Mit philippinischen Vulkanen auf Du
Augenschein beim Pintubo um die Jahreswende 1991/92
Von Walter Hess
Blick zum Pinatubo (hinten Mitte): Überblick über die Vulkan-Hinterlassenschaften [Fotos: Walter Hess]
Eine mehrere Meter dicke weiss-grau-braune sand- und staubartige Ascheschicht, die wie Schnee aussieht, aber auch bei Tropenhitze nicht schmilzt und in die sich Bäche eingefressen haben, prägt das heutige Bild der Landschaft westlich von Angeles City, einer Stadt mit rund 300 000 Einwohnern, knapp 100 km nördlich von Manila auf der philippinischen Hauptinsel Luzon gelegen.
Die Landschaft hinter Angeles City erinnert an ein Mittelding zwischen einer Winterlandschaft und einer neuen Wüste – oder aber an die Erschaffung der Welt: Staubberge über Quadratkilometer hinweg, eine gigantische vulkanische Hinterlassenschaft. Eine gewaltige Naturerscheinung. So ähnlich hatte damals, am Anfang der Erde, alles begonnen. Aber diesmal war es nicht der Anfang eines erdgeschichtlichen Ablaufes, sondern unter diesen Sandmassen war die Evolution bereits fortgeschritten gewesen. Häuser, so weit sie nicht zugedeckt wurden, stürzten unter dem Gewicht der Asche ein; etwa 30 000 Menschen verloren ihr Daheim, viele ihr Leben.
Der Vulkan Pinatubo war am 15 Juni 1991 nach 500 Jahren erstmals wieder ausgebrochen. Es handelte sich um eines der gewaltigsten vulkanologischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Der Berg war vor seinem Ausbruch 1745 m hoch gewesen und wurde innert Stunden um 145 Meter abgetragen. Im Mai 1994 brach der Pinatubo dann nochmals aus.
Darunter liegt ein Dorf: Pinatubo-Asche im Gebiet Arayat
Via Clarktown ins Pinatubo-Gebiet
Renato , ein Mechaniker und Taxifahrer, hatte uns auftragsgemäss in Baguio abgeholt und nach Angeles City geführt. Hier bog er nach Westen zur verlassenen Clark Air Force Base ab, dem damals grössten US-Luftwaffenstützpunkt, mit dem die USA ihre militärische Präsenz im pazifischen Raum markierten. Zeitweise waren dort 30 000 Soldaten stationiert gewesen, die täglich rund 1 Million USD umsetzten und ein damit enormes Wirtschaftspotenzial darstellten. Die Räumung dieses 55 000 ha umfassenden Stützpunktes, auf dem am Anfang der 90er-Jahre noch rund 9000 Soldaten ihren Dienst versahen, war damals auf 5 Jahre veranschlagt worden, konnte aber notfallmässig in bloss 5 Stunden bewerkstelligt werden, als der Pinatubo bedrohlich zu toben begonnen hatte... Die Soldaten flohen. Was von dem Stützpunkt übrig geblieben war, inklusive Fensterrahmen, haben die Philippiner anschliessend ausgeräumt und eigenen Zwecken nutzbar gemacht. Heute ist auf jenem Gelände eine Wirtschaftszone eingerichtet worden: Einkaufszentren, Casinos, Golfanlagen, Flugplatz.
Im Zusammenhang mit den Truppenstationierungen hatte sich unmittelbar nebenan am Mac-Arthur-Highway Clarkville , eine kleine Stadt mit Discos, Bars, Cocktail Lounges, Massage- und Spielsalons usw., etabliert, in der die Konsumations- und Freizeitbedürfnisse der unbeschäftigten GIs befriedigt werden konnten. Nach dem fluchtartigen Auszug der Soldaten war diese Stadt ausgestorben; Tausende, vor allem junge, hübsche Damen, haben ihr Einkommen verloren. Es war, als wir die Geisterstadt besuchten, nur noch ein einsamer T-Shirt-Verkäufer und Überlebenskünstler da, dem ich ein Leibchen mit dem aufgedruckten Text „I survived Pinatubo“ abkaufte; die Text-Variante „Lebendig begraben“ schien vom guten Geschmack zu weit entfernt zu sein, wenn auch zutreffend.
