Preiskonkurrenz und Wachstumszwang bei Realitätsverlust
Wie gelangen wir zu einer ökologischeren Wirtschaft? Gedankengänge aus der Ansprache im Migros-Verteilzentrum Suhr anlässlich einer Feier für Konrad Pfeiffer vom Samstag, 25. März 2006, von Hans Bieri
Damit wir zu einer nachhaltigeren Wirtschaft gelangen, müssen wir uns von 2 Hauptzwängen, die uns heute beherrschen, befreien, und wir müssen die zentrale Frage des wirtschaftlichen Zusammenwirkens in unserer hocharbeitsteiligen Gesellschaft überdenken und nötigenfalls reformieren.
Der erste Hauptzwang besteht in der absoluten Preiskonkurrenz. Es werden heute immer ausschliesslicher nur noch Preise verglichen. Es wird nicht mehr gefragt, unter welchen Bedingungen Waren und Dienstleistungen hergestellt werden. Preise stehen jedoch in einem Kontext: Sie müssen letztlich dafür sorgen, dass Produktion und Konsum zum Ausgleich kommen. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft lebt jeder von den Leistungen der andern. Preise müssen gewährleisten, dass der Einzelne (Produzent) für seine Leistungen so viel erhält, dass er seine Bedürfnisse durch Kauf von Leistungen anderer decken kann. Umgekehrt hilft der Konsument durch Kauf wiederum jenen zu Einkommen, welche das herstellen, was er selbst konsumiert. Wirtschaften ist ein gesellschaftlicher Prozess des arbeitsteiligen Zusammenarbeitens. Die Reduktion aller Fragen auf den Preis ohne jeden Bezug zur jeweils arbeitsteilig zusammenwirkenden Gesellschaft zerstört sukzessive die Bedingungen und die Voraussetzungen steigender Qualität in der Herstellung einer Ware. Damit verliert der Preis seine Bedeutung, das Zusammenwirken der Gesellschaft wirtschaftlich zu ordnen und zu entwickeln. Alles Geschehen wird von jenen beherrscht und bestimmt, denen es gelingt, die Standards auf ein immer tieferes und primitiveres Niveau auf den tiefsten Preis herunterzufahren. Der gegenseitige Handel zum Vorteil aller Beteiligten wird zerstört und verkommt zur globalen, grenzenlosen Piraterie.
Der zweite Hauptzwang ist der Wachstumszwang. Der Eigentümer von Geldkapital erhebt einen rechtlichen Anspruch auf Gewinn. Das bedeutet, dass gegenwärtig jede Rationalisierung, jede Verbesserung der wirtschaftlichen Effizienz und somit jede Einsparung an Stoffen, Energie und Arbeitskräften als Gewinn allein dem vorgeschossenen Geldkapitalvermögen zugeschlagen wird. Damit fehlt der Bevölkerung ein Teil ihres Einkommens, um die Erzeugnisse auch konsumieren zu können, und die Produzenten bleiben somit auf einem Teil ihrer Waren sitzen. Damit es nun nicht zu diesem Verlust kommt, wird durch die Geldschöpfung mittels Krediten die fehlende Nachfrage durch eine Erweiterung der Geldmenge überbrückt. Je mehr Arbeitskräfte entlassen werden, umso mehr werden Löhne eingespart. Die eingesparten Löhne stellen den Kapitalgewinn dar. Die eingesparten Löhne fehlen nun auf der Konsumseite, um die bereits produzierten Waren zu konsumieren. Diese Einkommenslücke wird durch eine zusätzliche Kreditschöpfung für einen erweiterten Produktionsprozess gedeckt. Das bedeutet, dass sich der Produktionsprozess ständig ausweiten muss. Das heisst nun, dass heute ein dauernder Zwang besteht, die Produktion, den Stoff- und den Energieverbrauch auszuweiten. Nur so können die Geldkapitalien mit ständig weiteren Gewinnerträgen bedient werden. Mit anderen Worten: Die Geldvermögen können nur wachsen, wenn die wirtschaftlichen Verwertungsumtriebe zunehmen. Das zwingt zur dauernden Ausdehnung des Stoff- und Energieverbrauchs. Wird die Aussicht auf Gewinn geschmälert, entsteht die akute Gefahr, dass das Geldkapital abgezogen wird und Krise und Deflation folgen. Aus dieser Krisenangst heraus ist das fortwährende Wachstum zwangshaft. Es führt deshalb zu einem sich enorm ausdehnenden Verschleiss an Ressourcen wie Boden, Energie, kulturellen und moralischen Standards usw. Wir müssen uns nur in unserem Lande umschauen, um das zu sehen. Es führt dazu, dass wir unser ganzes Land zubauen müssen, obwohl wir sehen und wissen, dass wir das gar nicht wollen.
