BLOG vom: 08.05.2006
SMDK Kölliken: Vom Gift-Schandfleck zum Vorzeigeobjekt
Autor: Walter Hess
Der Besichtigung der Sondermülldeponie Kölliken (SMDK) am späten Samstagabend, 6. Mai 2006, war für mich die Rückkehr in einen ehemaligen Wirkungsbereich. Der SMDK-Geschäftsführer Jean Louis Tardent und der Informationsbeauftragte Hanspeter Faessler, Infocom AG, CH-5742 Kölliken, hatten mich freundlicherweise eingeladen, an einer Exkursion teilzunehmen, die Bestandteil des Programms eines Klassentreffens einer Kölliker Schulklasse (Jahrgang 1946) war, die mich sehr freundlich aufnahm. Ich hatte schon immer gute Beziehungen zu Kölliken.
Zwischen 1978 und 1985 sind am oberen Dorfausgang (aber noch immer in der Dorfzone) von Kölliken im aargauischen Suhrental etwa 250 000 Kubikmeter Sondermüll eingelagert worden. In der Rubrik Glanzpunkte habe ich unter dem Titel „Sondermülldeponie Kölliken: Das inszenierte Riesendebakel“ ausführlich berichtet. Ich hatte die Geschichte dieser umweltkriminellen Auffüllung einer ausgedienten Tongrube als Wissenschaftsredaktor des ehemaligen „Aargauer Tagblatts“ eingehend verfolgt und in Dutzenden von Artikeln beschrieben. Die beiden journalistischen Zeitdokumente, die ich wenige Tage beziehungsweise einen Tag vor der Schliessungsankündigung durch den Gemeinderat Kölliken am 18. April 1985 publiziert hatte, sind im Anhang zu diesem Blog wiedergegeben. Ich besuchte die SMDK damals immer wieder, sprach mit Behörden, Deponieverantwortlichen, der betroffenen Bevölkerung wie der kämpferischen Hertha Schütz-Vogel, die heute in Unterentfelden AG wohnt, und versuchte, die Vorgänge erklärend und wertend in ein grösseres ökologisches Gefüge zu stellen.
Die Hirne machten gerade Pause
Selbstverständlich wollten die Behörden damals nicht einfach ein Riesendebakel inszenieren, sondern sie hatten den Eindruck, etwas Sinnvolles zu tun, wenn sie den giftigen Sondermüll aus dem gewerblichen und industriellen Bereich an einem Ort, der ihnen dafür geeignet zu sein schien, einlagerten. Damit konnten auch entsorgerische Nacht-und-Nebel-Aktionen verhindert werden – man hätte dann alles an einem Ort im Griff. Solche Überlegungen hatten schon etwas für sich, da damals die Forderung nach Abfallverhinderung einen eher exotischen Charakter aufwies. Der Dreck war nun einmal da.
Die gravierenden intellektuellen Fehlleistungen, die von vielen Menschen mit der landesüblichen Normalbildung leicht zu erkennen waren, waren diese: Die Giftdeponie wurde ausgerechnet am oberen Teil des grössten Schweizer Grundwasserstroms (der durchs Suhrental zum Aaretal und bis zum Rhein führt) vorgesehen. Wenn man bloss einmal weiss, dass das Wasser die Tendenz hat, abwärts zu fliessen, erkennt man sogleich, dass das ein ausgewachsener Blödsinn war.
Die 2. Fehlüberlegung war, dass die Sicherheit der Ablagerungsstätte durch die Wasserundurchlässigkeit gewährleistet war. Nehmen wir einmal an, das treffe zu, dann würde sich die Lehmgrube ja mit der Zeit durch die Niederschläge allmählich auffüllen, und die Deponiesäfte würden über die tiefste Stelle am oberen Rand überlaufen und so dann in die Umgebung und ins Grundwasser gelangen. Es genügt zu wissen, dass jedes Gefäss irgendwelcher Grösse, in das man immer wieder eine Flüssigkeit laufen lässt, irgendeinmal voll ist und überläuft; das entsprechende Experiment kann man schon mit einem einfachen Zahnglas machen. Es lässt sich auch leicht wiederholen und ist damit wissenschaftlich.
Im Falle der berühmten Tongrube in der geologischen Kölliker Rinne (eine quartäre Schotterrinne) aus Lehm- und Sandsteinschichten kam der Umstand hinzu, dass diese Grube nie im Sinne hatte, dicht zu sein, denn die schichtweise abgelagerten Lehmpakete haben Klüfte und Risse, und der Sandstein seinerseits ist auch nicht eben als Dichtungsmittel gegen Wasser bekannt.
