Fontane: Ein Mensch von Urteil und Meinung
Der berühmte, aus Brandenburg stammende Dichter und Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898), Autor des weltbekannten Romans „Effi Briest“, erfuhr am eigenen Leib, was es heisst, freischaffender Künstler zu sein. Er bemühte sich in seinem Leben mehrmals um eine feste Anstellung, um daneben sorgenfrei schreiben zu können. Im Jahr 1850 war er dank guter Beziehungen für 1½ Jahre im Staatsdienst tätig, nämlich im Literarischen Kabinett, einer Zensurbehörde der preussischen Regierung, die für eine regierungsfreundliche Haltung der Presse zu sorgen hatte. In dieser Zeit schrieb er am 1. 11. 1850 aus Berlin Folgendes an seinen Freund Friedrich Witte [1]:
„Ich schreibe jetzt gar nicht für politische Zeitschriften, aber nicht etwa, weil ich keine Neigung dafür hätte, sondern umgekehrt, weil mir für das Übermass der Neigung der Kampfplatz, der Spielraum fehlt. Zum Korrespondenzartikelfabrikanten bin ich verdorben, dies Neuigkeiten-Aufpicken und In-3-Zeilen-citissime-Weiterschaffen mag recht verdienstlich (in doppelter Bedeutung) sein, mir aber kommt es ein bisschen wie unter meiner Würde vor; es scheint mir auch dieser Klatsch mehr für alte Weiber als für Männer gemacht. Mit einem Wort, ich will kein Neuigkeitskrämer, sondern ein Mensch von Meinung und Urteil sein. In einem Moment gleich dem jetzigen an der Spitze eines einflussreichen Blattes stehn, heisst an der Spitze einer Armee stehn.“
Nachdem das LiterarischeKabinett aufgelöst worden war, sah sich Fontane erneut den bittersten Existenzsorgen ausgeliefert. Er steckte zwar voller Pläne für seine literarische Tätigkeit, erkannte jedoch am Beispiel des gefeierten Dichters Emanuel Geibel [2] auch die Fragwürdigkeit dichterischen Ruhmes. In einem Brief an Witte schrieb der 30-Jährige mit erstaunlicher Klarsicht, die genauso gut von heute stammen könnte:
„...Meine Frau, als ich ihr erklärte, dass nun jedes Hindernis beseitigt sei und das Hungern losgehn könne, kriegte natürlich einen kleinen Schreck.“ (...) „Vielleicht krieg’ ich eine kleine Stellung bei der Konstitutionellen Zeitung. – Ich muss bekennen, dass ich dem Zeitungskram am liebsten Lebewohl sagte und die nächsten 10 Jahre, das beste Teil unserer Kraft, an eine ordentliche Arbeit setzte, aber was kümmern sich unsre Zeiten und unsre Menschen um ein Gedicht, selbst um ein gutes Gedicht. Sie meinen, es kann ungeschrieben bleiben, und es ist nichts dagegen zu sagen. Man faselt immer von dem ‚sich Bahnbrechen der Genies’; man lasse ein Genie hungern, und es verquint eben so wie der erste beste Flickschneider. Chatterton [3] vergiftete sich, um nicht zu verhungern; Otway [4] verhungerte wirklich. Kein Mensch zwingt sein Schicksal und auch die Genies nicht; wenn uns was glückt, so denken wir Wunder! was wir für Kerle sind, und doch sind wir nur Lieblingspuppen in der grossen Lenkerhand, die uns einen Flitter mehr anhängt und, um des Flitters willen, uns öfter über die Bühne führt. – Du wirst das Vorstehende nicht missverstehn. Es soll damit gesagt sein: wenn ein Genie nicht durchdringt, was ist dann erst von Talenten und Talentchen zu erwarten! Das höchste Mass der Kraft unterliegt im Kampf, − was unsereins?! Glück, Glück!
‚Vor Unwürdigem kann Dich der Wille, der ernste, bewahren;
Alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab. –´"
Lislott Pfaff
Quelle:
Theodor Fontane: „Aus meinem bunten Leben. Ein biographisches Lesebuch“, aus Briefen zusammengestellt von Gabriele Radecke und Walter Hertche, Carl Hanser Verlag 1998.
[1] Apotheker und lebenslänglicher Freund Theodor Fontanes
[2] Zu seiner Zeit gefeierter Lyriker aus Lübeck (1815−1884)
[3] Englischer Dichter, 1752−1770, verfasste als 16-Jähriger Gedichte und beging mit 18 Selbstmord
[4] Englischer Dramatiker, 1652−1685
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