Der Reklamedenker
Schon seit langem verschweige ich wohlweislich meinen Beruf. Fragen Bekannte danach, antworte ich vage „im Reklamefach“ oder neuerdings „im Werbewesen“, weil mir dieses Wort besser gefällt. Früher, als ich noch ahnungslos „Reklamedenker“ erwiderte, hatte ich manches duchzustehen. Der Joviale lachte schallend, als hätte ich eine Zote zum Besten gegeben, packte mich am Ärmel und stellte mich lachend und jedesmal erneut in berstendes Gelächter ausbrechend seinen Freunden vor, und alle waren dann seine Freunde. Ernstere, gesetztere Personen schwiegen betreten, dachten, ich machte einen billigen Witz auf ihre Kosten, denn dies waren zumeist Lehrer, Beamte oder Pfarrer.
Andere ernähren ihre Familie mit ihrer Hände Arbeit; ich tue es mit meinem Gesichtsausdruck. Ich habe eine imposante, hohe Stirne, und die sensiblen kultivierten Gesichtszüge eines geistig Arbeitenden. Zudem strahle ich ein vertrauenerweckendes Fluidum aus. Kürzlich hat mir meine zurückweichende Stirnglatze eine substanzielle Gehaltserhöhung eingebracht, und bald ist wieder eine fällig, dank meinen sacht ergrauenden Schläfen.
Was habe das mit meiner Aufgabe zu tun? werden Sie fragen. Nun, ich sitze zum Beispiel an einem riesigen Arbeitstisch, einige dickleibige Folianten sind rechts vor mir aufgetürmt, eine Tischlampe leuchtet auf meine grüne Schreibunterlage, und geöffnet liegt eine Zigarettenschachtel dem Betrachter zugekehrt. Soeben greife ich nach meinem Feuerzeug, während ich grüblerischen Sinns gedankenschwer durch die goldumränderte Brille in die Ferne blicke in mein unbekanntes Publikum. Blitz! Das ist alles. Die Farbphoto prangt an nächsten Tag ganzseitig in den Zeitschriften, darunter steht in Lettern fettgedruckt: „Leute mit Persönlichkeit rauchen Camel.“ oder: Zwischentakt zu neuen Schöpferimpulsen heisst ... Alle akademischen Berufe stehen mir an, ich habe nur Brille und Kleid zu wechseln, meine Miene bleibt unverändert gedankenträchtig, und die Umsätze schnellen in die Höhe, sei es Rasierwasser oder Wodka.
Ich habe noch einige Kollegen und sehr viele Kolleginnen hübsche, muss ich schon sagen; meine Gattin arbeitet im Zahnpastasektor. Einer vertritt den sportlichen, jungen Mann, entweder als Frauenbetörer oder selbstsicherer Karrieremacher. Seine Spezialitäten sind: Ferienprospekte, Sportartikel, Bekleidungsindustrie und Büroneuheiten. Ein anderer verkörpert den markanten Künstlertyp. Wie ich die Brille, wechselt er die Barttracht, um den Graphiker, Bildhauer in Baskenmütze oder Jazztrompeter darzustellen.
Wir verdienen alle ordentlich, denn mit uns auf den Inseraten verkauft sich einfach alles. Mein Beruf ist krisensicher - vorausgesetzt, man weiss seine berufliche Güte zu wahren -, da die Leute sich so gerne in Traumideale versetzen, zu unzufrieden mit sich selbst, um der Scheinwelt zu widerstehen. Im Konzert stehen sie anstelle meines Kollegen Karajan, im Theater schlüpfen sie in die Hauptrolle, und im Kino vergessen sie ebenso leicht ihr kleines, gequältes Selbst. Es lebt sich so viel schöner in der Welt anderer. Dort kommt keine flaue Langeweile auf.
Noch schütteln Sie den Kopf, doch ich bedaure meine Berufswahl nicht. Erst dadurch bin ich zum Denker geworden der sinnende Blick ist echt!
Emil Baschnonga
PS. Dieser Text wurde vor vielen Jahren geschrieben. Heute ist die Camel-Reklame nicht mehr zulässig.
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