Textatelier
BLOG vom: 26.11.2017

Überlegungen zur Sprachverwirrung beim Turmbau von Babel

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Die Bibel, Das Alte Testament, Genesis 11, 1-9

Alle Welt hatte nur eine Sprache und dieselben Laute. - Als man von Osten her aufbrach, fand man im Lande Sinear eine Ebene und wohnte daselbst. - Dann riefen Sie: Auf! Lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht!

Wir wollen uns einen Namen machen, damit wir nicht in alle Welt zerstreut werden! - Der Herr aber fuhr herab, um sich die Stadt und den Turm, den sich die Menschen erbaut hatten, anzuschauen. - Der Herr sprach: Siehe, sie sind ein Volk und nur eine Sprache haben sie alle, das ist aber erst der Anfang ihres Tuns. Nichts von dem, was sie vorhaben, wird unmöglich sein. - Wohlan, lasst uns hinabsteigen! Wir wollen dort ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr die Rede des andern versteht! - Und der Herr zerstreute sie von da aus über die ganze Erde hin, sie hörten mit dem Städtebau auf.- Darum heisst die Stadt Babel, denn dort hat der Herr die Sprache der ganzen Welt verwirrt, von da aus hat er sie über die ganze Erde hin zerstreut.

Ein seltsamer Text. Als Grund für die Sprachverwirrung wird angeführt, die Menschheit soll nicht mehr imstande sein, weitere Vorhaben auszuführen, mit einem simplen Trick.

Es ist rund herum misslungen! Ohne darauf einzugehen, was es denn mit der Ursprache auf sich hatte, ob es sie überhaupt gegeben hat, inzwischen hat sich in vielen Ländern der Erde neben der Landessprache, neben den Untersprachen, neben den Dialekten, eine Sprache durchgesetzt: die Weltsprache Englisch.

Wie sollte das passieren: die Sprache verwirren? Hatten die Menschen ihre Muttersprache, die sie ab den Kindheitstagen gelernt und gesprochen haben, vergessen? Warum sollte ein höheres Wesen so etwas tun? Wieso musste der Herr dafür hinabsteigen?

Oder wollte Moses einfach nur eine Erklärung dafür geben, dass es schon damals verschiedene Sprachen gab, und er keine Ahnung davon hatte, wie sie entstanden sind und sich entwickelt haben?

Ach ja, zum jüdischen Fest Schawuot, an dem der Apostelgeschichte im Neuen Testament zufolge Petrus predigte, kam der Heilige Geist über alle, die das Wort hörten. Auch über die Heiden wurde die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen, denn sie hörten, wie sie in Zungen redeten und Gott verherrlichten. Wer möchte das nicht, von eine zur anderen Minute andere Sprachen lernen und darin sprechen können?

Es gibt zwar in vielen anderen Kulturgeschichten Erzählungen von Turmbauten, aber in Verbindung mit dem Thema Sprache ist die Bibel einmalig. Babylon lag im heutigen Irak am Euphrat, etwa 90 km von Bagdad entfernt. Der Name stammt aus dem Mesopotanischen und bedeutet Tor Gottes.

In der jüdischen Tora und dem christlichen Alten Testament wird für das antike Babylon der hebräische Name Babel verwendet, gedeutet als angelehnt von bâlal' „überfliessen, vermischen, verwirren“.(Wikipedia)

Schon zum Ende des 3. Jahrtausends v.u.Z. gab es eine Erwähnung des Ortes. Die dort gesprochene Sprache entstammt der afroasiatischen Sprachenfamilie, die sich seit Ausbreitung der Landwirtschaft ausgehend von Jericho (hypothetisch) entwickelt hat und sich über ganz Nordafrika, Arabien bis zur heutigen Türkei erstreckte. Sie umfasst altägyptisch, die Berbersprachen, als auch die semitischen Sprachen, deren Usprung man zuweilen in Arabien vermutet.

Es ist natürlich interessant, darüber zu forschen, ob es eine adamitische Ursprache, eine so genannte Proto-Weltsprache, je gegeben hat. Darüber haben sich die Menschen schon früh Gedanken gemacht. Es gibt Überlieferungen aus China (der Urkaiser Schin-Hoang), aus Indien (der Vata-Baum), bei den Persern (Ahriman, der Geist der Finsternis soll aus der Ursprache 30 verschiedene gemacht haben). Aber auch in unseren Breiten hat es Sagen gegeben, dass es in der Urzeitnur eine Sprache gegeben habe, etwa bei den Esthen, den Druiden und in Irland, in der sie Gortigheam genannt wurde.

Die Evolution der Sprachen ist ein spannendes, umfangreiches, vielfältiges und noch längst nicht abgeschlossenes Forschungsgebiet.

Etymologie ist die Frage nach der Wortherkunft in einer Sprache. Schon griechische Philosophen in der Stoika fragten, wie die Dinge zu ihren Namen gekommen sind. Wortgeschichte ist spannend. Sie zeigt auf, wie sich Sprache wandelt, wie Wörter aus anderen (Ur-)Sprachen entstanden sind und sich verändert haben. Der Wortschatz verändert sich durch historische, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklung, durch Forschung und Erfindungen, durch Anleihen bei anderen Sprachen, bei der Jugend, in den Fachsprachen, im Journalismus und anderswo. Schon nur eine Sprache genau zu kennen, bedarf eines ganzen Lebens, und auch das reicht nicht aus.

Was wären wir ohne Sprache(n)? Eine Sprache, die - zumindest in den Grundzügen - von vielen Menschen auf der Welt gesprochen wird, führt auch zur Völkerverständigung, will man aber sich intensiver mit der jeweiligen Kultur befassen, bleibt es unerlässlich, die Landessprache(n) zu lernen. Und so freue ich mich über den Wissensdrang der jungen Leute, die sich mir anvertraut haben, Deutsch zu lernen. Ich versuche, ihnen nicht nur Wörter und Grammatik zu vermitteln, sondern auch immer dazu ein wenig Kulturelles, Märchen und Sagen, Redewendungen und Umgangssprache, Literatur und jüngste Entwicklungen der Sprache. Ich finde es schön, dass nicht nur der berufliche Bezug im Vordergrund steht, sondern auch der soziale. Und wie kann man besser eine Sprache lernen, als mit den Muttersprachlern zu kommunizieren?

Quellen
R.G. Ingersoll, Die Irrtümer Mosis, Leipzig. o.J.  (Der Autor lebte von 1833-1899)
Arnold Wadler, Der Turm von Babel, Lizenzausgabe Fourier Verlag Wiesbaden, o.J. (Vorwort von 1935)
Spektrum der Wissenschaft, Dossier Die Evolution der Sprachen, Heidelberg, 2007

 


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