Textatelier
BLOG vom: 28.02.2006

[2] „Der vollendete Adam“: Tyrann oder Pantoffelheld?

Autor: Emil Baschnonga
 
Auf ausdrücklichen Leserwunsch kommt hier gleich das männliche Gegenstück zum vorangegangenen Blog vom heutigen 27. 02. 2005 („Nil mirari – oder: ‚Die Auferstehung der Dame’“) aufs Tapet, wie 1928 vom Ehepaar Paula und Burghard von Renicek unter dem Titel „Der vollendete Adam“ in Buchform inszeniert.
 
Ist Adam ein Tyrann oder Pantoffelheld? Ist er gar ein Casanova, ein „Ladykiller“? Denn auch in diesem Folgeband wurden wiederum allerlei fremdsprachliche Modeausdrücke aufgenommen. Eines ist sicher: Adam ist der Herr der Schöpfung. Oder ist es einmal gewesen.
 
Was die Damen nicht mögen: Das ist eine lange Liste, woraus hier nur eine Auswahl erwähnt sei.
 
„Adam ungepflegt, unrasiert, ungalant, schlecht gelaunt, gleich intim oder viel zu schüchtern, ungebildet, indiskret, wahnsinnig eingebildet, ungern zahlend, blind bei der eigenen, begeistert bei der anderen Frau, viel zu langweilig ...“
 
Ich merke mir, dass Bartstoppeln der schlimmste Nachwuchs sind. Ich rasiere mich jetzt und vollziehe einen Wäschewechsel. Umsonst. Das haut nicht hin: Ich habe zu wenig Geld in der Tasche.
 
Wie Adam sein sollte:
 
„Sprühend vor Temperament, breitschultrig, schmalhüftig, in englischen Anzügen, mit phantastischen Krawatten, mit relativer Treue, einem reichlich grossen Scheckbuch, bewandert in Sachen ‚Haute couture’, mit Sinn für Blumen, Schmuck, nicht zuletzt für die so genannte ‚Seele’ der Frau ...“
 
Nun schlucke ich als Unwürdiger 3 Mal leer und enthalte mich des Kommentars.
 
Sehr schön wurde der „behütete“, wenn nicht gar „begüterte“ Adam eingeleitet: „Der Herrenhut ist keine Kopfbedeckung schlechthin – nein, ein eng mit der Person verwachsenes Kleinod.“
 
Ich bin wirklich ein Verlierer. Nie in meinem Leben habe ich einen Filzhut mit Krempe getragen noch eine Mütze, ob Baskenmütze oder Basketball-Mütze – nur eine Kapuze im schlimmsten Schneegestöber. Wer Hüte trägt, kriegt früh eine Glatze oder verdeckt sie damit. Das ist meine Meinung. Ich preise meinen dichten Haarschopf – mein verwachsenes Kleinod –, den ich alle 1 bis 2 Monate scheren lasse. Da ich meinen Schopf nicht wie einen Hut lüften kann, erspare ich mir viel unnötige Bewegungen beim Grüssen der Leute unterwegs. Und kein Wind weht ihn mir vom Kopf.
 
„Vom grün-violetten Affen zum Knickebein!“ Vom vollendeten Adam wird erwartet, dass er im „Shaker“ einige Cocktail-Mischungen beherrsche, ganz besonders das „Knickebein“, dem schwächeren Geschlecht vorbehalten. „Auf weissen Curaçao kommt ein Schuss Brandy, ein Eigelb, ein Rosenlikör und 10 Tropfen Kognak.“
 
Ich weiss nicht, ob ich das Knickebein richtig interpretiere. Aber damit es bei der Dame wirkt, schlage ich vor, die 10 Tropfen Cognac auf 30 zu erhöhen. Aber das ist heute ein sehr heikles Thema geworden, weil das „Date-raping“ grassiert. Also Hände weg von solchem Zeug, wenn man als vollendeter Adam gelten will!
 