Die freundliche Kölliker Bevölkerung, die zum grössten Teil Vertrauen in die Fachkompetenzen der Behörden hatte und zu einem kleinen Teil auf die Barrikaden stieg, spürte erst mit der Zeit, in was sie sich da eigentlich eingelassen hatte. Und das Erwachen war gross, als unter dem massiven öffentlichen Druck ein Skandal offensichtlich wurde, der durch ein paar jedermann zumutbare Gedankengänge leicht zu verhindern gewesen wäre.
Aber passiert ist passiert, und jetzt sind die Prozesse der Schadensbegrenzung und des vollständigen Rückbaus im Gange. Nach dem heutigen Stand des Wissens sind dafür alles in allem etwa 445 Mio. CHF nötig, die von den Konsortialpartnern getragen werden müssen: Kantone Aargau und Zürich (je 41,66 %) sowie Stadt Zürich und die Basler Chemische Industrie (je 8,33 %). Zum Glück stehen noch etwa 100 Mio. CHF an zweckgebundenen Subventionen vom Bund in Aussicht.
Weil es sich beim Innenleben der SMDK laut dem urwüchsigen Berner Tardent um „ä cheibe komplizierte War“ (ein komplexes Stoffgemisch) handelt, das wie als chemischer Reaktor neue Verbindungen und Beziehungen eingeht, dürfte meiner Ansicht nach, abgesehen von den obersten Schichten, eine Sortierung, wie sie in einem nagelneuen computeranimierten Film „SMDK Kölliken“ gezeigt wurde, ein Ding der Unmöglichkeit sein. Deponiesäfte, die alles durchdrungen und sogar das Grundgestein angefressen haben, nahmen wohl wenig Rücksicht auf allfällige Gütertrennungen – die es ohnehin kaum gab. Und selbst der Rost der Fässer dürfte sich allmählich mit Umgebungsmaterialien verschwägert haben.
Abschirmregel mit Stollen
Was mich bei der neuesten Exkursion in dankbares Erstaunen versetzte, ist die Professionalität und Gründlichkeit, mit welcher der Übertritt von Deponiesäften ins Grundwasser in den vergangenen Jahren verhindert worden ist. Zur permanenten Überwachung der Deponie und ihren Emissionen sind auf dem insgesamt 7 Hektaren umfassenden Areal etwa 170 Bohrlöcher bis zu einer Tiefe von 70 m abgeteuft worden. In die Bohrlöcher sind Piezometer (Rohrsonden mit Schlitzen) eingebaut worden, welche Daten über die Belastungssituation liefern. Weil trotz der Abwasserfassung in Drainagerohren an der Deponiebasis nicht zu verhindern war, dass Giftstoffe unkontrolliert (gewissermassen fassungslos) durch Wasser führende Gesteinsschichten im Untergrund ins Grundwassergebiet übertreten und das Trinkwasser einer grossen Region potenziell gefährden, mussten wirkungsvollere Lösungen her: Die Deponieoberfläche wurde 1986 abgedichtet, und seit 1997 wird das Hangwasser am Nordrand abgeleitet. Am Südrand (unten, neben der Kantonsstrasse nach Safenwil), wurden auf einer Länge von rund 600 m im Abstand von 4 m mit Filterkies verfüllte Drainagepfähle mit 80 cm Durchmesser eingerichtet, ein Abschirmriegel. Die Abwässer, die sich darin vereinigen und nach unten sickern (siehe allgemeine Tendenz des Wassers), werden von einem begehbaren Werkstollen, der 2001/02 entstanden ist, gefasst und der Schmutzwasserbehandlungsanlage auf dem SMDK-Areal zugeführt.
Die Klassenkameraden und ich stiegen unter der Führung des Messtechnikers Ewald Ammann über eine schwindelerregende Gittertreppe in die Tiefe, wanderten durch den endlos scheinenden Werkstollen. Alles machte einen gepflegten Eindruck, das Ergebnis einer kompetenten, sauberen handwerklichen Arbeit. Dasselbe lässt sich auch von der Abluft- und Abwasserbehandlungsanlage in einem speziellen, massiv, sozusagen für die Ewigkeit gebauten Haus sagen. Die Deponieabgase werden in einem Hochtemperaturofen unter Zugabe von Erdgas verbrannt. Und in der Kläranlage werden die Deponiesäfte, die nach einem undefinierbaren Chemiecocktail riechen und als solcher unverkäuflich sind, in eine einigermassen gleichbleibende Konzentration gebracht, ausgefällt, geflockt und sedimentiert. In 2 nachgeschalteten biologischen Reinigungsstufen werden die organischen Kohlenstoffverbindungen durch Hefebakterien, die auf rotierenden Tauchtropfkörpern angesiedelt sind, beseitigt. In einer Aktivkohlenstufe werden schwer abbaubare organische Verbindungen absorbiert, und hier sind Bakterien damit beschäftigt, die Stickstoffverbindungen abzubauen.
