Textatelier
BLOG vom: 20.04.2013

Zauberkräuter: „Bettseicher“, Schutz- und Wundermittel

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 12.04.2013 referierten Frank Hiepe und ich über „Zauberkräuter und Kräuterzauber“ in der Buchhandlung Uehlin in Schopfheim. Es war ein gelungener Abendausflug in die Welt der Kräuter mit 40 interessierten Gästen. Die Veranstaltung, die von Frederike Katzer und Monika Franz-Gehlert initiiert worden war, hatte für ihre Gäste eine Überraschung parat: Während der Pause wurden selbst gebackenes Schnittlauch-Käse-Brot und diverse Getränke (Mineralwasser, Rotwein Salice Salentino aus Apulien I) serviert.
 
Frank Hiepe aus Zell i. W., Co-Autor unseres Heilpflanzenbuches „Arnika und Frauenwohl“, präsentierte einige Rezepte und Wissenswertes über die Brennnessel, den Löwenzahn, das Gänseblümchen, den Spitzwegerich, Bärlauch, Holunder und das Johanniskraut. Zwischen seinen Ausführungen gab ich nicht nur Fakten zu den Ursprüngen des Aberglaubens, sondern auch amüsante Geschichten über die Heilpflanzen bekannt.
 
Die einführenden Worte von Hiepe bezogen sich auf den Frühling. Nach dem langen Winter sehnten sich alle nach dem Grün und die Blüten in der Natur. „Grün steht für Neubeginn, Aufbruch und unberührte Schönheit der Natur. Grün symbolisiert Hoffnung und Heilung. Das Grün hilft Körper und Seele ins Gleichgewicht zu bringen“, wusste der Referent zu berichten. Er verwies auf eine „Gründonnerstagssuppe“, die er in seinen sehr interessanten 40 Blogs unter „Achtung Pflanze“ im Internet der „Badischen Zeitung“ (www.badische-zeitung.de) beschrieben hat. In einem kurzen Videofilm wird die Bereitung der erwähnten Suppe gezeigt. Einige Rezepte sind im Anhang aufgeführt.
 
Cocktail gegen die Frühjahrsmüdigkeit
Hiepe gab auch einen Cocktail gegen Frühjahrsmüdigkeit bekannt. Es werden dazu klein gehackte, frische Brennnesselblätter, Gänseblümchen, Girsch und Spitzwegerich in einem Mixer mit Milch, Orangensaft und einer Banane zu einem wohlschmeckenden Cocktail verarbeitet. Dann brachte er weitere Tipps gegen die Frühjahrsmüdigkeit zu Gehör. „Der Wechsel zwischen warm und kalt belastet besonders wetterfühlige Menschen. Die innere Uhr muss sich auf die länger werdenden Tage umstellen. Die beiden Hormone Serotonin und Melatonin liegen im Wettstreit miteinander. Serotonin, das Glückshormon, wird unter Lichteinfluss produziert und die Produktion des Schlafhormons Melatonin gedrosselt.“ Hiepe erwähnte dann noch die Bewegung an frischer Luft und den Verzehr von Gemüse, Obst und Vollkornprodukten, die den Winterspeck verdrängen und den Organismus von angehäuften, vorwiegend sauren „Schlacken“ befreien.
 
Danach beleuchtete der Referent die oben erwähnten Heilpflanzen im Detail. Er berichtete zum Beispiel über die grosse Heilkraft der Brennnessel, die als Tee oder Tinktur zur Anregung des Stoffwechsels, Förderung der Harnausscheidung bei Arthritis sowie Gelenk- und Muskelrheumatismus Verwendung findet. Eine heroische Massnahme war früher das Schlagen mit Brennnesseln bei Ischias, Hexenschuss und Rheuma. Heute gibt es jedoch bessere Mittel, wie Hiepe betonte.
 
Der Spitzwegerich (Tee, Tinktur, Pflanzensaft) hat sich bewährt bei Husten, Heiserkeit, Keuchhusten, Verschleimung und Asthma. Zerdrückte, frische Blätter sind zu empfehlen bei Insektenstichen, Juckreiz, Schwellungen. Im Kanton Aargau legte man früher bei Brennen zwischen den Zehen Spitzwegerichblätter auf die betreffenden Stellen und zog eine Socke darüber.
 
Der Löwenzahn hat etwa 500 verschiedene Namen. Er wirkt appetitsteigernd, stoffwechselanregend, verdauungsfördernd, gallesekretionssteigernd und mild abführend. Er ist auch ein Förderer der Harnausscheidung. Aus diesem Grunde bezeichnet man ihn vielerorts „Bettseicher“ und in Frankreich „pissenlit“.
 
„Der Bärlauch ist eine der stärksten und gewaltigsten Medizinen in des Herrgotts Apotheke   (…) Wohl kein Kraut der Erde ist so wirksam zu Reinigung von Magen, Gedärmen und Blut wie der Bärlauch“, schrieb euphorisch der Schweizer Kräuterpfarrer Johann Künzle. In der Tat wirkt der Bärlauch bei Magen- und Darmstörungen und Appetitlosigkeit. Der Bärlauch eignet sich hervorragend zu einer Frühlings-Blutreinigungskur.
 
