Textatelier
BLOG vom: 07.02.2014

Oasen und Rückwirker, die verkehrt in den Schuhen stehen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
 
Es gibt ein verpöntes Wort, das jeden Eindruck von Stabilität im Keime zerstört: das Adjektiv rückwirkend. Mit ihm kann man ausdrücken, dass etwas von einem bestimmten, vergangenen Zeitpunkt an gültig war. Eine rückwirkende Lohnerhöhung mag zwar höchst angenehm und willkommen sein, in der Regel ist die Rückwirkung aber ein Elend.
 
Besonders verpönt ist die Rückwirkung beim Erlass von Rechtsvorschriften. Auf neue Vorschriften und Gesetze muss man sich vorbereiten, einstellen können, und sie dürften erst ab einem in der nahen oder weniger nahen Zukunft angesetzten Zeitpunkt an in Kraft gesetzt werden. Wenn es zum Beispiel 2013 noch erlaubt war, auf einem Strassenstück mit 80 km/h zu fahren und eine Änderung auf 60 km/h im Frühjahr 2014 beschlossen wird, können doch nicht alle Motorisierten kriminalisiert werden, die 2013 erlaubtermassen die Strasse mit 80 km/h befahren hatten. Rückwirkungen dieser Art bringen die gesetzlich geordnete Handlungsweise in Unordnung, greifen in einer nicht zu tolerierenden Art in die Verhaltenssphäre des Staatsbürgers ein. Auch wenn für eine bestimmte Periode die Steuern nach dem damals geltenden Recht korrekt berechnet wurden, kann der Staat nicht plötzlich Nachzahlungen verlangen, weil er hinterher die Steueransätze erhöht hat. Die Rechtssicherheit wäre damit ausgehebelt.
 
In der Politik im umfassenden Sinne müssen dieselben Grundsätze gelten. Wenn sich jemand 1990 nach den damals geltenden Rechtsauffassungen und Verhaltensnormen korrekt verhalten hat, kann 25 Jahre später niemand kommen, sein Tun und Lassen seien kriminell gewesen, nur weil sich die Auffassungen und Rechtsmittel inzwischen verändert haben.
 
Daran kann auch die Schnelllebigkeit dieser Zeit nichts ändern, in der das Verändern als Notwendigkeit und Fortschritt gedeutet wird, auch wenn daraus ein Blödsinn nach dem anderen resultiert. Diese Manie ist eine der ekelhaften Globalisierungsfolgen unter dem Oberbegriff der erdumfassenden Vereinheitlichung, was die Führungsrolle der degenerierten „Supermacht“ USA, die niemand will, aber allen aufgedrängt wird, erleichtert. Alles wird, wenn möglich in vorauseilendem Gehorsam, auf die Befehle des grossen Bruders ausgerichtet, dessen eigenes unkorrektes Verhalten, dessen Arroganz und Strafandrohungen sowie Strafvollstreckungen grenzenlos ist, wie es zur grenzenlosen Globalisierung gehört.
 
Die heutige Veränderungsmanie setzt sich über jedes Gefühl für Recht und Gerechtigkeit hinweg. Und viele (die meisten) gleichgeschaltete Medien als Promotoren dieser verhängnisvollen Entwicklung vermischen Zeiten und Sitten nach Birchermüesli-Art. Verschimmeltes, Angefaultes und Schnee von gestern erhalten denselben Stellenwert wie frische Früchte vom Baum der Erkenntnis.
 
Die Vermischung von Zeiten und Sitten, die immer eine Art Einheit bilden, erlaubt den US-hörigen medialen Sittenwächtern, Skandalisierungen einzufädeln, die bei genauem Hinsehen nicht auf Recht und Gerechtigkeit abgestützt werden können, sondern bloss von der Vermengung älterer und moderner Hervorbringungen des Zeitgeists leben. Sie ufern aus, weil die Leitmedien von den unbedarften medialen Trittbrettfahrern bei anverwandten Publikationen, denen nichts Eigenes einfällt, die Trommel kräftig mitrühren.
 
Die Rechtsverluderung, die daraus hervorgeht, ist im Moment am deutlichsten bei Fragen rund um die Steuermoral zu beobachten. Währenddem Steueroasen nach dem Vorbild Delaware (USA) mit den Tausenden von Briefkastenfirmen beliebt und toleriert sind, verlangen linkslastige Kreise, denen das Wohlergehen der Schweiz und damit auch der Arbeitnehmerschaft ein Dorn im rot unterlaufenen Auge sind, dass sich die Schweiz selber rückbezüglich anprangert und sich im internationalen Ansehen selber den grösstmöglichen Schaden zufügt.
 
In den bisherigen Jahren war es im Wirtschaftsleben gang und gäbe, ebenso wie die Arbeitsabläufe auch die Unkosten zu optimieren, das heisst mit anderen Worten, nach allen Regeln erlaubter buchhalterischer Kniffe nach Möglichkeiten zu suchen, die Steuerabgaben auf das unumgängliche Mass zu drücken. In aller Regel geschah dies mit Wissen der Steuerbehörden, die dennoch immer darauf schauten, dass keine gesetzlichen Vorschriften übertreten wurden. Bei den ständigen technischen Revolutionen war (und ist) jede Firma gezwungen, für genügend Nachsteuer-Erträge zu sorgen, damit die Mittel für die Erneuerung der Produktionsanlagen in ausreichendem Mass zur Verfügung standen, was natürlich auch der Sicherung der Arbeitsplätze diente. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter, wenn man immer wieder erfahren muss, dass genau dies von der Führungsriege von Sozialisten, Gewerkschaften und den mit ihnen verbandelten Grünen ignoriert wird. Sie haben gern unzufriedene Arbeiter, die man auf Demonstrationsschlachtfelder führt, wo man sich produzieren und grosse Reden schwingen kann. Damit soll allerdings nichts gegen berechtigte und nötige Aktionen dort gesagt werden, wo effektive Missstände in der Arbeiterschaft angeprangert und behoben werden müssen; auch das gibt es.
 
