BLOG vom: 05.03.2006
Ode an Baum, Holz und Früchte der Fellenberg-Zwetschge
Autorin: Rita Lorenzetti
Der Zwetschgenbaum (Prunus domestica L.) schwankte, als wir ihn im letzten Herbst bestiegen. Es waren auch nur noch einzelne Früchte zu ernten. Die Produktion am Auslaufen. Etliches dürres Geäst war schon abgefallen. Der Stamm und zwei starke nach oben auslaufende Äste aber trotzten noch dem endgültigen Absterben. Ihre Figur ähnelte der Bielmann-Pirouette. Und doch war es Zeit, ihn zu fällen. Zwetschgenbäume sind nicht tief verwurzelt, können sogar ohne menschliches Zutun einfach umfallen.
Vom Zwetschgenbaum sagt der Fachmann Paul Guggenbühl in seinem Werk „Unsere einheimischen Nutzhölzer“, er würde selten älter als 30. Und der unsere war ein über 60-jähriger. Er liess sich willig in eine Richtung bewegen. Sein Stamm musste nicht angesägt werden. Wie ein Tier an der Leine, liess er sich ziehen und dann fallen. Wir mussten ihm keine Schmerzen zufügen.
36 Jahre lebten wir miteinander. Und nicht nur wir. Vögel fanden in der Rinde dieses alten Baums reichlich Nahrung, pickten sich Rosinen aus den Schrunden. Abwechselnd beanspruchten ihn auch Nachbars Katzen als Aussichtsplattform. Kaum lag der Baum letzte Woche am Boden, traf ein Braunkehlchen-Paar ein, setzte sich auf das feine Geäst aus der Krone, schaute um sich, blieb lange sitzen, nahm offensichtlich auch Abschied von ihm.
Die noch einigermassen intakten Teile des Stammes befinden sich jetzt in der Werkstatt. Bereits aufgeschnitten sind die Äste. Querschnitte von ihnen zeigen uns den inneren Zerfall. Der Kern ist morsch, zerfasert, erinnert an ein Wespennest. Eine Schnitte dürres Zwetschgenholz sieht wie ein Stück Fleischpastete aus. Und die Handschmeichler aus diesem Astholz erinnern an Kartoffeln, die in der Asche gebraten worden sind. Sie tragen noch die kupferfarbene Rinde. Sie zeigen mir die ganze Landschaft ihres Innenlebens, gesunde und kranke Teile und geölt ihre rot-violette Farbe.
Noch immer pulsiert das Holz aus einem früher abgefallenen Ast. Als grosses Ei geformt, kann ich es in die Hände nehmen und seinen Puls fühlen. Zwischen ihm und den neuen Handschmeichlern liegen Welten. Das Ei entstammt der Zeit, als der Baum noch potent war. Die Handschmeichler in Kartoffelform sind Zeugen des Zerfalls und Andenken an ihn.
Schade, dass das lebhaft farbige Zwetschgenholz nur selten für Möbel verwendet wird. Wegen seines kurzen und drehwüchsigen Stamms ist es für die rationelle Verarbeitung nicht geeignet, wohl aber für Instrumente, z. B. für Flöten, aber auch für Intarsien oder kunsthandwerkliche Arbeiten. Das gesunde Zwetschgenholz ist hart und wurde früher für die Herstellung von Werkzeugen gebraucht.
Pauline Felder ordnet in ihrer Auflistung „Von der Heilkraft unserer Bäume“ dem Zwetschgenholz beruhigende Kräfte zu und rät jähzornigen Menschen, Zwetschgenbäume zu umarmen. Nach Paul Guggenbühl existierte in alter Zeit die Meinung, die Zwetschge heile die Gelbsucht. Er schreibt augenzwinkernd: „Gegen Gelbsucht verschlucke man eine gedörrte Zwetschge, in die man, je nach Landesgegend, zwei bis sieben lebende Läuse gesteckt hat.“
Unser Baum brachte die prächtigen Fellenberg-Zwetschgen hervor. Jedes Jahr habe ich sie nach einem sehr alten Rezept aus dem Buch „Dienstboten-Hausschatz“ zu Marmelade eingekocht. Die Beigabe von Essig entwickelte während der langen Kochzeit ein eigenwilliges Aroma, das immer am Sommerende während einiger Tage unser ganzes Haus erfüllte. Gemäss diesem alten Rezept sollte das Einkochen auf mehrere Tage verteilt werden. Es richtete sich an Frauen mit einem Holzherd. Es heisst da: „Da das Kochen der Zwetschgen langsam vor sich gehen muss, ist es gut, wenn man sie, um Brennmaterial zu sparen, einige Tage während der Zubereitung der Mahlzeit auf der heissen Herdplatte kochen lässt.“ Daran habe ich festgehalten, nachdem ich auch das Schnellverfahren ausprobiert hatte. Diese Marmelade entwickelte sich ohne viel Zuckerbeigabe in diesem langsamen Prozess zu einer wahren Delikatesse.
Gegen Durst wurde uns früher auf Schulreisen und lange Sommerwanderungen gedörrte Zwetschgen mitgegeben. Wir wurden angehalten, den Stein nicht auszuspucken. Das Lutschen verhinderte, dass der Mund austrocknete.
Baum, Blüte und das Reifen der blauen Frucht erleben wir nun nicht mehr aus nächster Nähe. Fellenberg-Zwetschgen kann ich aber auf dem Markt kaufen. Dank diesen Verwandten ziehen auch in den kommenden Jahren die mit dieser Frucht verbundenen Düfte durch unser Haus und erinnern uns an den verstorbenen Freund, den Zwetschgenbaum.
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01. 06. 2005: „Bözberg West: Das GPS wies den Weg zur Linner Linde“
27. 04. 2005: „Willkommensgruss an die knackige Herzogin Elsa“
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