Verschiedene Pneufirmen preisen in ihrer Werbung die Vorteile einer Stickstoff-Füllung gegenüber Luft im Autoreifen an. Mangels Fachkenntnissen kann ich jedoch diese schön klingenden Werbe- und Verkaufsargumente nicht einschätzen. Können Sie mir erklären, was davon zu halten ist?
Erich Hofstetter, 8047 Zürich
Antwort: Vom Ersatz der gewöhnlichen Luft in Autoreifen durch Stickstoff habe ich bis zum Eintreffen Ihrer Frage im Juni 2002 (ausser im Automobil-Rennsport) nur selten etwas gehört; aber offensichtlich setzt nun die entsprechende Werbung breitwürfig ein.
Ich reime mir einmal mögliche Vorteile zusammen: Stickstoff ist etwas leichter als Luft und nicht brennbar; es ist reaktionsträges Gas. Das könnte bei Unfällen und Autobränden ein kleiner Vorteil sein. Doch ist selbstverständlich überall noch viel sauerstoffhaltige Luft vorhanden, so dass der austretende gasförmige Reifeninhalt kaum brandreduzierend ins Gewicht fallen dürfte. Immerhin kann der Stickstoff die Reifenalterung etwas verlangsamen.
Die entsprechende Werbung verspricht Sicherheit, Haltbarkeit und Komfort, und es wird auf den erwähnten Autorennsport verwiesen, wo mit Stickstoff in den Pneus herumgerast wird (der Stickstoffanteil beträgt in Rennwagenpneus angeblich rund 95%). Der Reifendruck bleibe wegen der grösseren Moleküle konstanter[1], und zudem steige der Druck von erhitzten, mit Stickstoff gefüllten Pneus weniger an. Das trifft offenbar zu und ist bei den Extrembelastungen bei Rennen besonders wichtig. Selbstverständlich ist ein möglich konstanter Reifendruck auch auf normalen Strassen erwünscht.
Die tatsächlichen Vorteile des Stickstoffs gegenüber der Luft sind vermutlich kleiner als der Mehrpreis. Wahrscheinlich geht es hier vor allem um eine neue Geschäftsidee. Denn Garagen und Tankstellen pumpten Luft bisher meistens gratis in die Pneus, ein freundlicher Dienst am Kunden, obschon es dafür kostspielige Einrichtungen braucht; aber die Luft ist ja schliesslich kostenlos zu haben. Man hat sich an diesen Service gewöhnt. Beim Einfüllen von reinem Stickstoff (chemisch N2), aus dem die Luft zu rund 78% besteht (weitere rund 20% sind Sauerstoff), aber klingelt die Kasse: 7 bis 7,50 CHF pro Rad werden dafür verlangt.
Für Normalverbraucher genügt wohl gewöhnliche Luft in den Reifen. Überschätzte Sicherheitsgefühle, wie sie die Werbung für Stickstoff-Füllungen übertreibend verbreitet, können zu weniger Vorsicht verleiten und die teure Übung sicherheitsphilosophisch eher ins Gegenteil verkehren.
h.
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[1] Aus der Argumentation der Adam Touring (www.adam-touring.ch): „Jeder Reifen verliert während seiner Gebrauchsphase Luft. Einerseits entweichen Moleküle durch die Reifeninnenschicht (Butilschicht) und anderseits beim Ventil. Die Stickstofffüllung wirkt dieser Gefahr entgegen.
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