Verwüstungen: Angelito Miranda im Innenhof seines Elternhauses
Das anschliessende Strassendorf, kleine Hütten aus Zementbausteinen und Wellblech, war vom Gewicht der Asche, dem Taifun und den Schlammmassen („Lahar“), die den Pinatubo-Ausbruch 1991 begleiteten, weitgehend zerstört und nur noch in Ausnahmefällen bewohnt. Vor einem Haus, das auf dem überhängenden, wohl 30 m hohen erodierten Abacan-Flussufer einer ungewissen Zukunft entgegenblickte, war eine junge, von 4 Kindern umringte Frau anzutreffen. Ich begann mit ihr über das naheliegende Thema „Verwüstungen“ zu sprechen. Ihr Mann kam hinzu. Angelito Miranda hatte als Computertechniker in Clarktown für die Amerikaner elektronische Geräte repariert und war jetzt seit über einem halben Jahr arbeitslos, wie ich im Verlaufe des Gesprächs herausfand. Zudem war sein Haus mit dem Hochwasser weggespült worden; sein Elend wurde dadurch komplettiert. Er hatte im benachbarten, ebenfalls schwer beschädigten Elternhaus dann wenigstens für seine Familie eine Unterkunft gefunden. Eine heillose Unordnung deutete auf die totale Resignation hin. Ich schenkte ihm symbolisch einen Pesoschein als kleine Überlebenshilfe.
Im Bachbett Richtung Vulkan
Renato strahlte, erkundigte sich nach unserem Vorhaben. Wir wollten in die Nähe des Pinatubo. Er bot uns an, uns zu begleiten, was wir gern annahmen. Er füllte eine Plastikflasche mit trinkbarem Wasser und packte eine Melone ein.
Der hilfsbereite Mann chauffierte uns durch das sandige Bachbett, hinauf auf Berge von abgelagertem Vulkansand, mehrere Kilometer weit, bis die behelfsmässige Strasse bei einer Art Bauplatz endete. Wir wurden zu Fussgängern und folgten dem Bett des Abacan, in dem mit unzähligen Sandsäcken ganze Stauwehre zur Regelung des Abflusses erstellt worden waren. Nachdem wir an Höhe gewonnen hatten, durchschritten wir lichte Wäldchen aus abgestorbenen Kokospalmen-Oberteilen; darunter waren ganze Dörfer der dunkelhäutigen Volksstämme der Negritos begraben: Lomboy, Mabayabas und Maagiagi (Provinz Zambales). Weiter oben schauten ein paar Strohdächer aus dem Sand, und ein Wasserbüffel lagerte im Schatten der Überbleibsel von einer Siedlung; Menschen waren keine mehr da. Eine stille Zone des Todes über ehemaligem fruchtbarem Kulturland, ein Friedhof, der von einem dramatischen Geschehen erzählte.
Wir steuerten in der staubigen Vulkanasche bei sengender Hitze den Beobachtungspunkt an, der auf einer Krete etwa 1200 m ü.M. eingerichtet war und eine ausgezeichnete Rundsicht ermöglichte. Ich atmete zwangsläufig den Staub ein, der von meinem vorausgehenden Bruder Rolf und ebenso von Renato aufgewirbelt worden war. Ich spürte plötzlich jene Atembeschwerden, wie sie während des Vulkanausbruchs bei grossen Bevölkerungsteilen aufgetreten waren; so etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr genügend Sauerstoff zu erhalten, zu ersticken und war recht froh, als wir den Gipfel, der sich für Landschaftsbeobachtungen ausgezeichnet eignete, erreicht hatten. Ich musste mich gleich hinsetzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass man in solchen Staubwolken überhaupt noch atmen und überleben konnte.
Der Blick über die graue Landschaft war überwältigend: Neu entstandene, urtümliche Formen, an eine wildwütige Erosion, an eine Zeit der zerstörerischen und gleichzeitig neue Verhältnisse schaffenden Unruhe erinnernd. Eine mächtige Verwitterungsdecke, ein neu gestaltetes Relief zwischen grün gebliebenen Abhängen. Dynamische Geologie. Am Horizont der Vulkanlandschaft, etwa 2 km weit entfernt, rundete eine Reihe von Bergen mit dem Mount Pinatubo den Horizont ab. Der Vulkan stiess noch eine müde Dampfwolke aus, manchmal schwächer, manchmal stärker. Dann ein Grollen. Angelito zuckte zusammen, wurde bleich. Es war ein tief fliegendes Flugzeug, nicht der Vulkan.