Ein Skandalisierungsopfer ist im Moment Bundesrat Johann Schneider-Ammann, der gewissermassen in die weltweit tätige, angesehene Langenthaler Maschinenfabrik Ammann hinein heiratete, und der offenbar auch talentierte Steuerberater beschäftigte. Diese wurden unter anderen Oasenstandorten wie Luxemburg und Jersey auch auf die steuerparadiesischen Cayman-Inseln in der Karibik aufmerksam, die sonst wegen ihrer Echsen und Schildkröten bekannt sind und 1503 von Christoph Kolumbus auf einer seiner Irrfahrten entdeckt wurden. Das Christentum hat den heute knapp 50 000 Einwohnern die Religion aufgezwungen und sie gelehrt, was Geschäftstüchtigkeit bedeutet. Die Hauptstadt Georgetown hat diese so sehr verinnerlicht, dass hier der fünftgrösste Finanzplatz der Welt entstanden ist, auch dank Ammann-Unterstützung. Natürlich kann man sagen, mit Johann Schneider habe es den Richtigen getroffen, zumal er im Bundesratskollegium an der Demontage des rückgratlosen Schweizer Bankgewerbes beteiligt war und den Finanzplatz Schweiz in saubermännischer Manier zusammen mit Eveline Widmer-Schlumpf heruntermachte, was nie nachvollziehbar war. Er hat wegen seiner heimtückischen, inkonsequenten Haltung die Strafe verdient. Doch geht es nicht um Einzelfälle, ob sie nun marginal oder gravierend sein mögen, sondern um Grundsätze von internationalem Anspruch.
 
Die enormen Dimensionen von ausgelagerten Finanzplätzen sind ein Indiz dafür, dass das Steueroasenwesen, an dem auch die Schweiz mit abnehmender Bedeutung beteiligt ist, ein ins Gewicht fallender Bestandteil der Weltwirtschaft darstellt. Der Fachautor Hans-Lothar Merten aktualisiert sein Buch „Steueroasen“ alljährlich (Walhalla-Fachverlag, Regensburg). So umfasst die „Ausgabe 2013“, die neue Einblicke in die Offshore-Welt vermittelt, immerhin rund 550 Seiten. Daraus geht (auf Seite 344) hervor, dass Delaware USA die „grösste Steueroase auf dem Globus“ ist. Mitte 2012 seien über 3.5 Billionen USD in den schwarzen Löchern der USA (Florida, Montana, Nevada, Texas, Utah und Wyoming) und insbesondere in Delaware angelegt gewesen. Darüber darf nicht gesprochen werden (US-Missstände sind bei den Verbündeten ein Tabu). Wegen der Verarmung des Staatshaushaltes, vom Kriegstreiber Barack Obama kraftvoll gefördert, werden Steuerprivilegien allmählich gekillt, um in der landesüblichen Sprache zu sprechen. Allerdings müssen insbesondere in Delaware von den nicht in den USA ansässigen Unternehmen ausserhalb dieses Bundesstaats erzielte Gewinne nicht versteuert werden.
 
Bisher war es üblich, dass sich die Weltwirtschaft in solchen Bereichen tummelte. Insbesondere waren und sind Steueroasen rettende Inseln, wenn sich Staaten beim Abschöpfen von Gewinnen keinerlei Zurückhaltung auferlegen und Industriebetriebe (wie in der Schweiz) noch gezwungen werden, Kirchensteuern abzuliefern, was ja jedem Weihwasserfass den Boden ausschlägt. Was für eine Religion hat ein Industrieunternehmen?
 
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ist seit einigen Jahren dabei, ihr in anderen Sektoren eingeleitetes Zerstörungswerk auch bei der Unternehmensbesteuerung fortzusetzen, indem sie sich Ansprüchen aus dem Ausland wenn immer möglich unterwirft. Bei diesem Vorgehen hat sie als SVP-Gegnerin in den meisten Medien willfährige Helfershelfer gefunden. Und wenn alles nicht hilft, wird von den Medien zwecks Beachtungssteigerung Zuflucht zur Rückwirkung genommen; man misst, was einst war, mit den heutigen Massstäben.
 
Die Vermengung der Geschichte mit der heutigen Sichtweise hat zur geistigen, politischen und wirtschaftlichen Verluderung geführt, zu einer unheilvollen Destabilisierung im Denken und Handeln. Die Folgen von solch einem Verhalten sind selbst im Privaten verheerend. Wenn ich meine Eltern oder andere Figuren aus vergangenen Zeiten beurteile, dann ist es nicht mehr als ein Akt der Fairness, das damalige Handeln im Lichte des einstigen Umfelds und Zeitgeists zu werten. Und wenn ich dazu ausserstande bin, habe ich gefälligst den Mund zu halten.
 
Und ihren Mund etwas mehr halten oder doch zumindest sich gründlicher über das Geschehene informieren, sollten Politiker und Medienschaffende, die sich gelegentlich wieder einmal an ihre Sorgfaltspflichten erinnern dürften ...
 
...rückwirkend und vorausschauend.
 
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