Eine Bekannte von mir sucht Angaben über Schnecken, ihr Leben, ihr Verhalten. Wo findet sie solche Angaben?
E.R., CH-5001 Aarau
Antwort: Tatsächlich wird über Schnecken sehr wenig geforscht, und entsprechend klein ist das Literaturangebot, obschon es in Meeren, Süssgewässern und auf dem Lande über 45'000 Schneckenarten gibt. Selbstverständlich sind die Weichtiere in allen zoologischen Standardwerken beschrieben.
Viele Schneckenarten sind bereits häufiger auf Roten Listen als in der freien Natur anzutreffen, also in ihrem Bestand gefährdet. Ihre Lebensräume sind zerstört worden; dazu gehören u.a. selbst warme Magerwiesen, Sümpfe usf. In Gärten ist ohnehin ein gnadenloser Kampf gegen sie entbrannt. Deshalb hat mich Ihre Frage wirklich gefreut: Da geht es einmal nicht um Schneckenbekämpfungen oder Schneckenregulierungen, sondern um das Schneckenwissen im weitesten Sinne. Und die Mehrung des Naturwissens bedeutet praktisch immer mehr Naturschutz: Lebewesen, die man eingehend kennt, wird man nicht zerstören. Die grössten Naturschänder sind die Menschen mit dem kleinsten ökologischen Wissen.
In Chur wirkte einmal der Bio- und Lehrgärtner Mario Howard (1922-1990), mit dem ich seinerzeit als "Natürlich"-Chefredaktor zusammenarbeitete. Er war Armeeinstruktor gewesen, hatte ein Herz für alles Lebendige und war mit einer ausgesprochenen Beobachtungsgabe gesegnet. Er vertrat die Ansicht, dass eine gewisse Menge Schnecken zwingend in jeden Garten gehört, ein schneckenfreier Garten also krank sei, obschon sie hier auch Schäden anrichten. Schnecken haben im Garten die Aufgabe, mit welkem oder faulendem Material aufzuräumen. Auch helfen sie mit, den Kompostierungsprozess zu beschleunigen[1]. In seinem Lehr- und Versuchsgarten in der Nähe von Chur, so schwärmte Howard einmal, habe er insgesamt 28 Schneckenarten, Nacktschnecken (wie die grosse Egelschnecke und Wegschnecken) und Hüslischneggen (Gehäuseschnecken) gezählt, wovon 2 seltene Arten aus Osteuropa, die er erst in Zusammenarbeit mit dem Naturmuseum in Chur GR habe bestimmen können. Er wurde also zu einem Schneckenforscher, im weitesten Sinne einer wie jener, den die bekannte, subtile Krimischriftstellerin Patricia Highsmith (1921-1995) [2] in "The Snail-Watcher" (1970) beschrieben hat. Sie hatte Zoologie und Soziologie studiert und war übrigens ebenfalls eine ausgezeichnete Schneckenkennerin.
Das Bündner Naturmuseum Chur (Telefon +41 81 257 28 41) offeriert jeweils an Mittwoch-Nachmittagen einen Auskunftsdienst[3]. Es verfügt über eine gute Bestimmungsliteratur, und die Fachleute wissen, wo kompetente Antworten auf Fragen erhältlich sind, falls sie selber nicht mehr weiterwissen, wie der Akademische Mitarbeiter Flurin Camenisch dem Textatelier gegenüber auf Anfrage erklärte.
Über eine sensationelle Mollusken-(Weichtiere-)Sammlung verfügt das Zoologische Museum der Universität Zürich. Im Internetauftritt (www.unizh.ch/zoolmus/) liest man dazu: "Mit ihren über 70'000 Mustern und etwa 400'000 Einzelobjekten ist die Molluskensammlung nicht nur die wichtigste, sondern auch die umfangreichste Sammlung des Zoologischen Museums. Diese bedeutende Sammlung von hauptsächlich Landschnecken wird von Trudi Meier - einer ausgewiesenen Kennerin der Schweizer Molluskenfauna - betreut. In Zukunft wird es möglich sein, an dieser Stelle die einzelnen Sammlungsstücke, vor allem Schneckenschalen, abzufragen und zur wissenschaftlichen Bearbeitung auszuleihen."
Der Text ist allerdings nicht mehr ganz aktuell; denn Trudi Meier-Lüscher ist pensioniert, aber auch heute noch den Schnecken zugetan. Sie wohnt in Ober Pardiela, CH-7226 Stels GR (Telefon: +41 81 328 21 10), sucht nicht gerade den Rummel, ist aber bereit, ernsthaften Interessenten Auskünfte zu erteilen. Über das Zoologische Museum in Zürich, Karl-Schmid-Strasse 4, CH-8006 Zürich) kann für 5 CHF ein von ihr verfasstes Büchlein "Harte Schale, weicher Kern" bezogen werden, das viel Interessantes über Schnecken enthält.
Selbstverständlich ist das nur eine kleine Auswahl von Quellen für Schnecken-Wissen, aber bereits diese Hinweise zeigen, dass Schnecken ein bemerkenswertes und lohnendes Forschungsthema auch für Hobby-Naturwissenschaftler sind. Vielleicht haben Sie mit Ihrer Frage einigen Lesern zu einem neuen Hobby verholfen. Das wäre ein willkommener Zusatznutzen auch im Interesse unserer Schnecken.
Walter Hess
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[1] Es empfiehlt sich im Garten, äussere, teilweise faulige oder angefressene Salatblätter auf dem Beet liegen zu lassen. Die Schnecken fressen dann zuerst diese Blätter und vergreifen sich erst in 2. Linie an frischen Blättern. Ein kompostreicher Boden mit Krümelstruktur bietet Schnecken weniger Unterschlupf als ein rissiger. Ein empfehlenswertes Buch über die "Schneckenregulierung" (Titel) kann beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau, CH-5070 Frick, bezogen werden.
[2] Patricia Highsmith stammte aus den USA. Ab zirka 1950 lebte sie in Italien, 1963-1966 in einem englischen und dann in einem französischen Dorf: Ab 1983 verbrachte sie den Rest ihres Lebens zurückgezogen mit 2 Siamkatzen im Kanton Tessin (Schweiz).
[3] Öffnungszeiten des Bündner Naturmuseums in Chur; Dienstag bis Samstag, 10 bis 12 und 13.30 bis 17 Uhr, an Sonntagen von 10 bis 17 Uhr.
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