BLOG vom: 09.04.2006
Spielsucht und Auswüchse: Reinfallbeispiel England
Autor: Emil Baschnonga
Wir alle spielen gern. Als „homo ludens“ (spielender Mensch) hat der holländische Historiker und Philosoph Johan Huizinga (1872–1945), die sonst als „homo sapiens“ (vernunftbegabt) gepriesene Menschheit eingestuft. Es braucht wirklich viel Vernunft, um das so gut wie Huizinga zu treffen.
Der Anstoss zu diesem Blog ist der bevorstehende Einzug der Supercasinos aus Amerika in England. In London gibt es bereits mehr als genug einheimische Luxus-Casinos in den mondänen Stadtteilen. Insgesamt gibt es in England rund 140 Casinos aller Art. Diese Megacasinos sind im Schnitt mit einer Fläche von 1500 m2 mit 150 Spieltischen und 1250 „slot machines“ ausgerüstet. Letztere hiessen früher „einarmige Banditen“ – und werden jetzt per Tastendruck elektronisch bedient. Natürlich gibt es auch Restaurants und Bars. Die Regierung heisst diese „Vegas Casino Mafia“ willkommen, da sie Lizenzeinnahmen verheisst. In Amerika ist das jährliche Lizenzeinkommen schon auf 4,7 Milliarden USD angeschwollen …
Vor vielen Jahren habe auch ich verschiedene Casinos besucht – einzig als Zuschauer und nicht als Spieler –, etwa in Evian, Monte Carlo und auch London. Es waren Bekannte, die mich dorthin verschleppten. Ich schaute dem Treiben zu und langweilte mich bald fürchterlich, denn die Spiele und ihre Spielregeln verstand ich nicht – und interessierten mich nicht im Geringsten. Jetzt machen sich auch Online-Casinos überall breit, wie ich mich bei den Recherchen für diesen Artikel überzeugen konnte. Ich wurde dabei von einer wahren Kaskade von „Angeboten“ überschwemmt, die ich nur mit Mühe aus meinem PC löschen konnte.
Als es noch die Spielarkaden gab, damals im Battersea Park und beim Leicester Square, opferte ich unterwegs hin und wieder einige abgezählte Pennies. In 5 Minuten war ich sie bei den „einarmigen Banditen“ los. Fesselnd fand ich die Spielapparate mit den hin und her schweifenden Schiebern. Man wirft einen Penny in den Schlitz und hofft, dass er dort zu liegen kommt, wo er eine Penny-Lawine auslösen könnte. Auch dort blieb die Ernte aus und lohnte den Einsatz nicht. Mehr Glück hatte ich bei den altmodischen Telefonapparaten. Drückte man nach Einwurf der Münze den Knopf, konnte es vorkommen, dass der Apparat plötzlich eine kleine Anzahl von Pennies als Dividende ausspuckte.
England ist eine Spielernation 1. Ranges. Begonnen hat dies mit dem Lotto und den „scratch cards“ (die ich mangels eines besseren Worts „Kratzkarten“ nenne) und die in den Supermärkten verkauft werden. Wenn ich dort eine Zeitung kaufen will, muss ich vor der Kasse beim Kiosk Schlange stehen, wenn Leute ihre Scheine für dieses Spielzeug hinblättern. Wie ich feststellen kann, haben viele Lottokäufer ihren Einsatz von den Esswaren abgezweigt – und lassen leicht eine 20-Pfund-Note vom Wind verflattern. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie etwas gewinnen, ist mehr als hauchdünn. Ins gleiche Kapitel gehören die Bingo-Hallen, oft in ehemaligen Kinos in den tristen abseitigen Quartieren untergebracht. Dort sammeln sich die Hausfrauen nachmittags und werden vom Spieltrubel mitgerissen und verjubeln ihr Haushaltsgeld.
Auch der Schausport ist ein Anziehungspunkt für Wetten. Dementsprechend gibt es viele Wettbüros in den Aussenquartieren. Pferde- und auch Windhunde-Rennen sind ebenfalls beliebt. Bei diesen Rennen ist eine gewisse Kenntnis der tierischen Wettläufer förderlich, um allenfalls dem blossen Zufall ein Schnippchen zu schlagen.
Zum Glück gibt es auch Wetten, die das Konto nicht überziehen wie etwa das Spiel mit der Münze: „Kopf oder Zahl.“ Und welcher Vater wagt nicht einen Einsatz bei Jahrmarkt-Buden, um seine Kinder zu beeindrucken? Leider misslingt dieser Versuch meistens. Flobertgewehre mit schiefen Läufen treffen erst, nachdem der Schütze genug verpulvert hat, um eine kleine Puppe oder einen Strauss Plastikblumen zu gewinnen, bei Bällen desgleichen, denn der Korb ist so gestellt, dass die Bälle meistens daneben springen. Zum Trost werden nachher Knabbereien, Schleckstängel oder 2 Bomben Eis genossen. (Ich selber war besonders auf Vanille- und Schokoladeeis erpicht – selbst heute noch.)
Wer schon möchte in London in der Nähe einer Mafia-Spielhölle leben? Die Stadtregierung meint, dass damit Armutsquartiere regeneriert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Das ist Blödsinn. Die Opposition ist mobilisiert, denn es gibt schon mehr als genug Spielsüchtige, die ihr Geld hinausschmeissen und Not in die Familie bringen. Zu den Schuldigen gehören die „zweiarmigen Banditen“, die sie anlocken.
„But don’t bet that reason will prevail.“ Die Vernunft sollte Oberhand behalten.
Hinweis auf ein weiteres Blog zur Geldvermehrung
15. 02. 2005: „Tips für Fortgeschrittene: Wie vermehre ich mein Geld?“
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