BLOG vom: 29.03.2006
Warum ich Geschäftsabschlüsse etwas anders interpretiere
Autor: Walter Hess
Der Frühling ist die hohe Zeit der Geschäftsabschlüsse. Das Unternehmen, das im vorangegangenen Berichtsjahr am meisten Umsatz zulegen und Gewinn generieren konnte, ist das grösste. Das Ranking will es so. Ist bei einem börsenkotierten Unternehmen der Gewinn grösser als die Analysten erwartet haben, steigt der Kurs, ist er kleiner, sinkt er eben. Analysten sind Wirtschaftsfachleute, die sich täuschen und die täuschen. Sonst würden sie ja immer richtig liegen. Und das tun sie selten.
Ich stütze mich auf die tatsächlichen Abschlusszahlen. Sind die Gewinne eines Unternehmens riesig, bedeutet das nach meiner persönlichen Interpretation, dass es seine Produkte oder Dienstleistungen viel zu teuer verkauft hat. Als Aktionär freue ich mich, für mich als Kunde ist das ein Warnsignal. Ich sehe mich veranlasst, die Angebote dieses im Abkassieren offensichtlich talentierten Unternehmens zu meiden und auf Marken auszuweichen, deren Gewinne einen vernünftigen Rahmen nicht überschreiten. Für gewisse Gewinne habe ich Verständnis, weil ein Unternehmen ja Reserven anhäufen muss, um seinen Verpflichtungen auch in schwierigen Zeiten nachkommen und gewisse Erneuerungen vornehmen sowie Forschungen vorantreiben zu können.
So hat der Schweizer Detailhandelskonzern Coop im Jahr 2005, wohl unter dem Druck der Aldi-Ankunft in der Schweiz, Preisreduktionen von 280 Mio. CHF an die Konsumenten weitergegeben. Der Betriebsgewinn sank um 21,7 %. Und das ist doch eine gute Reklame.
Natürlich sind die Unternehmensgewinne nur einer von vielen Faktoren bei Kaufentscheidungen. Ist der Gewinn klein, ist es auch möglich, dass eine Firma zu komplizierte Strukturen hat, schlecht gemanagt wird oder von der Firmenleitung geplündert wird. Auch ist es möglich, dass Rationalisierungseffekte und das Ausweichen auf Billiglohnländer den Gewinn in die Höhe schrauben. Man wird solche Aspekte auch in Erwägung ziehen müssen.
Die Produkte eines Biobauern, dessen Wirtschaftsweise auf eine angepasste Vielfalt statt Rationalisierung beruhen, werden teurer sein als industriell hergestellte Massenware. Hier spielen starke Qualitätsaspekte ebenso mit wie auch der Umstand, dass Biobauern nicht zu den Grossverdienern gehören und also unsere Unterstützung aus mehreren Gründen verdienen – auch wegen einer ökologischen, tierfreundlichen Produktion.
Abschreckende Beispiele sind neben Konzern-Riesengewinnen auch grosse Werbeaufwendungen. Diese Werbekosten bezahlt am Ende ebenfalls der Konsument. Produkte, die uns ununterbrochen von Fernsehschirmen her belästigen und bedrängen, sind zwangsläufig ihren Preis nicht wert. Ich möchte jedenfalls nicht neben den TV-Gebühren auch noch dafür bezahlen müssen, dass ich zum Konsumtrottel gemacht werde, nur weil ich die Nachrichten hören und sehen wollte.
Sollte ich mit meiner kuriosen Haltung ziemlich einsam auf weiter Flur stehen, würde mich das nicht stören. Ich interpretiere und analysiere Indizien auf meine persönliche Art und bin damit noch nie schlecht gefahren.
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