Wie die Jauche zum Gift umfunktioniert wurde
Klärschlamm ist auch nicht mehr, was er einmal war. Es ist dieser irritierten Gesellschaft gelungen, auch diesen ehemaligen Wertstoff zum Sondermüll umzufunktionieren. Denn seine Qualität hängt logischerweise von dem ab, was in den Abwasserleitungen landet, und das kann ein ganzes Chemikalien-, Medikamenten-, Hormone- und Schwermetallsortiment sein. Hormone wirken in kleinsten Dosen, führen zu Fehlsteuerungen, Schwermetalle reichern sich an und entfalten eine Giftwirkung. Wird das Konzentrat aus diesem Cocktail landwirtschaftlich verwertet, reichern sich die Gifte in den Böden an, gelangen in die Nahrung, in Gewässer und ins Grundwasser.
Der Schweizer Bundesrat hat deshalb am 26. März 2003 ein stufenweises Verbot von Klärschlammdünger beschlossen. So dürfen seit dem 1. Mai 2003 Futter- und Gemüseflächen nicht mehr mit Klärschlamm gedüngt werden. Für andere Flächen, auf denen die Gesundheit von Mensch und Tieren weniger gefährdet ist, tritt das Verbot ab 2006 endlich in Kraft. Dieses Verbot hat zur Folge, dass künftig die ganze Menge des jährlich in der Schweiz anfallenden Klärschlamms verbrannt werden muss.
Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft schreibt dazu: „Klärschlamm enthält zwar Pflanzennährstoffe wie Phosphor und Stickstoff, aber auch Schwermetalle, Krankheitserreger und organische Schadstoffe aus Industrie, Gewerbe und Privathaushalten (z.B. Arzneimittelrückstände, Duftstoffe, natürliche oder künstliche Hormone). Die Landwirtschaft lehnt deshalb die Verwendung von Klärschlamm als Dünger weitgehend ab. Sie befürchtet irreversible Bodenschäden, Risiken für die Gesundheit und eine Beeinträchtigung der Qualität der Lebensmittel.“
Obwohl mit dem Verbot der Klärschlammverwertung in der Landwirtschaft ein an sich sinnvoller Nährstoffkreislauf unterbrochen wird, entspreche der Entscheid dem Vorsorgeprinzip – dieser zentrale Säule des Gesundheits- und Umweltrechts, heisst es im Weiteren. Es verlange, dass Einwirkungen auf die Umwelt, die schädlich oder lästig werden könnten, frühzeitig begrenzt werden müssen, selbst wenn der letzte wissenschaftliche Nachweis einer Schädlichkeit nicht erbracht werden kann. Der Haken daran ist nur, dass einmal mehr nicht bei den Ursachen (der Giftproduktion) angesetzt wird.
Wegen dieser üblichen Art der Problemerledigung sind wir wieder einmal mehr aus den natürlichen Kreisläufen herausgetreten; denn Exkremente von Lebewesen, die (wenn manchmal auch über Umwege) aus Pflanzen stammen, gehören an sich wieder in die Natur zurück. Werden sie aber mit Giften vermischt, ist diese Rückgabe selbstverständlich nicht mehr möglich.
Noch im Dezember 2002 haben sich insgesamt 837 Schweizer Gemeinden aus allen Landesteilen in einer Petition an den Bundesrat gewandt. Darin protestierten sie scharf gegen das vorgesehene Verbot der Klärschlammdüngung. Ein Verbot für die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung dürfe erst ausgesprochen werden, wenn einwandfrei belegte Fakten diesen Schritt rechtfertigten. Entsprechende Forschung könne nur betrieben werden, wenn der Klärschlamm nicht verbrannt werde, erklärte der Verband, als ob das Resultat dieses seit über 30 Jahren kritisch beobachteten Experimentes nicht schon längst bekannt wäre.
In den über 900 Kläranlagen der Schweiz fallen jährlich rund 4 Millionen Kubikmeter Klärschlamm an, was einer Trockensubstanz von rund 200 000 Tonnen entspricht. In den vergangenen Jahren wurden gut 40 % oder jährlich 80 000 Tonnen davon als Dünger verwendet – wegen berechtigter ökologischer Bedenken mit sinkender Tendenz. Jetzt ist das abgestoppt.
Die Jauche (Hofgülle und häusliche Abwässer) als Vorläuferin des Klärschlamms war früher ein wichtiger Wertstoff. Als sich die Menschen zunehmend aus den Naturkreisläufen zu verabschieden begannen, wurde daraus ein Gift. Wollte man den Klärschlamm wieder landwirtschaftstauglich machen, wäre ein anderer Umgang mit Schadstoffen zwingend, d. h. jede Chemikalienproduktion müsste von einem Entsorgungskonzept begleitet sein. Aber das ist graue Theorie: Allein schon was den Menschen an Medikamentengiften verfüttert wird, verseucht unseren Dünger aus Eigenproduktion derart, dass er die gesamte Umwelt in Mitleidenschaft zieht.
Walter Hess
*
* *