Wir wiesen auch daraufhin, dass Bärlauchblätter mit den giftigen Herbstzeitlosenblättern verwechselt werden können. Die Bärlauchblätter kann man jedoch leicht von anderen unterscheiden: Die Bärlauchblätter riechen und schmecken knoblauchartig. Die Herbstzeitlosenblätter, die im Frühjahr aus der Erde hervorspriessen, können in der Nähe der Areale von Bärlauch wachsen. Wer schlecht sieht und eine duftende Hand von den abgerupften Bärlauchblättern hat, könnte vielleicht die Herbstzeitlosenblätter mit in den Korb legen. In der Vergangenheit gab es etliche tödliche Vergiftungsfälle. Also aufgepasst!
 
Ursprünge des Aberglaubens
Die Wurzeln liegen in der Naturverehrung und dem Glauben an eine Beseelung der Naturgegenstände (Heinrich Marzell). Besonders stark duftende Pflanzen waren früher bedeutungsvoll als Schutz- und Zaubermittel gegen Hexerei, Krankheiten und Tod. Sie brachten Glück in der Liebe und halfen angeblich gegen Kinderlosigkeit.
 
Man war überzeugt, dass Krankheiten durch dämonische Einflüsse entstehen würden und dass man diese nur mit ebenbürtigen, übernatürlichen Kräften bekämpfen könne. „In“ waren zu jener Zeit Amulette, Zaubersprüche, Beschwörungsformeln und magische Medikamente, die oft aus Heilpflanzen bestanden. Auch das Übertragen von Krankheiten auf eine Pflanze (Brombeere, Holunder, Eberesche) war weit verbreitet. Teile dieser Bräuche haben sich bis in unsere Zeit erhalten. Hier einige Beispiele:
 
Wer am Gründonnerstag Spinat, Salat oder anderes „Grünzeug“ ass, dem ging das ganze Jahr das Geld nicht aus. In bestimmten Gegenden gab es eine Kräutersuppe von 9 verschiedenen Kräutern. Wer den Gründonnerstag besonders innig als Festtag feierte, war für ein Jahr vor Zahnweh und Fieber befreit. Allfällige Beweise schlummern im Dunkel der Vergangenheit ...
 
Die Brennnessel und unfruchtbare Frauen
Wenn Brennnesseln sehr hoch wachsen, folgt ein strenger Winter. Hatten Brennnesselblätter schon im Frühjahr Löcher, drohte Hagel. Auch glaubte man, dass eine Brennnessel eingeht, wenn sie mit dem Harn einer unfruchtbaren Frau begossen wird. Brennnesselsamen soll die Männer sexuell anregen und die Frauen fruchtbar machen. Als ich das einmal während eines Vortrags erwähnte, „protestierte“ ein Zuhörer und meinte, das hiesse, es würde die Frauen furchtbar machen. Vielleicht hatte er einschlägige Erfahrungen gemacht.
 
Man zog den Hut
Der Holunder wurde früher gerne vor das Haus gepflanzt. Er diente zur Abwehr von bösem Zauber. Man hatte vor diesem Strauch eine solche Hochachtung, dass Vorübergehende den Hut zogen, wie Maria Finsterlin aus Holzinshaus berichtete. Dass dieser Brauch auch heute noch vereinzelt gepflegt wird, wusste Marlene Müller aus Ibach zu erzählen. Während eines Urlaubs oberhalb des Vierwaldstätter Sees zog ein alter Bauer seinen Hut, als er an einem Holderstrauch vorbeiging.
 
Ein Sprichwort: „Wenn du in deinem Leben an einem Scheideweg stehst, dann verbringe einige Nächte unter einem Hollerbusch oder einer Haselstaude, solange schlafe dort, bis du klar siehst, wie dein Weg Dich weiterführen soll.“
(Quelle: Dr. Petra Orina Zizenbacher: „Heilpflanzen- Apotheke aus Feld und Flur“, Freya Verlag, A-4210 Unterweitersdorf, 2003).
 
Der Holunder galt lange als Schutzbaum des Hauses. Vor der Stalltür gepflanzt, sollte er das Vieh vor Zauberei schützen. Er galt auch als hexenabwehrende Pflanze. Aber nicht nur das: Man konnte auch Hexen erkennen. „Auf der Schwäbischen Alb ging das so: In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag musste man mit dem Schlag 12 Uhr auf dem Friedhof einen Holunderzweig abschneiden und aushöhlen. Damit konnte man am Karfreitag während des Gottesdienstes die Hexen erkennen.“ Es waren unglaubliche Zustände damals. Oft wurden Heilerinnen, Kräutersammlerinnen angeschwärzt und dann gnadenlos hingerichtet, verbrannt.
 
Im Thüringer Wald sagte man: „Auf Johannistag blüht der Holler, da wird die Liebe immer toller!“ Unkeusche Mädchen bekamen von den Dorfjungs in Thüringen einen Holunderzweig ans Fenster gesteckt.
(Quelle: Vögely, Ludwig: „Der Holderstrauch, der Holderstrauch, der blüht so schön im Mai..“, „Badische Heimat“, 1982-01).
 
