BLOG vom: 02.05.2006
Staatsmänner mit Rückgrat: Castro, Chávez und Morales
Autor: Walter Hess
Fidel Castro (Kuba), Hugo Chávez (Venezuela) und Evo Morales (Bolivien) haben getan, was eigentlich alle rechtschaffenen Staatsleute dieser Erde tun müssten: Sie lassen sich nicht von der eigennützigen USA vereinnahmen und vor deren Karren spannen. Sie haben ein eigenes Handelsabkommen geschlossen und wollen nichts von einer Unterwerfung unter ein Freihandelsabkommen mit den USA wissen. Zudem hat am Montag, 1. Mai 2006, Morales die Erdöl- und Erdgasreserven Boliviens verstaatlicht; das Land hat nach Venezuela die zweitgrössten Erdgasvorkommen von Lateinamerika. Wenn die ausländischen Unternehmen die neuen Bestimmungen nicht befolgen, müssen sie Bolivien verlassen: Es handelt sich um die brasilianische Petrobras, das spanisch-argentinische Unternehmen Repsol YPF, die britischen Unternehmen British Gas und BP sowie um den französischen Konzern Total.
Da ist also einiges in Bewegung. Möglicherweise wird die Anden-Gemeinschaft mit Peru, Ecuador und Kolumbien unter dem neuen Handelsabkommen leiden und eventuell sogar zerfallen. Venezuela ist vor einigen Tagen aus diesem Wirtschaftsverbund ausgetreten, nachdem die anderen Mitgliedstaaten mit den USA bilaterale Freihandelsabkommen geschlossen hatten.
Vor der 1.-Mai-Kundgebung in Zürich war gross angekündigt worden, Chávez halte eine über Fernsehen live übertragene Rede, was mich erstaunt hat, da die Schweizer SP und die Gewerkschaften voll auf die Globalisierung abfahren, ohne dass ich mir Gründe dafür zusammenreimen kann. Sie hätten also eher Bush einladen sollen. Doch aus der Chávez-Rede wurde aus ebenso unerklärlichen Gründen nichts. Wie eine Vertreterin des 1.-Mai-Komitees im Saal auf dem Kasernenareal in Zürich erklärte, sei Chávez zu einem Gipfeltreffen nach Kuba gereist. Schon wieder?
Die verschiedenen Handelsblöcke
Mit ihrem Handelsabkommen, das in Havanna unterzeichnet worden ist, markieren die 3 selbstbewussten Staaten Kuba, Venezuela und Bolivien Gegnerschaft gegenüber den USA und ihren Machenschaften. Damit ist Bolivien unter seinem neuen Präsidenten Evo Morales nun auch formell der Alternative für Amerika (ALBA) beigetreten. Diese war im vergangenen Jahr von den Präsidenten Kubas und Venezuelas geschaffen worden, um vor allem das US-Projekt einer Freihandelszone für den gesamten Kontinent auszuhebeln. Bei seiner Amtseinführung Ende Januar 2006 hatte Morales noch offen gelassen, ob er sich mit den USA verbünden wolle oder nicht; jetzt sieht man klar. Er nabelt sich ab. Nach dem Scheitern der panamerikanischen Freihandelszone unterstützen die USA den Handelsblock der lateinamerikanischen Länder Kolumbien, Ecuador und Peru. Zudem besteht seit dem 26. März 1991 noch die Freihandelszone Mercosur (Gemeinsamer Markt des Südens), in der sich Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay zusammengeschlossen haben und dem auch Venezuela am 9. Dezember 2005 beigetreten ist.
Der neue „Handelsvertrag der Völker“ aus Havanna sieht unter anderen die Abschaffung der Zölle von bestimmten Gütern im Warenverkehr innerhalb der 3 Länder vor. So soll Bolivien künftig seine gesamte Sojaproduktion zollfrei nach Kuba und Venezuela verkaufen dürfen. Kuba zahlt mit Ärzten und Lehrern, Venezuela mit Öl. Bisher verkaufte das bitterarme Bolivien einen grossen Teil seiner Sojaproduktion nach Kolumbien, das, wenn dieses Land einen Freihandelsvertrag mit den USA unterzeichnet, bald subventioniertes Soja von dort beziehen wird, und nicht mehr aus Bolivien. Dies würde Bolivien also, ganz im Globalisierungs-Sinne, noch ärmer machen. Über illegale Subventionen US-amerikanischer Bauern versuchen die USA überall im Ausland, die Konkurrenz niederzuhalten und wenn möglich zu zerstören.
