Apostroph's: Der Deppen-Plural blüht
Hi Fan’s! Zu den Anglizismen gehört der Gastronomie-Genitiv nach der Art von McDonald's, eine Art Sächsischer Genitiv. Selbstverständlich sind die hiesigen unbedarften Englisch-Anbeter über diesen echten Anglizismus hinausgeschossen und hängen bei der Mehrzahlbildung bald einmal überall die Apostrophen-Katastrophe an, selbst wenn das nicht einmal die Engländer und Amerikaner tun: Heidi’s Freunde, CD's, Handy's, Snack's, Tee's, Info's – bis zum Seelach's. Sie tun es wahrscheinlich, weil sie in vorauseilendem Gehorsam meinen, die Amis täten es auch.
Ein ähnlicher prachtvoller Deppen-Plural fand sich laut „Der Spiegel" (26-2000) in der Bettenabteilung eines Kasseler Kaufhauses: „Matratze'n.“ Wahrscheinlich ist dort gerade eine der Sprungfedern gebrochen. Schliesslich gibt es bereits auch den Bauer’n-Hof und den Weihnacht’s-Baum. Das Auslassungszeichen scheint jedenfalls übermächtig zu sein. Die Studiengemeinschaft Darmstadt hat dieses Phänomen garantiert satirefrei auf den Punkt gebracht: „Wissen ist Macht, nicht’s Wissen macht aber auch nicht’s!“
Das Internet begegnet dieser Zeiterscheinung seit Jahren mit einer Apostroph-S-Hass-Seite von Daniel Fuchs: http://www.apostrophitis.de, erkennt aber keinerlei Besserung, sondern die Seuche weitet sich ständig aus. Fuch’s kämpft gegen die Resignation. Gerd M. Hofmann ist ein weiterer bekannter Apostroph’s-Gegner: http://www.apostrophen-alarm.de/ Im Internet finden sich auch andere Seiten zu diesem Thema: „Gruselapostroph“, „Rette’t de’n Apostroph!“
Die Befürchtung, dass die Duden's nachziehen werden, war nicht von der Hand zu weisen und ist jetzt mit der Ausgabe 2006 teilweise geschehen: Der Duden hält zwar daran fest, dass es im Deutschen kein Genitiv-S mit Apostroph gibt. Aber er sagt auch, dass diese Kombinaltion erlaubt sei, um beispielsweise einen Eigennamen hervorzuheben wie Maria’s Waschsalon.
Denn – und das ist keine Posse[1] − selbst die Grufties aus der altehrwürdigen Duden-Familie verfielen der neusprachlichen Katalogisierungsmanie. Der Duden zeigt heute ohnehin weniger, wie es sein müsste, sondern, wie es ist, egal ob sinnvoll oder eindeutig falsch, und er lässt dementsprechend mehrere Möglichkeiten offen, ohne zwingende Vorschriften zu machen. Vielleicht ist diese Haltung aus der Not heraus geboren, weil die Sache selbst den Neuschreibungs-Germanisten aus dem Ruder gelaufen ist – und mehr als das: Mit offensichtlichen sinnstörenden Fehlleistungen trugen sie höchstpersönlich zur Verunsicherung bei. Mit den vergangenen Sprachreformen ist der deutschen Sprache ein nicht mehr gutzumachender Schaden zugefügt worden. Die innovative „Alles-neu-Mentalität“ bei Vernichtung traditioneller Werte hat alle Bereiche des kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Lebens erfasst. Nun muss man sich mit den kranken Zuständen in allen Lebens- und Überlebensbereichen halt einigermassen zu arrangieren suchen.
Das farbenfroh aufgemachte, megatrendige „Wörterbuch der Szenesprachen" erklärt voll krass, wie den Kids heute der Schnabel wächst, wie man sich in Clubs, auf der Strasse und im Internet unterhält, um sich abzugrenzen; schliesslich ist das Englische die instrumentelle Sprache des Netzes.
Die häufig gruppentypischen Jugend-, Szene-, Computer- und Funsport-Begriffe im erwähnten Buch stammen – wie könnte es auch anders sein – vor allem aus dem Amerikanischen, eine weitere Kapitulation nicht nur vor der Macht der Strasse, sondern vor der Amerikanisierung. Statt eine eigene Identität zu finden, verliert man sich in den trostlosen Niederungen der kulturellen Einebnung. Die Trendwörter müssten laut dem Mitautor Dirk Nitschke aus dem Trendbüro in Hamburg „innerhalb der Jugendkultur Strahlkraft haben“, und durch das 200-seitige Buch wird ihnen geradezu so etwas wie ein cooler Heiligenschein verpasst, den sie nicht verdienen.
Wer etwas gegen die Fremdwörterei einzuwenden wagt, wird als Sprachpurist, Nationalist oder Chauvinist[2] apostrophiert; wer aber das aufgeplusterte Imponiergehabe − und sei es auch nur mit Holper-Englisch – munter mitmacht, wird nicht verleumdet, auch wenn bei ihm die umhergeschleuderten Amibrocken gelegentlich ausser Kontrolle geraten. Wenn zum Beispiel Sportreporter den Spielmacher zu „matchmaker" panschen, entgeht ihnen, dass im englischen Sprachraum damit eine Person gemeint ist, die Ehen stiftet (Ehestifter). Und wenn über streitfreudige Politiker geschrieben wird, sie würden sich auf Crashkurs befinden, dann heisst das, genau genommen, sie würden einen Intensivkurs absolvieren... („crash course“ = Intensivkurs).
Nur daran wäre eigentlich nicht’s auszusetzen ...
Walter Hess’
[1] Eine Posse (laut altem Duden- Bedeutungswörterbuch) ist eine „derbe, übertreibende Komödie". Nun muss man umlernen. Der „Trend-Duden" formuliert up-to-date wie folgt: „Posse (engl. für Haufen): Aus der Tradition der Sub- und Gangkultur hat sich der Ausdruck Posse entwickelt und die Clique abgelöst … Sie ist die neue Family, mit der man Musik macht und durch die Gegend spottet.“
[2] Unter dem nichtssagenden Schlagwort Chauvinismus wird abwertend ein exzessiver Nationalismus verstanden, ein extremer Patriotismus, wie man ihn vor allem noch in den USA und auf Sportplätzen weltweit antrifft.