Aber das ist nur der Prolog der Gesamtsanierung, des Rückbaus, der im Jahr 2015 abgeschlossen sein soll. Geschäftsführer Tardent, eine vertrauenswürdige, offene und kompetente Persönlichkeit, stellte fest, dass sich der Rückbau gegenüber der weiteren Überwachung der Deponieanlage in spätestens 100 Jahren lohne. Nach 2015 hat man dann Ruhe; dann sollten nach menschlichem Ermessen keine weiteren Bau- und Sicherungsmassnahmen mehr nötig sein.
Der Rückbau des Deponiekörpers erfolgt in sicherheitsmässig geradezu luxuriöser Ausgestaltung. Das vom SMDK-Konsortium zusammen mit einer internationalen Jury gewählte Verfahren sieht einen scheibchenweisen Rückbau innerhalb einer riesigen, luftdichten Schutzhalle mit einer Spannweite von bis zu 170 m, in der leichter Unterdruck herrscht, vor, und die abgesaugte Luft wird ständig gereinigt. In einem computeranimierten Film, der eine geradezu klinisch anmutende Sauberkeit suggerierte, wurde gezeigt, wie mehrere, gleichzeitig arbeitende Abbauteams, die in luft- und staubdichten Kabinen arbeiten, vorgehen. Das ergab ein eigentliches Ballett unter der Mitwirkung von Bagger mit angehängten Tieflöffeln, Fassgreifern, Big-Bag-Greifern, Gabeln und Ladeschaufeln. Pro Tag sollen etwa 500 Tonnen Material bewältigt werden.
In der stützenfreien Halle, die bis 2 m Schnee tragen kann, wird das Material in Behälter umgefüllt und anschliessend gleich nebenan in eine Manipulationshalle verfrachtet, wo die Ware kontrolliert, von einem unabhängigen Labor analysiert, dann neu verpackt dem entsprechenden Entsorgungsweg zugewiesen wird. Kann so viel gewissermassen undefinierbares Material an einem Tag sortiert und analysiert werden? Die einzelnen Chargen werden bis zu ihrem definitiven Bestimmungsort (wahrscheinlich irgendwo in Nordeuropa) nachverfolgt. Das meiste Material soll per Bahn abtransportiert werden; ein neuer Geleiseanschluss wird erstellt. Das Grobe kommt also noch. Und ich wünsche gutes Gelingen. Hoffentlich funktioniert es nicht nur im Film.
Ein mustergültiges Konzept
Von dem, was jetzt in Kölliken passiert, bin ich, ehrlich gesagt, sehr, sehr beeindruckt. Die grauenhafte Schlamperei beim Einlagern wird jetzt von einer Sicherungs- und Rückbautechnik nach allen Vorgaben umfassender Sicherheitsphilosophien abgelöst. Etwas Ähnliches gibt es noch für die Sondermülldeponie in Bonfol im Kanton Jura; dort wird eine heimelige Halle aus Holz gebaut. „Ich zweifle, ob es sonst irgendwo in Europa so etwas geben wird“, sagte Jean Louis Tardent, der seit 1987 in Kölliken tätig ist und seither vieles aufgeräumt hat: „So etwas Super-Luxuriöses gibt es in keinem anderen Land.“
Selbstverständlich hat er vollkommen Recht; denn es ist leider nicht zu erwarten, dass die Sanierung der SMDK Massstäbe setzen wird, obschon es weltweit Tausende von Giftdeponien gibt, die ein Zeitbomben-Potenzial haben. Jedenfalls habe ich den Heimweg von der mir so vertrauten SMDK erstmals mit guten Gefühlen und einem Verantwortungsgefühl der Erleichterung angetreten.
*
Ich habe mich ein Journalistenleben lang für eine ökonomischere Politik eingesetzt und erlebe nun im nachpensionären Unruhezustand endlich, dass sich in einigen Bereichen Neuorientierungen abzeichnen. Selbst bei der Renaturierung von Bächen, die man früher partout in Kanäle verwandeln wollte. Was ich nicht mehr erleben werde: Den von mir bereits in den 60er-Jahren geforderten Rückbau der ausgeuferten Asphaltflächen. Das Asphaltieren und das Züchten von Verkehr schreiten munter voran. Und man versucht gerade, das Oberflächenwasser (Überschwemmungen) zu bewältigen. An neuen Bedrohungen kommen z. B. der Elektrosmog, die Gentechnologie und die Nanotechnologie hinzu. Die alten Fehler werden unverdrossen wiederholt. Nur Mut! Positiv denken!
