Textatelier
BLOG vom: 12.04.2006

Geil: Kopf-ab-Videos für Handysüchtige mit Hirnschaden

Autor: Heinz Scholz
 
Wir kennen die Zeitgenossen, die ohne Handy nicht mehr auskommen können. Sie laufen mit Handys am Ohr überall herum und telefonieren ständig mit Gott und der Welt, auch wenn sie nichts zu sagen haben. Sie leben unter der Zwangsneurose, jederzeit erreichbar sein und von jedem Ort der Welt Freunde, Geschäftspartner und Ehepartner anrufen zu müssen. In der Tat sind solche Menschen, die ihre Umgebung ständig belästigen, handysüchtig.
 
Ganz lustig finde ich die Handymanie in diversen Filmen. Da wälzt sich ein Liebespaar in trauter Umarmung im Bett. Plötzlich klingelt das Handy. Ein wichtiger Geschäftspartner oder der Chef platzt in die Intimsphäre hinein. Der Geschäftsmann lässt die Frau sausen und findet sich flugs bei seinem Vorgesetzten ein. Besonders dramatisch sind Handy-Eingriffe in den Arztserien dargestellt. Da wird der Arzt oder die Ärztin bei einem exklusiven Abendmahl in einer Gaststätte oder bei intimen Situationen dauernd angerufen. Der Angerufene lässt das frugale Mahl im Stich oder unterbricht seine Aktivitäten im Bett, die gerade dem Höhepunkt zutreiben, und lässt eine frustrierte Partnerin zurück. Der Arzt oder die Ärztin entschuldigen sich damit, dass es sich um einen Notfall handelt und ergreifen die Flucht. Ein Notfall geht schliesslich vor. Den Akt kann man ja später weiterführen, falls der Partner oder die Partnerin dann noch Lust dazu hat.
 
Ich bin überzeugt, dass es im wirklichen Leben ähnlich zugeht. Ich begreife nur nicht, warum man das Handy nicht einfach ausschaltet.
 
Besonders lästig finde ich das Herumgeklingle in Gaststätten, Zügen, Schulen und sogar in Kirchen. So wundert sich inzwischen niemand mehr, wenn bei einer Hochzeit oder Taufe in der Kirche plötzlich das Handy klingelt. Schliesslich ist die zu erwartende Nachricht für viele wichtiger als die Zeremonie in den „geheiligten“ Räumen einer Kirche. Wie ich hörte, hat auch so mancher Pfarrer sein Handy immer in Reichweite. Lehrer rüsten sich nach den Gewalttaten in Berliner Schulen inzwischen mit Handys aus, um gegebenenfalls Hilfe herbeizurufen. Diese Entwicklung ist traurig. Früher bekam so mancher aufmüpfige Schüler vom Pedell etwas auf die Mütze, heute sind es die armen Lehrer, die von Gewalttätern in der Schule bedrängt werden.
 
Handy verzögerte einen Urlaubsflug
In England passierte laut einer aktuellen DPA-Meldung ein Vorfall mit einem Handy, der zum Himmel schreit: 189 Engländer, die mit einer Boeing 737-800 in den Urlaub nach Teneriffa fliegen wollten, wurden aufgefordert, das am Start befindliche Flugzeug zu verlassen. Der Flug wurde deshalb annulliert, weil ein tölpelhafter Pilot sein Handy im Cockpit hatte fallen lassen. Das Handy verschwand in einen Schacht hinter einer Verkleidung. Alle Versuche, das Handy zu bergen, schlugen fehl. Aus Sicherheitsgründen durfte das Flugzeug nicht abheben. Die Urlauber mussten das Flugzeug verlassen und in eine andere Maschine umsteigen. Mit einer mehrstündigen Verspätung kamen die Passagiere heil an ihren Urlaubsort. Es  bleibt zu hoffen, dass solche Piloten mit einem Handy-Verbot bestraft werden.
 