Alca nicht nur ohne Kuba
Diese Arroganz hat ihren Preis im amerikanischen Hinterhof. Ausgerechnet von dort aus wird Alca, das von den USA inszenierte gesamt-amerikanische Freihandelsabkommen, von dem nur Kuba ausgeschlossen sein sollte, nun torpediert. Der Castro lässt sich nicht so leicht kaltstellen, zeigt sich gegenüber Amerika kaum je von seiner fidelen Seite und landet immer wieder Erfolge, die Schule machen.
Alca hätte ursprünglich schon 2005 in Kraft treten sollen. Daraus wurde nichts. Im November 2005 – auf dem Amerika-Gipfel im argentinischen Seebad Mar del Plata − erlitt George W. Bush mit seinem Ansinnen Schiffbruch: Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay und natürlich Vorreiter Venezuela sagten „no“ zu Alca. Chávez wertete das Nein als persönlichen Sieg über die USA und Bush, die er prinzipiell nur „das Imperium“ und „Mr. Danger“ („Herr Gefahr“) nennt. Und seine Sprache lässt auch sonst an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Mr. Danger höchstpersönlich wollte sich in Mar del Plata ein Fest organisieren: mit Druck, Erpressung und schmutzigem Krieg. Sein Imperium ist schliesslich das perverseste, mörderischste, moralloseste, das dieser Planet seit Jahrhunderten gesehen hat. Wer jetzt wissen möchte, wo Alca geblieben ist, der sollte in Mar del Plata buddeln, dort ist Alca beerdigt worden.“
Alles unter der WTO-Walze
Es wäre schwer, das Gegenteil von dem, was Chávez über die USA gesagt hat, zu beweisen. Die USA sind, wie allgemein bekannt ist, eine Nation, die nicht allein vor keinen Kriegsverbrechen zurückschreckt und bei ihren internationalen Raubzügen das humanitäre Völkerrecht ständig verletzt, sondern sich selbst im eigenen Land und in unterjochten Ländern von der freiheitlichen Grundordnung unter dem Terrorvorwand verabschiedet hat (Entführungen, Verschleppungen, Folterungen). Jeder unangepasste Denker kann von diesem freiheitsliebenden Land verhaftet werden. Zudem erlaubt sich die USA jede Handelskriminalität, auf dass der Abstand zwischen reichen und armen Nationen weiter wachsen kann – ohne Rücksicht auf Verluste bei den anderen. Industrielle Gewinne werden von ihrem Stosstrupp beziehungsweise ihrer Strafvollzugsbehörde WTO (World Trade Organization) weltweit durch ständige Rationalisierungen (Entlassungen, Arbeitslosigkeit) und Lohnsenkungen indirekt erzwungen.
Die Industrieländer, welche die Güter vor allem unter sich weltweit austauschen und dabei enorme Umweltschäden veranstalten, schützten sich in der Zeit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bis vor wenigen Jahren gegen billige Produkte wie Textilien und Agrarprodukte (Protektionismus). Diese Chance, zum Beispiel durch die Errichtung von Zollschranken und andere aussenhandelspolitische Massnahmen, haben die armen Länder und auch die Schwellenländer heute nicht mehr. Dort werden sämtliche feingliedrigen Strukturen gleich von Anfang an niedergewalzt und länderweit das Elend vergrössert. Das ist eine verhängnisvolle Rücksichtslosigkeit.