Die Menschen an den Steuerrudern lernen nichts, machen wieder die gleichen Fehler. Besonders gravierend sind sie dort, wo kein Rückbau mehr möglich ist, sondern die Zerstörungen definitiv sind. Und genau hier liegt die Qualität der neuen Bedrohungen.
Anhang
Publizistische Zeitdokumente, welche die SMDK-Schliessung nahelegten
„Aargauer Tagblatt“, 12. April 1985, Frontseite
Sickerwässer aus Sondermülldeponie Kölliken müssen zeitweise nach Kaisten verfrachtet werden
Die Kläranlage Kölliken genügt ihren Anforderungen nicht
Die Sondermülldeponie Kölliken (SDMK) entwickelt sich in zweierlei Hinsichten problematisch: Sie stinkt und belästigt die Nachbarschaft auf unzumutbare Weise, das aargauische Baudepartement hat verschiedene Abhilfemassnahmen angeordnet (Tagblatt vom 3. April). Dieser Tage ist zudem bekannt geworden, dass die ARA Kölliken-Safenwil mit der zunehmenden Belastung an Ammoniumsalzen nicht fertig werden kann. Diese Kläranlage ist für die biologische Nitrifizierung nicht eingerichtet. Die Ammoniumfracht läuft also unbehelligt durch, gelangt in den schnurbegradigten Köllikerbach (Vorfluter) und dann in die Uerke.
Von Tagblatt-Redaktor Walter Hess
Wenn an heiteren Frühlingstagen die Sonne auf die teilweise gebüsch- und baumfreie Uerke brennt, bilden sich durch die Fotooxidation und wegen der Überdüngung im Wasser viele Kieselalgen. Dadurch wird Kohlendioxid (CO2) verbraucht, und der pH-Wert erhöht sich (in den alkalischen Bereich). Die Ammoniumfrachten aus dem SMDK-Sickerwasser, von der Kläranlage unbeschadet, tun ein weiteres in der basischen Richtung. Das halten die robustesten Fische nicht mehr aus. Es kommt zu Fischsterben, wie es sie im Köllikerbach schon häufig gegeben hat. Doch die Abteilung Gewässer ist aus dem Fischereischaden noch klüger geworden. Sie ordnete an, dass über die Ostertage das SMDK-Sickerwasser mit den zunehmenden, leicht löslichen Ammoniumfrachten in Zisternenwagen zu pumpen und der Kläranlage Ciba-Geigy in Kaisten zuzuführen sei. Dort herrscht wegen der einseitigen Abwasserzusammensetzung immer ein Stickstoffmangel, der mit der Stickstoffverbindung Ammonium zu beheben ist. So wäscht ein Schmutzwasser das andere. Laut Hans Rudolf Mathys, Mitglied der SMDK-Aufsichtskommission, war der pH-Wert im Köllikerbach zuvor in den Bereich von 8,5 bis 9 geraten. Insgesamt ist für ihn die Angelegenheit mit den Auswirkungen der Deponie „wahnsinnig deprimierend“.
Sickerwasser ist vorzureinigen
Aber es ist natürlich unverantwortlich, die Ammoniumfrachten (wenn auch via Kläranlage) das ganze Jahr über den öffentlichen Gewässern zu überlassen. Der Chemiker Marcel Schmid von der Abteilung Gewässer des aargauischen Baudepartements erklärte dem Tagblatt gegenüber dazu, dass der SMDK die Auflage gemacht worden sei, das Sickerwasser sei entsprechend vorzureinigen. Doch liegt die Annahme auf der Hand, dass die gewöhnliche zweistufige ARA Kölliken (mechanisch-biologisch) selbst mit einem rudimentär vorgereinigten Deponiesaft ihre liebe Mühe erhalten könnte. Bei diesen unermesslich erhöhten Anforderungen wären zweifelsohne weitere Reinigungsstufen angezeigt, falls die Vorreinigung des Saftes nur rudimentär erfolgen sollte. Eine gründliche Vorreinigung wäre auch deshalb unerlässlich, weil der Klärschlamm landwirtschaftlich verwertet wird und allein schon die Ausschöpfung der Toleranzen in der Klärschlammverordnung einer Umweltverschmutzung höheren Grades gleichzusetzen ist. Es ist zudem zu bedenken, dass der Köllikerbach und die nachfolgende Uerke in den ohnehin schwer angeschlagenen Grundwasserstrom des Suhrentals infiltrieren können – zusätzlich zu all den Auswirkungen einer intensiv düngenden Landwirtschaft, die man durch eine Preis-Tiefhaltepolitik das Forcieren des Pflanzenwachstums gelehrt hat. Die Schmutzfrachten aus der Luft kommen dazu.
