Textatelier
BLOG vom: 15.01.2006

Dank an Dick Marty für seine atemberaubende Offenheit

Autor: Walter Hess
 
Das hat mir fast den Atem verschlagen: Da trat ein Politiker in den Medien auf, der ehrlich seine Erkenntnisse bekannt gab, den Regierungen ins Gewissen redete und deren „erschreckende Passivität“ rund um die brutale Verletzung von Menschenrechten geisselte. Sein Name: Dick Marty, freisinniger Ständerat aus dem Kanton Tessin und Ermittler im Auftrag des Europarats; er ermittelte früher gegen die Mafia. Der Ermittlungsgegenstand: die CIA-Gefängnisse in Europa, in denen Menschenrechtsverletzungen und Folterungen an der Tagesordnung sind.
 
Dass ein Politiker, der einfach ehrlich und offen ist, wie eine Streubombe wirkt, die ausnahmsweise Nutzen statt unermesslichen Schaden stiftet, lässt tief blicken. Wir sind an eine verlogene, vertuschende, totschweigende „Information“ gewöhnt, ärgern uns gelegentlich und finden kaum noch etwas dabei. Am Freitagabend wurde zum Thema der US-Folterungen am SF DRS eine „Arena“ veranstaltet. Dabei hat mich Nationalrat Christoph Mörgeli, zu dem ich bisher Sympathie hatte, zutiefst enttäuscht. Mit rabulistischen Argumentationen und triefendem Pro-Amerikanismus verurteilte er die Veröffentlichung eines offenbar vom Schweizer Geheimdienst abgefangenen Fax aus der ägyptischen Regierung, welcher bewies, was schon lange bekannt war ... Aber noch immer fehlen den US-Hörigen, die mit der Schurkenregierung von drüben durch dick und dünn gehen, der „letzte Beweis“ – als ob es dessen noch bedürfte.
 
Guantánamo, das die Ehre der Insel Kuba beschmutzt, und Abu Ghraib in Bagdad genügen dieser merkwürdigen Wertegemeinschaft, die sich den USA kritiklos unterworfen hat, überhaupt noch nicht, obschon dort auch die allerletzten Beweise erbracht sind. Auch die Schweizer Regierung flüchtete sich bisher in feiges Schweigen und jämmerliche Ausreden. Sie nahm es bisher offenbar hin, dass sie aus den USA nicht einmal Antwort auf die Anfrage wegen der CIA-Landungen in der Schweiz erhielt. Dass die Foltergefängnisse durch den CIA inszeniert sind, steht für Marty ausser Frage. Er exemplifizierte dies am Fall des radikalen Imams Abu Omar, der in Mailand entführt und über Umwege via Deutschland nach Ägypten gebracht worden und dort gefoltert worden sein soll. Die italienische Justiz habe in diesem Fall mittlerweile 25 amerikanische Agenten identifiziert.
 
Auf der politischen Ebene hat nun Dick Marty durch seine Offenheit und Ehrlichkeit neue ethische Massstäbe gesetzt, und es wird in Zukunft den Regierungen nicht mehr möglich sein, die bewiesene Faktenlage zu ignorieren und so zu tun, als ob sich die US-Führung nicht schwerer Menschenrechts- und Kriegsverbrechen schuldig gemacht habe. Marty sprach mit Bezug auf die europäischen Regierungen von „Heuchelei“; denn die Staaten wüssten „seit 2 oder 3 Jahren ganz klar, was geschieht“. Dabei unterteilte er die Heuchler in 3 Kategorien: in solche, die aktiv kollaboriert haben, andere, die es einfach tolerierten und solche, die wegschauten. Eine himmeltraurige Rolle spielten sie alle. Welche moralische Kraft haben denn Verbrecher noch? Wer schafft es denn trotz alledem, mit diesen freundschaftlich zusammenzuarbeiten? Selbst Angela Merkel, die neue deutsche Bundeskanzlerin, soll bei ihrem Besuch in Washington trotz Schmusekurs etwas aufgemuckt haben. Wer hätte das gedacht!
 
Die europäischen Regierungen verhielten sich bisher tatsächlich „schockierend passiv“ im Zusammenhang mit den Menschenrechtsverbrechen, die durch die USA in ihrem „Krieg“ gegen den Terrorismus begangen werden. Das sei nicht effizient und nähre nur weiteren Terrorismus, sagte Marty. Das war zwar bekannt, aber dass ein Politiker das öffentlich ausspricht, ist ja unglaublich!
 
Marty zweifelt nicht mehr daran, dass der US-Geheimdienst in Europa Terrorverdächtige verschleppte und mit „Hunderten von Flügen“ an geheime Orte transportierte. Marty, ein Freund der USA, wie er selber betonte, sagte, die USA verstiessen gehen die Menschenrechte und die Genfer Konventionen. Unter Freunden sollte man offen reden dürfen. Und Europa müsse nun endlich Farbe bekennen, und der Rechtsstaat dürfe nicht für solche Methoden geopfert werden. Den Begriff „Rechtsstaat“ sollte man sich merken.
 
Die Vorgeschichte
Am 2. November 2005 berichtete die Zeitung „Washington Post" über geheime Gefängnisse in Osteuropa („black sites"). Anschliessend hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch www.hrw.org/ (ursprünglich: Helsinki Watch), die sich mit Diskriminierung, Korruption in Regierungen, Missbrauch staatlicher Macht durch Folter und Isolationshaft auf seriöse Art befasst, die Aussenminister der Europarats-Mitgliedstaaten in einem offenen Brief aufgefordert, die Nachforschungen über mutmassliche Geheimverliese der CIA in Europa und „widerrechtliche Überstellungen von CIA-Gefangenen voll zu unterstützen“. Hintergrund war die Sorge, dass viele der offiziell empörten Regierungen kaum oder kein Interesse an der Aufdeckung des Skandals um Verschleppungen von Terrorverdächtigen haben. Doch die Organisation wurde kaum ernst genommen. Immerhin hat der Europarat als Ausnahme Dick Marty beauftragt herauszufinden, ob der CIA in Europa Menschen in Geheimgefängnissen misshandelte, was aufgrund der bisherigen bekannten Geschehnisse im Umgang mit Verdächtigen durch die USA und der sehr eingeschränkten Folter-Definition auf der Hand liegt. Für Marty gibt es keine Zweifel mehr.
 
Wer in Zukunft die USA-Machenschaften ignoriert oder herunterspielt, macht sich mitschuldig. Das wird bei späteren Kriegsverbrecherprozessen zu berücksichtigen sein. Die Regierungen im US-Schatten haben die Wahl, auf welcher Seite sie stehen wollen.
 
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