Textatelier
BLOG vom: 04.09.2015

Die Villa Aurora in Trsteno (Kroatien)

Autor: Dr. H. L. Wessling, Osteuropahistoriker und Slawist, Deutschland


 

Trsteno - die im Krieg zerstörte Villa Aurora

Trsteno die im Krieg zerstörte Villa Aurora

Das späte Aufsuchen von Orten, an die man aus der Vergangenheit eine wie auch immer geartete besondere Erinnerung hat, rechtfertigt nur selten die Vorfreude, die einen bis zum Wieder-Erreichen des Zieles begleitet.

Auf dem Landweg nach Dubrovnik, die alte Adriamagistrale herunter – die neue kroatische Autobahn A 1 endet bereits in Ploce, dann folgt der kurze bosnische Küstenabschnitt bei Neum –, also nach etwas geduldaufwändiger Ausreise HR-Einreise BiH-Ausreise BiH-Einreise HR passiert man rechter Hand die aufsteigenden Bergrücken der Halbinsel Peljesac mit den Überresten der Schutzmauern, die die Republik Ragusa (Dubrovnik) im 16. Jhd. aus Angst vor osmanischen Übergriffen quasi präventiv errichtet hat. Die süddalmatinische Küstenlandschaft wird immer sichtbarer von subtropischer Flora dominiert, die Strandkiefer immer häufiger ergänzt durch Palmen, Johannisbrotbäume („rogac“ ist ein beliebter Grundstoff für Schnaps und Likör), ja sogar Zitronen und Mandarinen wachsen dort.

Den magischen Ort meiner Erinnerung erreiche ich wenige Kilometer später, nachdem ich den Badeort Slano passiert habe, im kleinen Trsteno, nur noch gefühlte 15 Autominuten von Dubrovnik entfernt, dem allgegenwärtigen Ziel des Massentourismus in Kroatien.

An der alten, bereits im 16. Jhd. gepflanzten Platane in der Ortsmitte mache ich halt und begebe mich zu Fuss das kleine Strässchen hinunter, das von dort Richtung Meer führt. Nach hundert Metern stehe ich am Eingang des Arboretums, zahle 50 Kuna Eintritt, einen ausführlichen Plausch mit der Dame an der Parkkasse inklusive, und erinnere mich an das Jahr 1979, als einem deutschen Studenten der Geschichtswissenschaft und Slawistik auf Auslandssemester in Jugoslawien an gleicher Stelle eine wunderschöne Äskulapnatter über den Weg lief.

Das Arboretum ist eigentlich ein botanischer Garten, den die Dubrovniker Patrizierfamilie Gozze, kroat. Gucetic, im Jahre der Entdeckung Amerikas, also 1492, mit Bäumen und Sträuchern aus aller Herren Länder bepflanzt hat. 500 Jahre altes Gestrüpp, eine kleine Kapelle, etwas später um 1600 erbaut, ein Hauptgebäude und als Highlight der Neptunbrunnen.

Trsteno Arboretum Neptunbrunnen 17. Jhd.

Trsteno Arboretum Neptunbrunnen 17. Jhd.

Das Ziel meiner Reise liegt allerdings etwa 800 Meter unterhalb des Parks. Ein scheuer erster Blick nach unten. Natürlich war ich vorinformiert: Presseberichte, Kontakte mit kroatischen Freunden und Kollegen, Internetrecherche, die Kartenverkäuferin am Eingang zum Arboretum.

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Die Villa Aurora, die sich mit einem traumhaften Strand unter Palmen und Kiefern auf einem Gelände von 17.500 Quadratmetern erstreckt, war schon immer ein mystisches, verwunschenes Anwesen. Sie wurde 1906 von einem Nachfahren der Parkgründer, Vito Basegli-Gozze, im neoklassizistischen Stil erbaut und nach zwei Verkäufen an wohlhabende Geschäftsleute (zuerst an Niko Nardelli und 1924 registriert unter Milorad Dimitrijevic) nach dem Weltkrieg 1955 vom Staat Jugoslawien enteignet und per Dekret im Jahre 1964 der Teilrepublik Bosnien/Herzegowina zugeschlagen, die diese wunderschöne Anlage für Parteitreffen und Erholung der „Staatsbediensteten“ nutzte. Im Klartext heisst das: dort haben die bosnischen Parteibonzen gesoffen, gefeiert und sich (eher weniger mit den eigenen Ehefrauen) vergnügt!

In jener Periode hatte ich das Glück, als einziger Gast eine Nacht in diesem pittoresken, damals noch vollständig intakten Ambiente verbringen zu dürfen. Exakt an jenem warmen Herbsttag im Oktober 1979, ein Jahr vor Titos Tod, war die Villa kurzfristig für Gäste geöffnet. Der Profitant war ein deutscher Student mit brauchbaren Serbokroatischkenntnissen und einem Institutsausweis der Universität Zagreb ausgestattet, was in Kombination als Türöffner diente.

