Die heute auch unter Intellektuellen grassierende Zahlenverdrehung habe ich den "Spinatfaktor" genannt: Jahrzehntelang wurden Kinder mit Spinat gequält, der wegen seines Eisengehaltes für die Kleinen angeblich so gesund sein sollte. Schliesslich stellte es sich heraus, dass sich die Verfasserin einer Ernährungsfibel um den Faktor 10 geirrt hatte: Aus 2.9 wurden 29 mg Eisen pro 100 g Spinat. Ein gewöhnlicher Tippfehler verhalf dem Spinat zu einem legendären Ruf als gewaltiger Eisenlieferant [1].
Was früher noch selten war, ist heute bei den Absolventen höherer Schulen häufig, und auch die Zeitungen bekommen den Zahlenwirrwarr zu spüren. So hat die "Süddeutsche Zeitung" vom 9. Mai 1996 in einer Beilage verkündet, jeder Deutsche habe im Jahr 1995 an die 1547 t Erdöl verbraucht. Wird die sich daraus ergebende Menge hochgerechnet, kommt man auf ein Mehrfaches der gesamten Weltproduktion an Energieträgern, Kohle inklusive. Würde die Zahl zutreffen, müssten vor jedem Haus wöchentlich 2 Tankwagen vorfahren mit den entsprechenden Kostenfolgen.
Der sorglose Umgang mit solchen Grössenordnungen, Tonnen und Millionen, macht mir weit mehr Angst als alle Atommülltransporte durch Deutschland. Was wäre, wenn sich die Telekom bei Telefonrechnungen oder die Bank, der Arzt um einen Faktor 1000 irren würden?
Es gibt gute Gründe, auf solche Fehler zu achten. Die Zahlenschwäche ist bei meinen Studenten so akut aufgetreten, dass ich mir angewöhnt habe, bei Zahlenangaben sozusagen unterbewusst mitzudenken, und deshalb komme ich den Fehlleistungen überhaupt auf die Spur.
Prof. Dr. Wigand Ritter
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[1] Der tatsächliche Eisengehalt des Spinates darf sich immer noch sehen lassen. Darüber hinaus liefert Spinat wichtige Mineralstoffe wie Phosphor, Kalium, Kalzium, Magnesium, Kupfer und Jod. Er enthält ferner Karotin, Vitamin C sowie die Vitamine B1, B2, B6, E und Folsäure.
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