinweis
Zum 80. Geburtstag von Konrad Pfeiffer ist 2006 im Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein, das Buch Konsumwelt mit Naturanschluss. Impulse gegeben und gehandelt: Konrad Pfeiffer“ erschienen. Vorwort: Georg Müller. Autoren: Gerhard Ammann, Hans Bieri, Martin Bolliger, Walter Hess, Walter Widmer, Ursula Wyss und andere.
 
Das 126 Seiten umfassende Werk kann bei Dr. Walter Widmer, Niedermattweg 10, CH-5034 Suhr/AG, bezogen werden. Tel. (+41) 62 842 53 23. E-Mail: w.widmer@ziksuhr.ch.
 
 
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