Sogar in den Industrieländern setzte das ökologische und soziale Elend teilweise ein, als die WTO, diese von den USA beherrschte eigentliche Weltregierung, ab 1995 die neue Weltwirtschaftsordnung durchzusetzen begann. Die demokratische Legitimation fehlt; es läuft alles verschwommen auf Konsensbasis ab. Der Katzenjammer wächst vor allem bei der betroffenen Bevölkerung schneller als die Wirtschaft; davon ausgenommen sind nur multinationale Konzerne amerikanischer Prägung. Soziale Unruhen sind an der Tagesordnung – Rebellionen, Attentate. Die Staatsmächte müssen gegen das eigene Volk aufrüsten. Und freundliche Bundesräte wie Samuel Schmid oder Moritz Leuenberger (2006 Bundespräsident), die zum Volk sprechen wollten, mussten wegen rechten bzw. linken Randalierern die Flucht ergreifen – so geschehen am 1. August 2005 auf dem Rütli und am 1. Mai 2006 in Zürich. Im Sprachgebrauch der Medien heissen die Rechten Rechtsextremisten und die Linken Linksautonome oder einfach Randalierer, vermummte Gestalten.
Der Schweiz gingen einige Lichter auf ...
Ähnlich wie mittelamerikanische Staaten hat die Schweiz nach einer anfänglichen Euphorie, für die der zurücktretende Bundesrat Joseph Deiss besonders anfällig war, bald einmal einzusehen begonnen, dass ein Freihandelsabkommen mit den USA ein amerikanischer Verkaufstrick unter anderem für unberechenbare Gentech-Nahrung, Hormonfleisch und dergleichen Unzumutbarkeiten und damit überhaupt nicht im Sinne der Schweiz sowie ihrer Bevölkerung und schon gar nicht der einheimischen Landwirtschaft war, die sich auf Gentech-Freiheit ausgerichtet hat und dadurch Vertrauen erworben hat. Deiss’ Volkswirtschaftsdepartement hatte das Dossier in der US-Euphorie liederlich vorbereitet. Das Abkommen scheiterte, Gott sei Dank. Die wegen des neoliberalen Brauchtums ohnehin dem Untergang geweihten kleinen und mittleren Bauern konnten einen Moment aufatmen.
Die Schweiz ist solchen Freihandelsabkommen zwar nicht prinzipiell abgeneigt; im Moment ist sie an 16 solchen mit einzelnen Staaten beteiligt, die im gegenseitigen Interesse sind (mit Bulgarien, Chile, Israel, Jordanien, Kroatien, Libanon, Marokko, Mazedonien, Mexiko, Palästina, Rumänien, Singapur, Tunesien und Türkei; mit Südkorea und der Südafrikanischen Zollunion sind die Verhandlungen abgeschlossen, mit Ägypten, Kanada und Thailand sind sie im Gang).
... und auch der EU
Auch die den USA im Allgemeinen treu ergebene Europäische Union (EU) hat von der US-amerikanischen Handelskriminalität allmählich genug. Sie hat am 1. Mai 2006 ihre Handelssanktionen gegen dieses Amerika ausgeweitet. Wegen der Zahlung der US-Regierung an amerikanische Unternehmen (nach dem Byrd Amendment) verhängte die EU zusätzliche Strafzölle im Ausmass von 9,1 Mio. USD; total sind es nun 36,9 Mio. USD. Nach dem erwähnten listigen, illegalen Verfassungszusatz gibt die US-Regierung eingezogene Strafzahlungen ausländischer Unternehmen, die in den USA mit Dumping-Preisen agieren, an US-Firmen weiter. Seit Mai 2005 werden von der EU Strafzölle auf US-Produkte wie Textilien, Maschinen, Papierprodukte und Mais erhoben.
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Inzwischen empfiehlt es sich sehr, von Fidel Castro, der sich nie durch die USA unterjochen liess und einen von der CIA organisierten militärischen Angriff in der Schweinebucht am 17. April 1961 mit persönlichem Einsatz niederwarf, und seinen Verbündeten zu lernen. Kuba sollte nicht nur Ärzte und Lehrer nach Venezuela exportieren, sondern auch Professoren für mutige Staatsführung in Unabhängigkeit in alle Länder mit willigen Regierungen. Der kubanischen sollte die globale Revolution folgen – mit gleicher Stossrichtung. Nötigenfalls könnten auch die Staatsoberhäupter von Iran, Mahmûd Ahmadî-Neþâd (Ahmadinedschad), und Nordkorea, Kim Jong-il, Nachhilfeunterricht erteilen.
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