Textatelier
BLOG vom: 27.08.2005

Einbürgerungen: Österreicherin musste zum Deutschtest

Autor: Heinz Scholz

Als ich am 26. August 2005 im Internet stöberte, entdeckte ich unter „Spiegel online“ (www.spiegel.de) eine kuriose Meldung. Da wurde doch eine 62-jährige Österreicherin, die sich in Deutschland einbürgern lassen wollte, zum Deutschtest gebeten. In meiner Fantasie stellte ich mir vor, wie das Gespräch bei der zuständigen Dienststelle abgelaufen sein könnte:

Kommt die Dame ins Stuttgarter Ordnungsamt. Eine Sachbearbeiterin befragt sie nach allen Regeln der Kunst über das Wieso und Warum. Dann kommt die unheilschwangere Frage: „Können Sie Deutsch?“ Die Frau antwortet absichtlich im österreichischen Dialekt (sie war ja verärgert); sie könne schon sehr lange Deutsch, da erübrige sich wohl eine solche Frage. Die Sachbearbeiterin meint, sie könne mit dem österreichischen Dialekt nichts anfangen und fragt dann im scharfen Ton: „Kennen Sie Jean Paul?“ Als Sie ein Nicken sieht, fährt die kaltschnäuzige Beamtin fort: „Dann wissen Sie ja, was er über die deutsche Sprache gesagt hat: ‚Die deutsche Sprache ist die Orgel unter den Sprachen.’“ Die Einbürgerungswillige wollte schon sagen: „Und ich bin eine Pfeife der Orgel.“ Sie reisst sich jedoch zusammen und sagt, sie lese immer wieder gern die Werke deutscher Dichter, besonders jene des Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe, kenne sehr viele Zitate und fühle sich zum Lande der Dichter und Denker hingezogen, und sie könne jederzeit die Inhaltsangaben der Werke aus dem Stegreif zum Besten geben.

Nach so viel Wissen hätte wohl die Dame vom Amt kapituliert und ihr die Einbürgerungsurkunde überreicht. Aber sicher kann man ja bei Beamten nie sein.

Die Auflösung folgte auf dem Fuss. Die Amtsleiterin des Ordnungsamtes erklärte der „Stuttgarter Zeitung“, die Unterhaltung sei „nicht glücklich verlaufen“. In der Regel müssten Menschen aus deutschsprachigen Ländern nicht zum Deutschtest. Das Pikante: Die Österreicherin arbeitete schon seit 9 Jahren in Stuttgart und leitet Literaturkurse – und zwar in Deutsch. Die Leiterin entschuldigte das Versehen und meinte, ihr Amt habe im Jahr 2500 Anträge zur Einbürgerung zu bearbeiten. Und da könne schon mal ein Versehen passieren.

Auch in der Schweiz sind seltsame Fälle von Einbürgerungsprozeduren vorgekommen. Als Deutscher habe ich mich damals halb tot gelacht, als ich den publikumsmässig erfolgreichsten Schweizer Film „Die Schweizermacher“ (über 1 Million Zuschauer in der Schweiz) mit Walo Lüönd, Emil Steinberger, Beatrice Kessler, Wolfgang Stendar, Hilde Ziegler sah. Die 2 Beamten Max Bodmer und Moritz Fischer mischen sich in die Privatsphäre fremder Leute ein, prüfen diese auf ihre Eignung zur Erhaltung eines Schweizer Passes. Die Einbürgerungswilligen sollen ordentlich, sauber, fleissig, ruhig, neutral und vaterlandsliebend sein. Wie in der Filmkritik zu lesen war, wurde „jedes Fondue und jede Fahnenstange auf ihre Echtheit überprüft“. Schweizer Gründlichkeit.

Die Komödie war natürlich ironisch-satirisch aufgearbeitet und massiv überzeichnet. Aber auch im wirklichen Leben gab und gibt es immer wieder Seltsamkeiten bei der Einbürgerung.

In meiner Anekdotensammlung entdeckte ich unter der Überschrift „Schweizer werden, das ist schwer!“ einen Fall, der auch in der „Badischen Zeitung“ (17. Juli 1996) publiziert worden war.

In Kaiseraugst AG, unweit von Basel, reichte ein Deutscher ein Einbürgerungsgesuch ein. Herr L. wollte endlich Schweizer werden. Er arbeitete seit vielen Jahren in der Schweiz, hatte einen Wohnsitz, ein regelmässiges Einkommen, war nicht vorbestraft, hatte keine Steuerschulden und sprach eine der Landessprachen. Er hatte also alle Eigenschaften, die einen rechtschaffenen Schweizer ausmachen. Trotzdem wurde sein Gesuch auf Einbürgerung mit 38 Gegenstimmen von der Gemeindeversammlung abgelehnt. Wieso? Nun, er war zum 4. Mal verheiratet. Dies gilt in manchen Gegenden der Schweiz als moralisch bedenklich (so hätte auch beispielsweise der deutsche Aussenminister Joschka Fischer schlechte Karten, ein Schweizer zu werden. Er ist nämlich zum 5. Mal verheiratet).

Eine Schweizerin kommentierte den zuvor geschilderten Kaiseraugster Einbürgerungswilligen so: „Das ist ein richtiger Vogel. Er ist mit seinen Frauen ganz schlecht umgegangen. So einer darf nicht Schweizer werden.“ Recht hat die Frau. Schliesslich soll das Bürgerregister der Gemeinde sauber bleiben und nicht durch Filous und Ehebrecher verhunzt werden. Die weltweit einzigartige tiefenscharfe Demokratie hat eben ihre besonderen Eigenheiten. Man kann da nur neidisch werden.

In Basel wäre sein Gesuch sicher angenommen worden. Aber in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt, ist das nicht immer möglich. Es gibt sogar Gemeinden, die noch nie einen Ausländer zum Schweizer gemacht haben. Wer dies nicht glaubt, kann ja einmal selber einen Einbürgerungsantrag stellen und Erfahrungen im Umfeld der „Schweizermacher“ sammeln, falls er oder sie die Voraussetzungen zu erfüllen glaubt. Vielleicht resultiert daraus dann Stoff für einen neuen Film.

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