BLOG vom: 09.03.2006
Wieso eigentlich darf der Iran keine Atombomben haben?
Autor: Walter Hess
Gewiss, es ist immer ungemütlich, wenn die Zahl der Atombomben-Besitzer grösser wird. Die grösste Atommacht sind die USA mit über 10 000 (in Worten: zehntausend) atomaren Sprengköpfen. Das Arsenal wir ständig ausgebaut, jetzt gerade durch kleinere, handlichere Bomben. Dieses globale Zerstörungspotenzial in den Händen eines ausgesprochenen Schurkenstaats, der als einziger Atombomben (in Hiroshima und Nagasaki) auch tatsächlich eingesetzt hat, zwang andere Mächte, ebenfalls aufzurüsten, um dieser Übermacht wenigstens etwas entgegenhalten zu können. Zuerst einmal tat dies Russland, das heute über etwa 8400 atomareSprengköpfe verfügt. Verhältnismässig bescheiden nehmen sich die Atomwaffenbestände der anschliessend hinzu gekommenen Atommäche Grossbritannien (200), Frankreich (350) und China (400) aus. Und dann gibt es noch die so genannten faktischen Atommächte: Indien (rund 150), Pakistan (rund 75), Israel (75 bis 400) und nach eigenen Angaben Nordkorea (Anzahl unbekannt).
Israel beispielsweise durfte sein Atomprogramm seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit Unterstützung von Frankreich und selbstverständlich den USA im Geheimen auf- und ausbauen. Erste Informationen kamen erst 1986 ans Licht der Öffentlichkeit, dank der Information des britischen Journalisten Peter Hounam in der „Sunday Times“ aufgrund von Informationen, die ihm der frühere Reaktortechniker Mordechai Vanunu geliefert hatte. Vananu wurde wegen Landesverrats zu 18 Jahren Haft, wovon etwa 12 Jahre eine folterähnliche Einzelhaft waren, verurteilt und am 21. April 2004 dann freigelassen. Seine Entlassung nach den 18 Jahren war an strikte Auflagen, vor allem an einen Maulkorb, gebunden: Er darf nicht über den Atomreaktor Dimona sprechen und auch nicht aus Israel ausreisen.
Ich erwähne dies nur, um auf das Umfeld hinzuweisen, in dem der Iran seine Atomwaffenpläne verfolgt – in der Nähe von Israel als fünftgrösster Atommacht der Welt. Zwar basieren die Atomwaffenpläne des Iran nur auf Vermutungen; nachgewiesen werden konnten sie bisher nicht. Aber ich gehe davon aus, dass es sie gibt.
Denn dort in der Nähe ist ja auch noch Pakistan, das wegen der Nachbarschaft Indiens atomar aufgerüstet hat und dessen Regierung ungeachtet mit den USA paktiert, das heisst sich von den USA insbesondere im Terrorkampf instrumentalisieren lässt.
Das sind die Fakten – und nun brechen die USA und ihre Mitläufer (genannt Ländergemeinschaft) in ein Riesengeheul aus, das auf der Basis von tatsächlichen Kriegsvorbereitungen durch die USA vorerst bis zu Kriegsdrohungen reicht, weil der Iran aus den erwähnten nahe liegenden Gründen ebenfalls (offensichtlich) atomare Sprengköpfe haben will. Unter den heutigen bedrohlichen Prämissen würde ich sogar der braven Schweiz empfehlen, sich atomar aufzurüsten; denn vor einer Bedrohung durch die USA kann heute niemand mehr sicher sein, der eigene Wege gehen will (siehe Globalisierung). Die Schweiz hat ihre Atomwaffenpläne 1970 durch die Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags leider aufgegeben.
Die Inkonsequenz bei der heutigen Kernwaffenpolitik ist offensichtlich: Der Iran darf nicht, was andere offiziell oder hintenherum durften. Die USA, die sich durch eine auf Eigeninteressen ausgerichtete Willkürpolitik auszeichnen, haben als weitere Eskalation nach einem bereits 3 Jahre andauernden Streit die übrigen Atom- und Vetomächte jetzt dahingehend zu instrumentalisieren verstanden, dass Irans Atompolitik nun vor den Uno-Sicherheitsrat gezerrt wird. Die Vorgänge stehen unter dem bewährten Motto: Wir dürfen alles, ihr aber dürft nichts. Europäische Länder schreiten geradezu als willfährige Sternenbannerträger voraus, überbieten sich an Servilität, wie üblich.
Insbesondere soll der Iran die Urananreicherung suspendieren; aber die dortige Regierung bleibt unnachgiebig, verständlicherweise. Möglicherweise wird Teheran seine Zusammenarbeit mit der nach allen Erfahrungen unnützen Wiener Atomenergiebehörde IAEA reduzieren oder vollständig einstellen. Vielleicht wird es bald einmal zu Sanktionen (gegen den Iran und durch den Iran) kommen, und es ist offensichtlich, dass die unermüdlichen Bush-Krieger nach einem Morgengebet gern auch im Ölland Iran losschlagen würden, zwecks Arrondierung ihres nahöstlichen Territoriums, wiederum ohne Rücksicht auf Verluste.
Die einzige vernünftige Strategie wäre die komplette Abrüstung durch die offiziellen und die heimlichen Atomstaaten (darüber wird nicht einmal gesprochen). Nur das würde dazu legitimieren, potenzielle Neuankömmlinge im Club der Weltbedroher abzuwürgen. Mit einer Politik, die auf Eigennutz basiert und jedem Gefühl nach Gleichbehandlung ins Gesicht schlägt, wird zur weiteren Destabilisierung dieser Erde beigetragen. Das kommt auch aus dieser Botschaft aus Teheran zum Ausdruck: „Die USA haben zwar die Macht, Leid und Schmerzen zuzufügen, aber sie sind auch selber anfällig dafür. Sollten sich die USA für diesen Weg entscheiden, dann soll der Ball entsprechend rollen.“
Kann man es einem Volk verübeln, das in Zeiten schwerster Bedrohungen die Feinde in Schach zu halten und sich selber zu verteidigen sucht? Wann endlich fliessen ein paar ethische Grundhaltungen wie Korrektheit und Gleichbehandlung aller in die westliche Politik ein? Inzwischen ist doch wahrhaftig genug Unheil angerichtet worden.
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