Ich habe auch ein Handy, das ich jedoch nur bei Wanderungen, Fahrradtouren und Autofahrten mitnehme und das in keinem Cockpit-Schacht verschwindet. Dadurch kann man schnell Hilfe herbeiholen, wenn dies nötig sein sollte. Als ich einmal eine Firma im Schwäbischen besuchen wollte, konnte ich diese nicht finden. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, um diesen nach dem Weg zu fragen. Da rief ich mit dem Handy die Firma an und bekam dann eine Wegbeschreibung. Auch beim Einkauf führe ich das Handy mit. Somit kann mich meine Frau jederzeit anrufen, wenn sie vergessen hat, etwas auf den Einkaufszettel zu schreiben. Bei solchen Anlässen kann ein Handy durchaus hilfreich sein.
 
Gewaltvideos auf den Handys
Eltern und Lehrer hatten bisher keine Ahnung, dass Schüler auf den Schulhöfen und wohl auch andernorts Gewaltvideos auf ihren Handys ansahen. Mitarbeiter der „Badischen Zeitung“ besuchten einige Schulen und beobachteten und befragten Lörracher Schüler in der grossen Pause (bezeichnender Titel der Publikation vom 08. April 2006: „Ein bisschen Folter für den Kick in der grossen Pause“). Viele telefonierten mit dem Handy, andere schauten sich Videos an. So wurden eine Enthauptung, Folterungen und schwere Unfälle angesehen. Einer meinte, solche Szenen seien „witzig“ und es sei „geil, wenn das Blut nur so spritzt“. „Jugendliche fühlen Neugier und einen Kick beim Anblick solcher Grausamkeiten“, sagte der Psychologe Wolfgang Bergmann. Auf den Schulhöfen kursiert ein regelrechter Wettkampf: „Je brutaler, desto besser.“ Ein Mitschüler, der sich das „Kopf-ab-Video“ ansah, bemerkte, er habe beinahe einen Herzinfarkt bekommen. Die Schüler rechtfertigten sich damit, dass sie in Horrorfilmen und Videos auch solche Szenen sehen könnten.
 
Die meisten Schüler lehnen ein Handy-Verbot, wie das kürzlich in Bayern beschlossen wurde, ab. Es findet nach ihrer Meinung nur eine Verlagerung auf andere Orte statt.
 
Franz Maget, SPD-Landtagsfraktionschef, verharmloste die Gründe, die zum Handy-Einschaltverbot an Bayerns Schulen führten, indem er sagte (zitiert aus „focus“, 14/2006): „Bloss weil 2 oder 3 Pornos auf Schüler-Handys gefunden worden sind. Früher hat man halt ein Heftl mitgebracht.“ Der Mann hat keine Ahnung. Und so einer ist Volksvertreter.
 
Die „Verherrlichung“ der Gewalt auf der einen und ihre Akzeptierung auf der anderen Seite zeigt in beängstigender Weise auf, wieweit manche Menschen schon gefühllos und verroht sind. Ich finde, die Macher solcher Gewaltvideos sollten zur Rechenschaft gezogen werden. Nicht ein Handyverbot bringt hier Abhilfe, sondern ein Verbot dieser Videos und Filme.
 
Handysüchtige Affen
Die folgende Meldung könnte ein verspäteter Aprilscherz sein. Sie klingt unglaublich, ist aber wahr: Es gibt inzwischen schon handysüchtige Affen (damit ist kein Zweibeiner von der Sapiens-Gattung gemeint). Die Totenkopfäffchen im Londoner Zoo hatten einen Heidenspass, die Handys der Besucher zu entwenden und damit zu spielen. Sie waren fasziniert von den piepsenden und leuchtenden Geräten. Dann wurden wenigstens diese Affen einer Therapie unterzogen. Damit die Affen kein Handy mehr klauen, wurden alte Handys mit einer zähflüssigen Substanz bestrichen und den Tieren gegeben. Sie empfanden die klebrigen Dinger als unangenehm. „Sie haben schnell verstanden, dass sie die Handys der Besucher nicht anfassen dürfen“, äusserte ein Wärter zu einem Vertreter der Presseagentur AFP. Das Vorgehen sollte auch bei Menschen Schule machen.
 