Da der neue Staat Kroatien das Problem des Fremdbesitzes (Altimmobilien aus der Zeit Jugoslawiens, die früher anderen Teilrepubliken gehörten, welche nun Ausland sind) auf seinem Territorium bis dato nicht gelöst hat, wurde die Villa bedauerlicherweise zum Objekt bürokratischen Nichtstuns und begann zu verfallen.

Während des Bürgerkriegs wurde sie von Truppen der JNA (Jugoslawischen Volksarmee = Serben und proserbische Sympathisanten) teilweise zerstört, kroatische Einheiten haben sie im Juni 1992 zurückerobert und ausgeplündert, was noch übrig war. An den Wänden befinden sich Graffitis der Soldaten mit Texten wie "Todesgrund" und "Grabstätte", teilweise in englischer Sprache.

Zerstörungen der Villa Aurora durch den jugoslawischen Sezessionskrieg inklusive eines der Soldatengraffitos

Zerstörungen der Villa Aurora durch den jugoslawischen
Sezessionskrieg inklusive eines der Soldatengraffitos

2001 wurde die Villa dem bosnischen Roten Kreuz übertragen. Ein unzerstörter Teil des Hauptgebäudes diente kurzfristig als Erholungsheim auf quasi fremdem Territorium. Der neue kroatische Staat hat dem irgendwann aber einen Riegel vorgeschoben.

2004 hat der Hollywood-Mime John Malkovich der Regierung in Sarajevo 3 Mio. Dollar als Kaufpreis angeboten (für eine Ruine!!!!) und sich schriftlich verpflichtet, das Anwesen vollständig zu restaurieren und (zeitweise) als Nobelherberge für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen.

Sentimentale Gefühle mögen der Grund gewesen sein. Sein Grossvater stammte aus der Region, das Entdeckungsjahr Amerikas usw. usw.

Nach einigem Hin und Her hat die bosnische Regierung, die selbst kein Geld für eine Renovierung hat, das Kaufangebot abgelehnt.

Was mir die Dame am Parkeingang verschwiegen hat: Im letzten Jahr (11.04.2014) ist der Rest der Villa fast vollständig ausgebrannt. Bilder der Löscheinsätze der Dubrovniker Feuerwehr sind im Internet zu betrachten. Immerhin ist der Villaeingang mit dem charakteristischen kleinen Torbogen (Seetor) und dem kleinen Rondell, auf dem der Gründer angeblich mit dem Feldstecher auf die Insel Lopud hinübergeschaut haben soll, um eine seiner Geliebten zu erspähen, unzerstört geblieben. In Trsteno munkelt man von vorsätzlicher Brandstiftung.

Immer wieder haben Plünderer die Villa aufgesucht. Das Gebiet unterhalb des Arboretums wurde und wird von den Einwohnern Trstenos grundsätzlich aus Angst gemieden. Die Alten in Trsteno betrachten die Villa als unheimlichen Ort, wo es nicht mit rechten Dingen zugeht. Der historische Kronleuchter aus dem 17. Jhd., der noch von der Erstausstattung des  Gründers Basegli-Gozze stammte und unter dem ich weiland speisen durfte, sei einfach über Nacht verschwunden.

Vielleicht hätte Stephen King die Villa kaufen sollen, um sich dort zu neuen Horrorromanen inspirieren zu lassen. Etwas oberhalb der Strasse durch Trsteno hat ein kroatisch-italienisch-österreichisches Hotelkonsortium eine neue "Villa Aurora" gebaut. Ein hässlicher, schnell hingeschusterter Mini-Nachbau ohne jegliches Flair, aber mit Marmorpool und allem Schnickschnack. Bei booking.com für 13 390 € pro Woche zum Schnäppchenpreis zu buchen.

Sic transit gloria mundi – so geht der Ruhm der Welt dahin! Was mich bei der Rückkehr zum Parkplatz an der Platane bewegte, ist das, was der Brite „in my mind’s eye“ nennt, Kopfkino mit Bildern aus anderen Zeiten. Dabei ging mir der Slogan des kroatischen Tourismusverbandes durch den Kopf: „Die Adria, wie sie früher einmal war“. Nichts ist so „wie früher“, schon gar nicht nach Kriegen, die unendliches Leid über die Menschen gebracht haben.

Aber nichtsdestotrotz, Trsteno mit seinem Arboretum und der Villa-Ruine ist immer eine Reise und für alle, die nach Dubrovnik unterwegs sind, zumindest eine Stippvisite wert. Einfach an der Platane parken und aussteigen! Wer weiss, vielleicht gelingt es ja einem, der bessere Karten bei der bosnischen Regierung hat, die Villa zu kaufen und restaurieren zu lassen. Ich denke da an Bosniens Fussballstar Edin Dzeko, falls der eines Tages einen Altersruhesitz braucht.

 
 

 


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