Unter den „10 Geboten des Junggesellen“ stosse ich auf ein besseres Mittel: „Du sollst Deinen Gasherd lieben wie Deine Freundin und Deine Freundin warm halten wie Deinen Kochherd.“ In der gleichen Richtung empfiehlt das 5. Gebot, „... Schokolade zurechtzulegen und für gedämpftes Schummerlicht und Grammophonplatten zu sorgen, wenn Du vom ‚5-Uhr-Tee’ Offenbarungen erwartest.“
 
„Barverkehr.“ Etwas begriffsstutzig wie ich bin, dachte ich, es handle sich dabei um den Barverkehr über den Ladentisch hinweg, und nicht am Schanktisch. Aber bleiben wir jetzt beim Geld. Es geht um die Frage: „Getrennte oder geteilte Kasse?“ Gleichberechtigung hin oder her: „Wenn ein Herr eine Dame zum Theaterbesuch einlädt, übernimmt er damit die Verpflichtung, auch alle Nebenspesen zu tragen – franko Haustür.“
 
„Wer gut schmiert …“ Hier bemerkt das Autorenpaar, durchaus auch heute noch zutreffend: „Kaum war das Trinkgeld abgeschafft, erschien es flugs in Verkleidung durch die Hintertür.“
 
Damals gab es noch viel Gesinde. Wer als Gast zur Mahlzeit erscheint, drückt dem Hausmeister beim Öffnen der Türe 20 bis 30 Pfennig in die Hand. Auch wenn keine Dienerschaft anwesend ist, macht es sich gut, beim Abschied ein Silberstück auf den Garderobetisch gleiten zu lassen. Beim Logierbesuch erhalten Stubenmädchen, Köchin, Diener oder Serviermädchen etwa je 50 Pfennig für den Tag. Auch diese Ausgaben gehören zu den Aufgaben des Adams.
 
Adam muss die Blumensprache beherrschen. Auch heute noch, wie eben am St. Valentinstag gepflogen. Auch dieses Thema wird in diesem Knigge nicht ausgelassen: „Der raffinierten Frau, der man um die Teestunde seinen Besuch macht, legt man Anthurien in den Arm ... jener, die man abends ins Theater begleitet, überreicht man ein pastellgetöntes ‚Corsage’ (Ansteckbukett).“ Auch der verheiratete Mann wird angehalten, seiner Frau Blumen zu schenken. „Diese stiften Freude und Frieden auf der Erde.“
 
Nach allen Umwegen, wenn nicht gar Abwegen, stellt sich schliesslich die Frage: Wen soll ich heiraten? Der naive Adam merkt nicht einmal, wie geschickt er von der listigen Eva in den Ehehafen getrieben wird. Böswillige Zungen behaupten, dies sei der Abschied von der Liebe, die durch Pflichten ersetzt wird.
 
Soll die Zukünftige eine Jungfrau sein, die sprichwörtliche Unschuld vom Lande? Diese haben Seltenheitswert gewonnen, und das erübrigt diese Frage, ausser dort, wo der Islam herrscht.
 
Der pragmatisch gesinnte Mann zieht eine Berufstätige vor, die selbst für sich sorgen kann.
 
Viel Vorsicht ist Künstlerinnen gegenüber angebracht. Sie sind eigenwillig, wenn nicht eigensinnig und emotionell hoch gespannt.
 
Im Knigge figurieren auch Witwen, was weniger einer Ermessensfrage als einer Vermögensfrage gleichkommt.
 
Damals tauchten auch schon geschiedene Frauen auf. Für jede geschiedene Frau wird auch ein Mann freigestellt. Manche Leute fragen sich, ob es gut ist, jemand aus 2. oder 3. Hand zu ehelichen, da man sich dabei doch sehr viel Gepäck erwirbt und leicht ins Vergleichsbild gezogen wird.
 
Jetzt, wie ich auf der Seite 157 stecken bleibe, flüchte ich ins letzte Zitat, dem Adam als Egoisten zugedacht: „Der brave Mann denkt“ – so heisst es – „an sich selbst zuletzt – aber in dem Augenblick, wo es um eine Frau geht – denke er zuerst an sich selbst.“
 
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