Am Fusse des Mount Pinatubo, rund 100 km nordwestlich von Manila, haben unter anderem 52 Ureinwohner des Stammes der Aeta gelebt und ein grausames Ende gefunden; sie hatten sich einer Evakuierung widersetzt. Über 11 000 weitere Angehörige dieses Volksstammes mussten definitiv umgesiedelt werden, wie über 100 000 weitere Anwohner auch. Am 1. Juli 1991, 2 Wochen nach den gewaltigen Explosionen, lösten sintflutartige Regenfälle die Ablagerungen und schoben sie als meterdicke Schlammmasse ins Tal; solche Schlammströme gehören mit den Glutwolken und Glutlawinen zu den gefährlichsten Auswirkungen des Vulkanismus. Und während der Aktivität des Vulkans, sichtbare Zeichen gewaltiger erdinnerer Vorgänge und Kräfte, wütete auch noch der Taifun Yunie; den leidgeprüften Filipinos blieb einmal mehr nichts erspart. Nur ihre Fröhlichkeit und Herzlichkeit haben sie dennoch nicht verloren.
Man tut, was man kann: Sandsackträger beim Dammbau
Eingriff ins Klima
Die Vorgänge beim Ausbruch des Vulkans Pinatubo waren apokalyptisch: Aschewolken wurden auf 20 bis 30 km Höhe geschleudert; 10 km hohe Aschenpilze waren wochenlang die Regel, ein Hinweis auf den riesigen aufgestauten Druck. Selbst der Himmel über dem entfernten Manila verdunkelte sich damals.
Die gewaltigen Eruptionen führten weltweit zur Beeinflussung des Klimas; vielerorts, in Australien und bei uns in Europa, waren sie durch brillante, zwischen Rot und Violett changierende Sonnenuntergänge besonders augenfällig; der Himmel leuchtete noch nach dem Untergang der Sonne, eine aparte Lichtstreuung. Der Staub, eine Mischung aus Silikatgestein, einer Art Nebel aus schwefliger Säure, der sich aus den rund 20 Mio. Tonnen freigesetzten Schwefelgasen gebildet hatte, und anderen Substanzen ermöglichte diese optisch faszinierenden Nachspiele.
Die Nebeltröpfchen (Aerosole) können sich jahrelang in der Stratosphäre halten, in dieser fast feuchtigkeitsfreien Schicht, unter der sich das Wettergeschehen abwickelt. Sie spielen in den Stratosphärenwolken dieselbe zerstörerische Rolle wie am Südpol die Stickoxide und sind zum Teil bis auf das Zehnfache früherer Messwerte gestiegen. Das Resultat sind die berühmten Ozonlöcher, wie sie insbesondere auch infolge des gedanken- und verantwortungslosen FCKW-Einsatzes (Kühlschränke, Auto- und Gebäudeklimaanlagen usf.) mit seiner Langzeitwirkung und des damit ausgelösten Chlorfrasses aufgetan wurden.
Von einem Ozonloch spricht man, wenn die Hälfte oder mehr der natürlichen Ozonschicht zerstört ist. Die Folge ist eine verstärkte UV-Einstrahlung aus dem All. Eines der Naturwunder (der Schutz unseres ruhelosen Planeten Erde vor einer bedrohlichen Strahlung wie UV-B mit ihrem Grillier-Effekt) wird allmählich eliminiert. Der FCKW-Verbrauch wurde dennoch von den Regierungen nur sehr zögerlich verboten; der Ozonkiller konnte weiterhin sein Unwesen treiben und das Klima destabilisieren. Österreich musste seine strengen Grenzwerte im Herbst 2004 nach oben anpassen, d. h. mehr FCKWs zulassen, zwecks Abpassung an die in der EU allgemeingültigen Richtlinien. Dieser Irrsinn ist ein typisches Zeichen für die Negation und den Zerfall des Umweltschutzes im Rahmen der Globalisierungsvorgänge, die ja ohnehin von keiner Vernunft begleitet zu sein scheinen.
Damit nicht noch mehr Schlamm kommt: Dammanlage aus Sandsäcken und Kunststoff zwischen Pinatubo und der ehemaligen Clark Air Base
Der Feuerring
Menschliche und natürliche Einflüsse kumulieren sich, wobei beide Arten ins Gewicht fallende Auswirkungen haben können. Bei uns in Zentraleuropa, wo sich die Erdkruste einigermassen beruhigt hat, wird nur selten zur Kenntnis genommen, dass der Pazifik von einer Vulkan- und Erdbebenzone umgeben ist. Diese vulkanisch und seismisch aktive Zone, die weitgehend mit der Begrenzung der Pazifischen Platte zusammenfällt, verläuft entlang der Pazifikküste Süd- und Nordamerika bis nach Alaska. Von dort wechselt sie hinüber nach Asien, folgt der Pazifikküste Japans und Indonesiens mit einer Verdickung nach den Philippinen und Taiwan, und sie macht dann eine Schleife unter die Südsee. Es handelt sich um einen gigantischen Feuerring, in dessen Bereich sich die Erdkruste verschiebt. Durch dieses Driften und Zusammenstossen von Gesteinsplatten mit kontinentalen Ausmassen werden Erdbeben ausgelöst. Durch die dabei entstehenden Öffnungen bahnt sich das heisse Magma aus dem Erdinnern einen Weg an die Oberfläche; neue Vulkane werden geboren, alte werden aktiviert oder versiegen.