Wütend durchstach er das Kraut
Vom Volk besonders verehrt wurde das Johanniskraut. Dem Teufel waren diese Verehrung und die Heilkraft ein Dorn im Auge. Er wollte die Pflanze zerstören. Er durchstach die Blätter mit einer feinen Nadel und glaubte, die Pflanze würde verdorren. Aber sie hatte einen solchen starken Überlebenswillen, dass sie weiterwuchs. Nach einer anderen Sage verfolgte Satan ein Mädchen, das sich ihm verschrieben hatte. In ihrer Not erblickte sie eine Hartna“ (Volksname für das Johanniskraut) und setzte sich darauf. Der Teufel schrie erzürnt: „Hartna, du verfluchtes Kraut, du hast mir entführt meine Braut.“ Er geriet in furchtbare Wut und rächte sich an der Pflanze, indem er die Blätter mit einer Nadel durchstach.
 
Im Volk hiess die Pflanze „Hexenkraut“ oder „Teufelskraut“. Die Namen weisen daraufhin, dass das Johanniskraut bei der Teufels- oder Dämonenaustreibung Verwendung fand.
 
Seltene Gabe
Im Badischen erzählte einst eine Tochter ihrer Mutter, sie habe von der Patin gelernt, wie man Mäuse und Gewitter macht. Die Mutter war über diese Gabe nicht erfreut. Zum Glück wusste sie ein Gegenmittel. Sie nähte heimlich ihrer Tochter Dost und Johanniskraut in die Kleider. Als das Mädchen zur Patin schlich, erwartete sie schon der Teufel, um sie zu holen. Als der Teufel jedoch die Pflanzen roch, schrie er wild auf und sagte voller Zorn:
 
„Dosten und Johanniskraut,
verführen mir meine Braut!“
 
Der Teufel fuhr von dannen. Von nun an hatte er keine Gewalt mehr über das Mädchen.
 
Rezepte
Löwenzahnhonig:
Zutaten und Zubereitung: 300 g Blütenköpfe in 1 Liter Wasser kalt ansetzen, langsam zum Kochen bringen, sieden und aufwallen lassen, Topf vom Herd nehmen, mit Pergament abdecken und über Nacht stehen lassen. Blüten auspressen und durch ein Leintuch geben. Die klare Lösung mit 1 kg Zucker versetzen und eine kleine, geschälte und in Stücken geschnittene Zitrone zugeben, zum Kochen bringen und bis zur Honigkonsistenz eindampfen. Abkühlen, Zitronenschalen herausnehmen und Geleeprobe machen. Hat sich noch kein Gelee gebildet, nochmals eindampfen. Man könnte sicherlich einen Extrakt machen und dann diesen in Honig einrühren.
 
Dieser Löwenzahnhonig hilft bei Rheuma, Gicht und hat eine wohltuende Wirkung auf den Organismus.
 
Gänseblümchensuppe
Rezept vom leider schon sehr früh verstorbenen Bernd Roser („Sonnhalde“, Bürchau).
 
Zutaten für 4 Personen: 1 Schalotte, 60 g Butter, 1 Esslöffel Mehl, 0,3 l Gemüsebrühe (am besten vom Spargel), 1/8 l Sahne, 10 Esslöffel Gänseblümchen, 1  Esslöffel Creme fraiche.
 
Zubereitung: 20  g Butter erhitzen, das Mehl darin anschwitzen und mit der gewürzten Brühe angiessen. Das Ganze 10 Minuten durchkochen und Sahne dazugeben.
 
Die frisch gepflückten Gänseblümchen (ohne Stiele) mit der fein gewürfelten Schalotte in Butter anschwenken und im Mixer pürieren. Das ausgekochte Süppchen dazugeben und alles zusammen mit Creme fraiche und 40 g kalten Butterwürfeln sämig aufmixen. Das Ganze in einem Topf mit etwas geschlagener Sahen kurz aufwallen lassen und in Tellern anrichten.
 
Mit Gänseblümchen sowie frischen Kräutern garnieren und sofort servieren. Als Einlage passen frischer Spargel oder angebratene Champignons.
 
Dasselbe Rezept kann auch für ein Löwenzahnsüppchen angewandt werden.
 
Grüne Schuhsohlen
Zutaten: 500 g Kartoffeln, Gundermann, Spitz- oder Breitwegerich, Löwenzahn, Thymian, 1 Ei, Mehl, Salz, Pilze oder Schinkenwürfel.
 
Zubereitung: Gekochte Kartoffeln durch eine Presse drücken und mit den Kräutern mischen, mit einem Ei, etwas Mehl und Salz zu einer festen Masse kneten. Flache Schuhsohlen (= plantago) formen. Auf ein gefettetes Backblech legen, mit Pilzen oder Schinkenwürfeln belegen und bei 200 °C backen, bis sie knusprig sind.
 
Hinweis auf Heilpflanzen-Blogs von Frank Hiepe
www.badische-zeitung.de (40 Blogs unter „Achtung Pflanze“).
 
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