Textatelier
BLOG vom: 22.06.2017

Blütenarme Landschaft lässt Insekten hungern

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D

 


Grüner Scheinbockkäfer
 

Schon vor geraumer Zeit warnte der NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.) vor einem alarmierenden Rückgang blütenbestäubender Hummeln, Wildbienen und anderer Insekten. Allein in Nordrhein-Westfalen ging in den letzten 15 Jahren die Biomasse der Fluginsekten um bis zu 80% zurück. Naturschützer befürchten in anderen Bundesländern ähnliche Entwicklungen.

Sicherlich erinnern sich Autofahrer an das Windschutzscheiben-Phänomen. Nach Autofahrten war die Frontscheibe voll von Insekten. Manchmal musste man anhalten, um die Scheibe zu reinigen. Heute ist es ganz anderes. Bei Fahrten sind die Windschutzscheiben sauber wie zu Beginn einer Fahrt. Das erfreut die Fahrer, aber die Naturschützer  sind nicht glücklich. Sie beobachten schon länger einen dramatischen Rückgang der Insekten.

Auch bei Exkursionen sehe ich kaum noch Schmetterlinge, Käfer und Bienen. Auf der Exkursion in die Rheinauen bei Rheinweiler und Bad Bellingen sah ich nur einen einzigen Schmetterling, ebenso bei unserer Waldexkursion oberhalb von Maulburg (Landkreis Lörrach).

Besonders Wildbienen hungern
Es sind blütenarme Wiesen und Feldsäume, die Wildbienen (dazu gehören auch die Hummeln) hungern lassen. Früher gab es reichlich Futter. Wiesen, Weiden und Äcker boten eine Vielzahl von Blüten an. Wir sahen viele Pflanzen wie Klatschmohn, Kornblumen, Kamille, Wiesenkerbel, Nachtkerze, Wiesenkopf, Witwenblume, Kleearten, Wegwarte, Margeriten, Johanniskraut, Goldrute, Lichtnelken, Weidenröschen und Königskerzen.
Heute sind diese Blumen kaum mehr anzutreffen, vielleicht noch auf Schuttplätzen und vereinzelt am Wegesrand. Bei einer NABU-Exkursion auf dem Läufelberg sah ich nur eine einzelne Kornblume am Rande eines Getreidefeldes und vereinzelte Klatschmohnpflanzen am Wegesrand.
Auch beim Gang durch Schopfheim konnte ich nur einige blühende Pflanzen an Bahndämmen, am Rand von Bächen und auf nicht gemähten Strassenbegrenzungen sehen. Zum Glück pflanzte die Stadtgärtnerei in der Mitte von Kreisverkehren Blütenpflanzen und eine Heilpflanze, den Lavendel, an. Viele Zonen in der Stadt waren zubetoniert oder mit Einheitsgras überwachsen.

Auch in den Zwischenräumen der Reben oberhalb von Fischingen und auch anderswo,  sahen wir nur Gras und keine Wildblumen. Im Mai entdeckten wir vielleicht noch Löwenzahnpflanzen. Aber diese stehen den Insekten als Nahrungsquelle nur kurze Zeit zur Verfügung.

Heute ist es leider so, dass sich intensiv gedüngte Grünländer fast nur  noch aus Hochleistungsgräsern zusammensetzen. Es wird sogar der Löwenzahn mit einem speziellen Herbizid bekämpft. Laut NABU schadet dieses auch dem Klee.
Auch die mehrfache Wiesenmahd und die Mahd von Strassen- und Wegböschungen gehen wichtige Blütenstandorte für Wildbienen verloren.
Auch im privaten Bereich ist nicht immer eine biologische Vielfalt gefragt. Angestrebt wird in so manchen Gärten ein englischer Rasen. Es soll ja alles so sauber und steril aussehen. Da freut sich auch so mancher Nachbar.
NABU empfiehlt für unsere Gärten dies: Anstelle von farbenprächtigen, aber nektararmen Hybriden sollte man nektarreiche, wilde Blütenpflanzen pflanzen.
Hier ist ein Umdenken anzustreben. Es gibt nämlich sehr gute Blütenpflanzenmischungen. Es ist eine Auswahl an Blütenpflanzen, die nicht auf einmal blühen, sondern in Abständen. Dann haben unsere Bienen und Insekten Nahrung von Frühjahr bis in den Herbst hinein.

„Wenn es nicht gelingt, wieder mehr Blütenpflanzen als Hauptnahrungsquelle dieser wichtigen Insekten in die Landschaft zurückzubringen kann das Fehlen dieser Arten die Bestäubung von wilden Blütenpflanzen und Obstbäumen ernsthaft gefährden“. Dies befürchtet der NABU-Wildbienenexperte Hans-Heinrich von Hagen.

Etwa 80 % unserer heimischen Pflanzen sind auf Bestäubung angewiesen. Der volkswirtschaftliche Nutzen durch Bestäubung weltweit beträgt 265 Milliarden Euro pro Jahr (SWR Fernsehen).
Nähere Infos auch in meinem Blog vom 10.06.2017 („Wichtige Bestäuber: Lebensräume für Wildbienen erhalten“).