Machen Handys schwachsinnig?
In seinem Blog vom 14. April 2005 kommentierte der Festnetzbenutzer Walter Hess in humorvoller Art und Weise die Nachteile einer häufigen Handybenutzung. Er empfiehlt, das Handy in der Kniekehle zu tragen und nicht etwa in der Nähe des Gehirns.
 
Die Forscher, die im Solde der Kommunikationsindustrie stehen, konnten Walter Hess bisher nicht beruhigen, dafür wohl aber die Vieltelefonierer. Die Wissenschaftler betonten nach einer viel zu kurzen, liederlichen Studie, dass die heiss geliebten Handys ungefährlich seien und keinen Gehirntumor auslösen würden. Da die Wissenschaftler nicht sicher sind, ob eine Schädigung des Gehirns gleichwohl erfolgen kann, empfehlen sie den Einsatz von Hands-Free-Kits, um die Strahlenbelastung zu minimieren und das Gehirn zu schonen. Langzeituntersuchungen sollen nun endgültig Klarheit schaffen (falls die an den Studien beteiligten Wissenschaftler dann noch klar denken können und nicht gekauft sind). Dazu Hess: „Wenn ich richtig verstanden habe: Man sagt zwar zuerst einmal, Handys seien ungefährlich und relativiert dann, dass man eigentlich noch nichts abschliessend beurteilen könne.“ Das sind die grossen Experimente mit der ahnungslosen Menschheit, zu denen auch die Gentechnologie gehört.
 
Telefonat mit Folgen
Wenn man folgende Meldung liest, könnte man zur Einsicht kommen, dass ein Handybenutzer schon von Fehlschaltungen im Gehirn betroffen ist. Wie die „Badische Zeitung“ am 07. April 2006 meldete, wurde ein Peugeot-Fahrer in Schopfheim D erwischt, als er während der Fahrt mit einem Handy telefonierte. Die Polizei stoppte den Fahrer und nahm eine Kontrolle vor. Diese ergab Folgendes: Der 34 Jahre alte, in Frankreich wohnende Mann wurde im Jahre 2002 aus Deutschland ausgewiesen; ausserdem wurde er mit einem Haftbefehl gesucht. Aber damit noch nicht genug. Der Mann hatte auch eine Alkoholfahne. Wer sich so tölpelhaft verhält, braucht nicht verwundert zu sein, wenn sich Konsequenzen ergeben. Hätte er nicht telefoniert, wäre er wohl nicht festgenommen worden. Vielleicht hat er nun sein Handy aus Wut in den Müll geworfen.
 
In einem anderen Fall wurden Bankräuber kurz nach ihrer Tat gefasst. Einer der besonders „schlauen“ Geldbeschaffer telefonierte nämlich anschliessend mit seinem Handy wild herum. Die Telefonnummer und auch der Besitzer konnten ermittelt werden. Handyaner können laufend überwacht werden; sie geben ständig ihren Standort preis. Aus und vorbei war es mit dem Geld und der Telefonitis. Im Knast kann er über Sinn und Unsinn des Handy-Gebrauchs nachdenken und auch über die Bedeutung der Privatsphäre, die ja auch für unbescholtene Bürger Bedeutung hat.
 
Vielleicht wird eines Tages geklärt sein, ob die elektromagnetischen Felder eines Handys eben doch zu Schwachsinn führen. Die Verwedelungstaktik lässt sich wohl kaum endlos weiterführen. Wenn ja, dann wären so manche schwachsinnige Entscheidungen und Äusserungen unserer Zeitgenossen endlich zu erklären. Verbrecher könnten sich dann auf die Studien berufen und sagen: „Ich konnte nichts dafür, mein Handy hat mein Gehirn vernebelt.“ Oder Schüler könnten sich dann herausreden, dass das Handy sie vom Lernen abgehalten und ihr Hirn geschädigt hat. Oder ein handygestörter Partner, der seine Liebste allein gelassen hat, könnte dann sagen: „Liebling, versuchen wir es noch einmal, ich wusste nicht, was ich tat. Beziehungsweise was ich nicht tat. Das Handy war schuld.“
 
Das Handy ist an vielem schuld. Und den Rest besorgt die menschliche Beschränktheit.
 
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