Auf der Erde gibt es etwa 520 feuerspeiende, aktive Berge, wobei nur etwa 7 eine stetige Aktivität haben: der Ätna (NO- Sizilien ), der Stromboli (auf einer der Liparischen Inseln Italiens), der Nyiragongo (Ostafrika), der Aso und der Sakuraima (Japan), der Langila und der Manam im Pazifik sowie der Mount Erebus in der Arktis. Als aktiv gelten diejenigen Berge, die in geschichtlicher Zeit einen Ausbruch erlebten. Vulkane, diese Sicherheitsventile der Erde, haben grosse Teile der Erdkruste gestaltet. Ein unvergessener Vulkanausbruch ist der El Chichón in Mexiko (Ende März 1982), der vulkanische Asche und Gase 25 km weit hinauf schleuderte und die Stratosphäre seinerseits stark verschmutzte; es war die dichteste Stratosphärenwolke seit der Eruption von Krakatau (Sundastrasse, Indonesien, im Jahre 1883).
Der Ursprung der Kräfte im Erdinnern liegt bei den gewaltigen Wärmeenergien, die zum Teil aus der Entstehungszeit unseres Planeten vor etwa 4,5 Milliarden Jahren stammen, teilweise die Folge natürlicher Radioaktivität. Vor allem die Elemente Uran, Thorium und Kalium, die in fast allen Gesteinen enthalten sind, liefern beim Zerfall ihrer Atome ständig Wärme. Deshalb gibt die Erde fortwährend etwa 40 Mio. Megawatt Energie ab, entsprechend 40 000 der grössten Kernkraftwerke.
Pinatubo-Vulkanasche als Rohstoff: Bastlerprodukte auf dem Flughafen Manila
Unruhiger Taal-Vulkan
Einer der unberechenbarsten Vulkane ist der Taal (gesprochen: Ta-al), der knapp 60 km südlich von Manila in der Nähe von Tagaytay City in einem Süsswassersee liegt, seinerseits wahrscheinlich ein Vulkankrater. Laut einer Theorie hatte sich die Kaldera, der kesselartige Krater eines prähistorischen Vulkans, mit Regenwasser gefüllt, oder aber der See war durch eine geologische Senkung entstanden; es gibt beide Versionen. Mit seinen 267 km2 ist der Taalsee etwa halb so gross wie der Bodensee.
Im Jahre 1911 waren bei einem Ausbruch dieses Vulkans 1134 Menschen ums Leben gekommen. Spätere Ausbrüche dieses 311 m hohen Feuerberges folgten 1965 (190 Tote) und 1976. Mitte Februar 1992, 3 Wochen nach unserem Besuch dieser Vulkaninsel, gab es in diesem Gebiet bedrohliche Erschütterungen (mehr als 400 Erdstösse innerhalb von 36 Stunden), welche die 6000 Bewohner dieses Gebietes in die Flucht trieben. Der Taal gilt als einer der kleinsten, aber gefährlichsten Vulkane der Welt.
Während unserer Exkursion war am Seeufer nur eine kleine Dampfwolke zu sehen. Durch übermannshohes Pampasgras kämpften wir uns auf der Taal-Insel zu einem erloschenen Krater, zum Mt. Tabaro vor, den Felsbrocken aus Lava und Basaltgestein säumten. Der Boden tönte hohl, und Dampf waberte über den schwarzen porösen Steinen.
Unser Vorgehen glich dem Tanz auf einem Vulkan. Sämtliche Erdbewohner tanzen diesen Tanz schliesslich auch permanent, wenn man sich vergegenwärtigt, was im Inneren unseres Planeten vor sich geht. Auf den Philippinen öffnet sich die Erdkruste immer wieder; das gehört beinahe zum Alltag. Wenn sich ein ungestümer Vulkan beruhigt hat, raucht dort schon der nächste.
Vulkanausbrüche sind auf der Erde im Prinzip normale geologische Erscheinungen, wie Erdbeben auch (der Mond ist im Gegensatz dazu geologisch tot). Aber für alle jene, die davon betroffen sind, ist dies kein Trost.
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