BLOG vom: 21.01.2006
John O’Hara: Ein Blog-Schreiber par excellence
Autor: Èmil Baschnonga
Amerika konnte im 20. Jahrhundert mit vielen ausgezeichneten Erzählern aufwarten: George Orwell, John Steinbeck, Truman Capote, Henry Miller und Ernest Hemingway.
Dieser Beitrag gilt John O’Hara (31.1.1905–11.4.1970). Zwischen dem 3. Oktober 1964 und dem 2. Oktober 1965 hat er viele Blogs geschrieben (ehe dieses Wort zur kuranten Münze geworden ist), die er „Mitteilungen“ nannte und die unter dem Titel „My turn“ 1967 erschienen sind.
Als angriffiger und zeitkritischer Kolumnist ist er am besten als Erzähler von Kurzgeschichten bekannt, die u. a. im „The New Yorker“ erschienen sind und zu seinem Ruf beitrugen.
„Appointment in Samarra“ (1935) verhalf ihm zum literarischen Durchbruch und hat mich tief und nachhaltig beeindruckt. Ich gebe hier die Geleitsparabel auf Deutsch gekürzt wieder. (Übrigens hat der englische Schriftsteller W. Somerset Maugham diese Parabel in seiner eigenen Prosa wiedergegeben.)
Ein Händler in Bagdad sandte seinen Diener auf den Markt. Zitternd und zutiefst erschrocken kam er zurück und berichtete seinem Meister: „Auf dem Markt bin ich auf den Tod gestossen, der mir drohte. Bitte gib mir dein Pferd, damit ich dem Tod entfliehen kann. In Samarra wird er mich nicht finden.“
Sein Diener floh schleunigst nach Samarra.
Später stiess der Händler im Markt auf den Tod. „Warum hast du meinen Diener bedroht?“ fragte er ihn.
„Ich habe ihn keineswegs bedroht“, erwiderte der Tod. „Ich war einzig überrascht, ihn in Bagdad zu sehen, denn ich habe ein Treffen mit ihm in Samarra.“
In seinen Mitteilungen nutzte John O’Hara durchwegs die Ich-Form.
In diesen Fragmenten, mit politischen Seitenhieben, gibt sich O’Hara dem Leser preis, besser als dies eine Biographie vermöchte. Mögen sie zur Leselust schüren. Wem die Politik zu beschwerlich ist, wird seine Kurzgeschichten schätzen.
(3.10.1964) „Beginnen wir mit einem wirklich schlechten Start. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, wöchentlich eine Mitteilung zu schreiben …“
10.10.1964) „Als ich meine 1. Zigarette anzündete und inhalierte, wusste ich, dass ich nicht eine „Horlick’s Malz-Milch-Tablette“ zu mir nahm …“
(16.12.1964) „Setze einen Suppenteller gefüllt mit Honig (nicht Essig) auf den Fenstersims. Wenn er genug Fliegen angelockt hat, sprühe sie mit DDT …"
Damit gelang ihm ein eleganter Übergang zu einem anderen Anliegen, nämlich gegen den Einsatz von Kameras, Mikrophon und Fernsehen als Teil des Presse-Instrumentariums. Leider hat er seinen Kampf gegen diese Medienmittel verloren.
(9.1.1965) „Ich habe immer geglaubt, dass Senator Joe McCarthy, der am meisten überraschte Mann im Lande war, als die Leute begannen, ihn ernst zu nehmen …“
Dies bezieht sich auf die Kommunisten-Treibjagd, die viele unschuldige Opfer forderte. Seinen Standpunkt markiert er ironisch mit dem Satz: „Als Nation haben wir nicht viele Schurken produziert.“
(27.3.1965) Gegen Schusswaffen schrieb er: „Die Kriminalitätsrate geht hoch, und in Chicago hat ein Richter gerade entschieden, dass ein Schurke mit einer zerbrochenen Flasche in der Hand weniger gefährlich ist als ein vereidigter Gesezteswächter, ein Entscheid, der das Leben in Cook Country nicht weniger unsicher macht.“
(4.9.1965) Sein Schalk bricht durch: „Freunde sagen mir, du hast es ja gut, selbst ohne Ehrendoktor. Nun haben solche Auszeichnungen ihre Vorteile. Hätte mir die Yale (Universität) solche Ehre erwiesen, hätte ich Zugang zum Yale-Club, wo das Essen gut ist, die Bibliothek wohlbestückt und erholsam, leicht zugänglich gelegen. So bräuchte ich keine Freunde mehr anzupumpen und kriegte erst noch eine schöne Krawatte.“
Ich bin überzeugt, dass mehr und mehr Amerikaner von der USA-Politik die Nase voll haben. Wer in Amerika schreibt heute solche Glossen so treffsicher wie O’Hara? Es gibt solche Autoren ganz gewiss. Das stimmt mich beinahe zuversichtlich.
Hinweis auf weitere Blogs über Schriftsteller
09. 09. 2005: „Henry David Thoreau und die Pflicht zur Ungehorsamkeit“
02. 07. 2005: „Bitte wieder ein bisschen mehr Charles Dickens!“
06. 02. 2005: „Die unsägliche Mühe mit der Ich-Form“
24. 01. 2005: „Literarischer Seitensprung zu ‚Madame Bouvary’“
Hinweis auf weitere Blogs von Baschnonga Emil
Mai-Aphorismen
April-Aphorismen
Der Träumer
Der vermeintliche Obdachlose
März-Aphorismen
Februar-Aphorismen
Januar-Aphorismen
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November-Aphorismen
Oktober-Aphorismen
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Die verlorene Handtasche
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