Der NABU fordert Gemeinden, Strassenbauverwaltungen und Landwirte auf, durch eine naturnahe Pflege von Weg- und Strassenrainen wertvolle Kleinstrukturen für Blütenpflanzen und Wildbienenbruten zu erhalten. NABU empfiehlt sogar Förderprogramme, um die blütenreichen Wiesen, Weiden und Stilllegungsflächen zu fördern.
„Einen wichtigen Beitrag für Hummeln und Wildbienen leistet auch der Ökolandbau, der durch die Einsaat von Klee die wichtigste Nahrungspflanze von Hummeln fördert.“

Sind Insektizide schuld?
NABU fordert, man solle doch endlich mal die kritischen Insektizide unter die Lupe nehmen und intensiv überprüfen.
Zurzeit stehen die Neonicotinoide an den Pranger. Die EU-Behörde hat 2013 das vorläufige Verbot erlassen. Die Hersteller dieser Produkte, Bayer und Syngenta, können das Verbot der fraglichen Substanzen nicht nachvollziehen. Die Hersteller bemängelten die meisten Studien, da die Bienen mehr Gift erhielten als in der Natur möglich. Auch kritisierten sie, dass die Studien unter Laborbedingungen mit einzelnen Honigbienen durchgeführt wurden.
Das verfälsche die Ergebnisse, meint auch Jens Pistorius vom Julius-Kühn-Institut:
„Im Labor kann man einige Effekte generieren, die so mit Bienenvölkern oder auch mit Hummelvölkern oder auch einzelnen, solitär lebenden echten Bienen dann wiederum nicht reproduzierbar sind.“
Es ist klar, warum die erwähnten Hersteller von Insektiziden Verbote beklagen. Bayer hat dann in Europa Verluste von 80 Millionen Euro im Jahr zu erwarten.

Eine wasserdichte Untersuchung
Schwedische Forscher um Maj Rundlöf von der Universität in Lund legten nun eine wasserdichte Untersuchung vor. Die grosse Studie wurde unter realistischen Bedingungen durchgeführt.
16 Rapsfelder in Südschweden wurden kontrolliert: Auf 8 Feldern säten Bauern Raps mit Neonicotinoiden. Die 8 Vergleichsfelder waren unbehandelt. Die Forscher beobachteten das ganze Jahr Bienen- und Hummelvölker. Hier die Ergebnisse: Die Bienenvölker entwickelten sich auf allen Feldern gleich gut.
Bei den Hummeln war das Ergebnis ganz anders: Die Hummeln, die auf den behandelten Feldern ihre Nahrung suchten, wuchsen beinahe gar nicht. Die Dichte der Wildbienen nahm ab. Sie erzeugten auch weniger Brut.
Auf den Kontrollfeldern gediehen sie prächtig. „Wir schliessen aus unserer Studie, dass Saatbeize mit Chlothianidin einen negativen Effekt auf Wildbienen hat“, so Maj Rundlöf.
Warum Honigbienen besser abschnitten, erklärten die Wissenschaftler so, dass die Völker grösser seien und besser Verluste kompensieren können. „Honigbienen scheinen sich auch besser entgiften zu können als Wildbienen“, erklärte Rundlöf. Er schliesst  negative Langzeiteffekte der Insektizide bei Honigbienen nicht aus.

Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) will noch in diesem Jahr eine Neubewertung durchführen. Wie unter www.sueddeutsche.de zu lesen ist, will die EU-Kommission für Bienen schädliche Stoffe verbieten. Aber diese Entscheidungen können dauern.

Auf jeden Fall deutet einiges darauf hin, dass bestimmte Insektizide doch einen negativen Einfluss auf die Gesundheit der Bienen haben könnten. Es muss weiter geforscht werden. Die neueste Untersuchung wurde vom SWF Fernsehen berichtet. So wirkten Neonicotinoide sich negativ auf das Gehirn und das Nervensystem der Bienen ein.

 


Schwebfliege und Veränderliche Krabbenspinne
 

Anmerkung zum Foto: Es handelt sich hier nicht um eine Biene, sondern um eine Schwebfliege der Gattung Eristalis. Auch diese Fliege ist als Bestäuber unterwegs.
Darunter sieht man auf der Baldrianpflanze eine Veränderliche Krabbenspinne (Misumena vatia). Die Krabbenspinne wurde von Dr. Peter Jäger von der Arachnologie-Sektion am Senckenberg in Frankfurt a. M. bestimmt. Die Bestimmung der Fliegenart stammt von Matthias Helb.

Internet
http://www.njuuz.de/beitrag38795.html (Wildbienenretter-Projekt geht an den Start!)
www.swr.online.de
www.nabu.de
www.wildbienen-kataster.de
www.bluehende-landschaft.de
www.mlr-bw.de
www.bund.net
www.wildbienen-futterpflanzen.de
www.agrarheute.com/news/zehn-fakten-neonicotionoidende.wikipedia.org/wiki/Neonicotinoide
http://www.njuuz.de/beitrag38795.html (Wildbienenretter-Projekt!)

Artikel im Internet
SWR2 Forum: „Tod im Grün“ – Das Insektensterben und die Folgen.
SWR2 Wissen: „Wie Mensch und Natur die Insekten bedrohen“.
SWR2: „Immer weniger Bienen, Schmetterlinge, Käfer“ (Gabor Paal im Gespräch mit Prof. Wolfgang Wägele, Direktor des Forschungsmuseums Alexander Koenig, Bonn).
NABU: „Sag mir, wo die Blumen sind…“ (blütenarme Wiesen und Feldsäume lassen Wildbienen hungern“).
NABU: „Dramatisches Insektensterben“ – Rückgang um 80% in Teilen Deutschlands.
„Die Welt“ vom April 2015: „Landwirtschaftinsektizide verantwortlich für Bienensterben?“

Literatur
Helb, Matthias: „Insekten – überlebensgross“, Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2016.
Westrich, Paul: „Wildbienen – Die anderen Bienen“, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München 2015.

 


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