Der wirtschaftliche Kapitalbildungsprozess
Nun müssen wir aber auch den Kapitalbildungsprozess in unserer Wirtschaft besser verstehen lernen. Einsparungen an Arbeitskräften durch bessere Arbeitsorganisation setzen Arbeitskräfte frei. Diese sollten jedoch nicht arbeitslos werden, sondern sie können zusätzliche Leistungen erbringen, die bisher die Gesellschaft nicht hervorbringen konnte. Das ist die Grundlage der Kapitalbildung und des zunehmenden Wohlstands. Wenn die Konsumgüterversorgung mit der Zeit gesättigt ist und auch die Produktion automatisiert ist, bleibt in Zukunft für die durch die Rationalisierung freigestellten Arbeitskräfte nur die Beschäftigung in Forschung, Bildung und Kultur übrig, denn die notwendige Versorgung mit immer weniger Arbeitskräften bleibt ja durch die vorgelagerten Stufen weiterhin gewährleistet. Die Einkommen können dann aber – und das muss Teil einer zukünftigen Reform sein – nicht mehr wie bisher ausschliesslich an die persönlich erbrachte Leistung in der Konsumgüterherstellung gebunden bleiben, weil ja dann in einer Gesellschaft, wo die Arbeit und die Produktion stark rationalisiert sind, immer weniger Einkommen ausbezahlt würden und somit mangels Einkommen die Früchte dieser Wirtschaft gar nicht konsumiert werden könnten. Damit jedoch die automatisiert hergestellten Produkte gekauft werden können, braucht es somit Einkommen, die je länger je weniger als direktes Entgelt für Produktionsleistungen hergeleitet werden können.
Die Einkommen müssen somit in Zukunft vermehrt aus geistigen, pflegenden, kulturellen etc. Tätigkeiten abgeleitet werden. Auch müssen dringend Verschleiss und unnötiger Raubbau zurückgefahren werden, was durch Auszahlung von Einkommen, an die Menschen, die nicht mehr direkt in der Produktion beschäftigt sind, ermöglicht werden muss. Solche Einkommen können jedoch nur ausbezahlt werden, das heisst, wir können die Menschen in solchen neuen Tätigkeitsbereichen nur beschäftigen, wenn die vorgelagerten Bereiche der Konsumgüterherstellung ungeschmälert produzieren und ihre Refinanzierung und Erneuerung gesichert ist. Das heisst, die Erhaltung der produktiven Grundlagen der Volkswirtschaft ist die unverzichtbare Voraussetzung für eine solche Reform. Die Lebensmittelproduktion und die rationalisierte Konsumgüterherstellung müssen dauernd erhalten bleiben, damit möglichst viele Lebensbedürfnisse aus dem eigenen Lebensraum gedeckt werden können. Damit nähern wir uns einer ökologischen Wirtschaft.
Heute stellen wir jedoch fest, dass die Schweiz im Eiltempo überbaut wird. Die eigene Versorgung wird aufgehoben und in Länder mit so genannt tiefen Kosten verlegt. Die Hektik nimmt zu. Die eigene Geburtenrate nimmt unverhältnismässig ab. Die belastende Einwanderung von Menschen und Rohstoffen erfolgt umgekehrt zu den Routen des Wohlstandsgefälles und eines überhitzten Konsums. Das Bildungswesen bricht zusammen. Die Forschung wird auf Bereiche eingeengt, die unmittelbaren ökonomischen Nutzen versprechen, der jedoch mit zunehmenden Risiken für Bevölkerung und Umwelt verbunden ist und gar nicht deren Bedürfnissen dient.
