Textatelier
BLOG vom: 13.07.2005

Der Kleiderkauf, der beinahe an den Bundfalten scheiterte

Autor: Walter Hess

Unumwunden gebe ich zu, dass ich nicht die Figur eines männlichen Mannequins habe. Eine Modellpuppe war ich nie. Allerdings würde ich mich eignen, falls ein Star-Model für Kleidervorführungen für wohlbeleibte Herren gesucht werden sollte. Ein entsprechendes Angebot ist mir bisher leider noch nie über den Weg gelaufen. 

Meine Kleider waren in den letzten Jahren in einem eigentlichen, merkwürdigen Schrumpfungsprozess begriffen, selbst die Ledergürtel. Und es begann sich eine eigentliche Notsituation abzuzeichnen. Für mich war das eine beängstigende Aussicht. Ich klettere zwar aufs glitschige Dach, reinige Kupferkännel, wage mich auf Autobahnen und andere stark befahrene Strassen und habe in diesem BSE-Zeitalter kürzlich sogar Kalbskopf gegessen – aber Kleider anprobieren ... Davor habe ich eine panische Angst. Und das Herumtänzeln vor einem lebensgrossen Spiegel, begutachtet von Verkäuferaugen, ist schon gar nicht meine Sache. 

Meine Frau weiss das. Und sie ging vorerst allein in einige Herrenkleidergeschäfte, um vorzusondieren und bot mich dann auf, mitzukommen. Das Kleiderverkaufspersonal stand auf Pikett. Leider verfügen wir über keine aufblasbare Gummipuppe mit meinen Ausmassen, so dass ich ihr diese hätte mitgeben können, und ich studierte auch schon an einem Gipsabdruck herum. Wahrscheinlich müsste man mich in Polystyrol hauen, so dass Eva dann ein lebensgrosses Muster mitnehmen und diese bekleiden könnte. Aber das waren Wunschträume. Es musste sein. Ich musste mit. Auf zum Kleiderkauf! 

Vor lauter Aufregung vergass ich in der Aarauer Tiefgarage ein Ticket zu lösen. Dann klapperten wir das Kleidergeschäft Nr. 1 ab, in dem aber nur 1 Kleid Evas Vorauswahl überstanden hatte. Der Kittel hatte hinten eine Lasche, eine Art Lappen oder Segel. Das sei wieder Mode, sagte die Verkäuferin tröstend. Aber erstens will ich nichts Modisches und zweitens schon gar keine Heckflosse. Wir traten die Flucht an und segelten dem nächsten Kleiderfachgeschäft entgegen. 

Im 2. Geschäft war die bereitstehende Auswahl umfangreicher. Entweder war der Veston zu gross oder zu klein, die Ärmel regelmässig zu lang, aber das liesse sich ja ändern. Hose um Hose streifte ich über und hinunter, und noch war nicht einmal der Grundsatzentscheid gefallen, ob wir eine ganze Kleidung aus einheitlichem Stoff oder Hose und Veston als Einzelstücke mit vermehrten Kombinationsmöglichkeiten kaufen sollten. Hochkomplexe Aufgaben, wie sie das Leben mit sich bringt und die uns bis zum Äussersten fordern, oft genug überfordern. 

Ein älterer Verkäufer mit Engelsgeduld, der eine ähnliche Figur wie ich hat und den ich deshalb als kompetent (nicht zu verwechseln mit korpulent) betrachtete, war mir eine wertvolle, mitfühlende Stütze. Er schleppt Kleiderbügel um Kleiderbügel voller Kleider an. Einmal war die Farbe leicht daneben, von wegen schwachem Grünton, dann missfiel Eva das Blau der Längsstreifen eines dunklen Anzugs, und als sich dann eine Lösung mit einem festlichen Anzug abzeichnete, fiel Eva auf, dass der Hosenoberteil zu hoch war, so dass meine Beine noch kürzer wirkten. So etwas schied aus Abschied und Traktanden. Als dann ein Modell herbeigeschleppt wurde, bei dem die Bauchumrundung in etwa die gewünschte Länge aufwies, kamen Eva die Hosenbeine unten etwas zu eng anliegend und damit für mein Volumen unproportioniert vor. Man vergesse bitte nicht, dass ich mich immer wieder umziehen musste, durch weite und enge Hosenbeine zu schlüpfen hatte – hinein in die Kabine und heraus vor den Spiegel zur kritischen Aburteilung. 

Bei einem weiteren Modell waren die Bundfalten für Evas Geschmack allzu üppig ausgefallen, und sie achtete auch strikte darauf, dass ich meine Hände nicht nach gut schweizerischer Art in den Hosensäcken verstaute, was zudem einen gelangweilten Eindruck hinterlassen hätte und das Volumen unvorteilhaft veränderte. 

Ich sprach dann den Verkäufer auf eine Lösung mit den altehrwürdigen Hosenträgern an, der für solche Fälle eine besonders grosse Oberweite empfahl. Und da diese Träger die Hosen über den Bauch heraufziehen, muss das auch bei der Schrittlänge berücksichtigt werden. Ich sah ein, dass die Hosenträger-Lösung keine war und die Sache nur zusätzlich verkomplizieren würde. 

Allmählich ging meine Ungeduld in einen Unwillen über. Eine Kundin, die uns beobachtet hatte und das spürte, sagte einfühlend, es sei schon so, dass die Herren nicht besonders gern Kleider anprobieren würden. Eine verständnisvolle, liebenswürdige Person. Sie traf den Kleiderbügel auf den Kopf. 

Inzwischen hatte Eva den Verkäufer so weit gebracht, Veston und Hosen einer Kleidung als Einzelstücke zu behandeln, und zum schwarzen Herrenjackett schleppte sie eine graue Hose mit den richtigen Bundfalten herbei. Ich zog meinen Bauch ein, so dass sie tadellos zu sitzen schien und ich so diese Kleiderwahl-Qualen dem Ende zutreiben konnte. Inzwischen philosophierte meine Ehefrau und Beraterin noch über Wolle und Mischgewebe, die Möglichkeit, die Hose zu waschen, falls sich wieder einmal olivenölhaltige Tomatensauce darauf verirren sollte. Was bei mir an der Tagesordnung ist. Ich bin ein ausgesprochener Saucenfan. 

Da sich die Waschprobleme einer allseits befriedigenden Lösung näherten (Waschen in der Maschine ist möglich), schloss ich den Kaufvertrag für den dunklen Veston und die graue Hose abrupt ab. Denn ich hatte schliesslich gerade die Hosen an.

Bei der Kasse unten wollte der Kassier den Kauf rückgängig machen, weil nicht ein ganzer Anzug zweigeteilt und neu zusammengesetzt werden dürfe, wie er sagte. Ich bettelte, er solle mir das bitte bloss nicht antun, sonst gehe das ganze Theater wieder von vorn an, und der nette, einsichtige Mann liess sich erweichen (es war wenige Minuten vor Ladenschluss). Er habe nichts gesehen ..., sagte er, und tippte wild entschlossen auf die Kassentastatur, als ob alles in Ordnung sei. 

Da hatten wir also wieder einmal Glück gehabt. Dieses Glück verfolgte mich ab jetzt förmlich: Auch beim Auto war kein Bussenzettel. Ich hatte meine Freiheit wieder, und erinnerte mich endlich an Henrik Ibsen:Man sollte nie seine besten Hosen tragen, wenn man um Freiheit und Wahrheit kämpft.“ 

Somit hätten es eigentlich auch meine alten Kleider nach dem Auslassen noch längst getan. Hinterher ist man immer gescheiter.

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