Verschleisswirtschaft als Folge zu hoher Kapitaleinkommen
Diese Fehlleistungen sind eine Folge davon, dass alles Wirtschaften voreilig nur noch zur Mehrung der Kapitaleinkommen erfolgt und die Errungenschaften der Rationalisierung sowie der Kapitalbildung nicht mehr der Befriedigung der Bedürfnisse der Gesellschaft in einem kreativen Prozess zur Verfügung stehen. Wir wirtschaften nicht mehr, um konkrete Bedürfnisse und kreative Ziele zu verfolgen und zu erreichen, sondern nur noch um Kapitalvermögen zu bedienen. Dass dieses Tun sinnlos ist, kommt deshalb nicht ins Bewusstsein, weil der Vorgang der heutigen Geldschöpfung und der Bildung der Geldvermögen von der oben erläuterten gesellschaftlichen Kapitalbildung getrennt ist. Über die sich grenzenlos ausdehnende Geldschöpfung wird eine riesige Verschleisswirtschaft entfesselt, welche sich alles Geschehen einverleibt und der gegenüber der Einzelne sich als machtlos empfindet. Ohne Ausdehnung der Stoffwirtschaft und Einspeisung ständig zusätzlicher Rohstoffe ist das Wachstum dieser Geldvermögen nicht möglich. Unter diesen Bedingungen muss die oben erläuterte volkswirtschaftliche Kapitalbildung als Voraussetzung der Emanzipation der Menschen unter dem reinen Zwang der Geldkapitalvermehrung wieder verkümmern.
Es stellt sich die Frage, wozu weiterhin reine Kapitaleinkommen gut sind, wenn dadurch das Wichtigste, nämlich die Refinanzierung des schon herausgebildeten Kapitalstocks, zusehends schwieriger wird, während auf der anderen Seite sich ein sinnloses Wachstum – auch auf der grünen Wiese – auftürmt, das nur durch einen gigantischen Stoffverbrauch aufrechterhalten wird. Das heisst also, dass uns in Zukunft vielmehr interessieren wird, wie wir es anstellen müssen, dass uns die durch die Rationalisierung erarbeiteten Errungenschaften und Freiräume zur Entwicklung der Forschung, der Bildung und der Kultur und zur Sicherung unserer Lebensgrundlage auch tatsächlich zu Verfügung bleiben und nicht wie heute ständig weiter verbaut werden und uns abhanden kommen. Trotz heiss laufender Wachstumswirtschaft können wir uns immer weniger leisten, unsere Natur- und Lebensgrundlage in der überlieferten Qualität zu erhalten!
Wenn wir die Produktion rationalisieren und gleichzeitig der Refinanzierung unseres Kapitalstockes Beachtung schenken, müsste es möglich sein, dass wir den Stoff- und Energieverbrauch und auch die für die Produktion der Konsumgüter aufgewendete Arbeitszeit schon längst in etwa halbiert hätten. So sollte uns der Fortschritt Entlastung bringen von Verschleiss, Stress und Umweltverschlechterung. Genau das tritt jedoch nicht ein und scheint uns immer schwieriger zu erreichen.
Wir werden also in Zukunft unsere arbeitsteilige Wirtschaft aus dem ganzheitlichen Ansatz heraus betrachten müssen. Wenn wir den Rationalisierungserfolg nur als Gewinn zum vorgeschossenen Geldkapital hinzuschlagen, dann privatisieren wir das gesellschaftliche Gestaltungspotenzial laufend und kommen aus der Verschleisswirtschaft nie heraus, weil wir dauernd die stoffliche Seite der Wirtschaft zur Bedienung der privaten Geldvermögen ausdehnen müssen. Die sektorale Sicht des Geldkapitaleigentümers oder Shareholders wird diesen Herausforderungen nicht mehr gerecht, weil sein Gewinnanspruch den unausweichlichen Zwang zum Ressourcenverbrauch nach sich zieht. Damit verbunden ist die Verkümmerung der rationalisierten Produktionszweige wegen der endlos wachsenden Geldmenge und des dadurch bewirkten Einkommenszerfalls in Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie. Dadurch wird die systematische Verlagerung der Produktion in die Billiglohnländer bewirkt, was ökologisch fragwürdig ist und die Kapitalbildung in unserem Lande zerstört. Wir gelangen dann zurück zur Frage:
Wovon leben wir eigentlich?
Der ganzheitliche Umgang mit unseren wirtschaftlichen Potenzialen ist angesprochen. Produktion und Konsum gehören zusammen. Sie sind aufeinander ausgerichtet und bilden unsere Lebensgrundlage. Im Lebensmittelbereich erfahren wir das hautnah: Der Boden ist nicht vermehrbar und bleibt konstant, unser Magen bleibt konstant, der Stofffluss der Lebensmittel bleibt konstant. Zwischen Boden und essendem Konsumenten können wir eigentlich nichts anderes als die Arbeit erleichtern und die Qualität erhalten bzw. verbessern. Die Produkte-Menge kann leider nicht systematisch wachsen wie das die Geldwirtschaft verlangt. Viele sind aber der Überzeugung, dass nur die Wachstumswirtschaft die Mittel zur Verfügung stelle, eine eigene Lebensmittelversorgung und die seit jeher konstante Qualität im Lebensmittelbereich zu erhalten.
Gleiches wird über den Schutz der Umwelt gesagt: Nur die Wachstumswirtschaft könne die Mittel für den Umweltschutz zur Verfügung stellen. Diese Sicht zeigt den inzwischen eingetretenen Realitätsverlust, dem die Menschen unter dem Druck der heutigen Geldwirtschaft ausgesetzt sind. Lebensmittel werden zurzeit zunehmend aus Gebieten, die wirtschaftlich rückständiger sind, geringere Einkommen haben und folglich „billiger“ sind, herangeschafft. Das ist nicht nur ein ökologischer Unsinn. Es ist auch ein ökonomischer Unsinn: denn womit wollen wir letztlich diesen ständigen Import aus der globalen Peripherie bezahlen? Diejenigen Länder, die vermehrt Nahrungsmittel- und Rohstoffe exportieren, können das nur zum Nachteil ihrer inneren wirtschaftlichen Entwicklung, die dadurch ausbleibt; denn die Exporterträge im Rohstoffbereich reichen nie aus, dass diese Länder dafür jene Industriegüter kaufen können, die sie wegen den im Rohstoffexport beschäftigten Arbeitskräften nicht erzeugen konnten. Damit wird die langfristige Entwicklung des inneren Markts dieser Rohstoffexportländer blockiert. Bei uns dagegen verkümmert unsere eigene Landwirtschaft, während wir mit der Zeit feststellen werden, dass wir an Länder, die sich auf den Rohstoffexport spezialisieren, keine gut bezahlten Erfindungen und Dienstleistungen exportieren können.
Mit Reformen gegen ökologische, wirtschaftliche und kulturelle Verödung
Das führt uns zurück zur Frage der wirtschaftlichen Entwicklung: Wie müssen wir unsere Grundrente entwickeln, die Refinanzierung unserer Infrastrukturen und unserer Wirtschaft sichern und die Freiräume für unsere geistige Entwicklung schaffen und erweitern? Wesentliche Reformen im Bereich des Geldwesens, des Kapital- und des Lohnbegriffes sind unumgänglich, wenn wir die zunehmende ökologische Krise und die wirtschaftliche und kulturelle Verödung unseres Landes überwinden wollen. Die Lösung muss in der Klärung des Kapitalbegriffes gesucht werden. Das Kapital ist eine gesellschaftliche Grösse und kein Geldbetrag! Wir kennen den Begriff des Sozialen Kapitals. Es geht darum, dass die Gesellschaft die Erträge des Kapitalbildungsprozesses kreativ nutzen kann und sich als Gemeinschaft der Kooperierenden verstehen lernt. Es geht darum, dass diese Gesellschaft und vor allem die Jugend wieder eine Perspektive bekommt! Das geht nicht bei völliger Entgrenzung der Volkswirtschaften, der Währungen und der Reduktion aller Fragen auf den Preis. Die Herstellung, die Verteilung und der Konsum der Lebensmittel zeigen den gemeinschaftlichen Ansatz, der hoch arbeitsteiligen Gesellschaften zugrunde liegt, sehr deutlich. Diese Ansätze, dass nämlich Wirtschaften ohne eine zusammengehörige und in Produktion und Konsum zusammenarbeitende Gesellschaft nicht möglich ist, ist das Hauptthema in der bevorstehenden gesellschaftlichen Reform.
Adresse des Autors
Hans Bieri
Schweizerische Vereinigung
Industrie und Landwirtschaft SVIL
Dolenweg 28
8050 Zürich
Hinweis
Im Buch „Konsumwelt mit Naturanschluss“ aus dem Verlag Textatelier.com (ISBN 3-9523015-3-1) findet sich ein weiterer bemerkenswerter Artikel von Hans Bieri zum Thema „Die Ökologisierung der Wirtschaft“.
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