Macht der Gewohnheit
Der Kölliker Gemeinderat Willi Hochuli erklärte dem Tagblatt gegenüber, die Kläranlage Kölliken funktioniere bestens. Und Klärwärter Urs Zehnder relativierte: „Sie gewöhnt sich an alles.“ Äusserlich macht sie tatsächlich einen guten Eindruck. Das geklärte Abwasser erinnert zwar nicht gerade an frisches Quellwasser; es war am Donnerstagnachmittag eine Spur trübe, wie meistens nach starken Regenfällen. Im Köllikerbach badete eine Stockente, die einen erstaunlich vitalen Eindruck hinterliess. Der Chemiker Schmid hatte sich allerdings schon länger mit der Frage getragen, ab wann das Sickerwasser vorbehandelt werden müsse. Der Zeitpunkt scheint nun gekommen zu sein. Denn die beste Abdichtung der Grube nützt nichts, wenn umweltschädigende Chemikalien via Sickerwasser und Kläranlage in einen Bach und damit in Kontakt mit Grundwasser kommen können.
Was ist Ammonium?
Beim Ammonium (NH4) handelt es sich um eine Verbindung von 4 Wasserstoffatomen mit einem Stickstoffatom. Es hat eine nitratähnliche Düngerwirkung, die auf den Stickstoffgehalt zurückzuführen ist. Es kann sich in NH3 umwandeln. Dieses farblose Gas mit seinem charakteristischen stechenden Geruch (starker Augenreizstoff) ist leicht wasserlöslich (Salmiak), und es ist dann ein starkes Fischgift. Es erhöht den pH-Wert (mit diesem wird die Wasserstoffionenkonzentration in negativen Logarithmen ausgedrückt: Werte unter 7 = sauer, Werte über 7 = alkalisch).
Die Alkalität der Ammoniumfrachten aus der SMDK ist so hoch, dass sie selbst durch den sauren Regen nicht neutralisiert werden kann – und das will etwas heissen.
*
„Aargauer Tagblatt“, 17. April 1985, Kasten im Ressort „Aargau“
Sondermülldeponie Kölliken: Jetzt noch die Phenole
Grundwassergefährdung immer offensichtlicher
Weil die Sondermülldeponie Kölliken (SMDK) mit ihren Ammoniumladungen im Sickerwasser die öffentlichen Gewässer zu sehr belastet (vgl. Tagblatt vom 12. April: „Die Kläranlage Kölliken genügt ihren Anforderungen nicht“), ist jetzt ein 150 000-Liter-Tank aufgestellt worden. Darin werden die Deponiesäfte gesammelt, und wenn die Alkalität des Köllikerbaches und der nachfolgenden Uerke stark ansteigen, werden die gesammelten Deponiesäfte in die Ciba-Geigy-Kläranlage nach Kaisten übergeführt. Zudem ist bekannt geworden, dass der Deponiesaft mit Phenolen verunreinigt ist, bei denen es sich um starke Protoplasmagifte handelt. Das Protoplasma ist der Grundbestandteil der Zellen.
Keine Auskunft
Der Chef der Sektion „Chemie/Biologie“ bei der Abteilung Gewässer des aargauischen Baudepartementes, Marcel Schmid, war nicht dazu zu bewegen, dem Tagblatt gegenüber zuhanden der Öffentlichkeit den Phenolgehalt des Deponiewassers bekanntzugeben; wir haben zweimal angefragt: „Ich will Ihnen nichts sagen. Das bringt nichts, wenn man das breitschlägt. Wir haben das Problem erkannt“, lautete die Antwort. Dass Phenole drinnen sind, wurde bestätigt. Laut Schmid stehen die Tankinstallationen in der Grube in keinem Zusammenhang mit diesen Phenolen, sondern „zu 100 Prozent mit dem Ammonium“. Laut seinen Angaben wird aus Kostengründen der Deponiesaft nur dann nach Kaisten verfrachtet, wenn es zur Schonung des Fischbestandes unbedingt nötig ist, d. h. wenn die Sonne scheint und die Photooxidation für einen höheren pH-Wert in den teilweise baum- und strauchlosen Bächen sorgt. Schmid erklärte, eine Neutralisation der Alkalität wäre nur in den Bächen möglich, und man könne schliesslich nicht Salzsäure in die Gewässer schütten.
Gefahr für Grundwasser
Die Sache mit den Phenolen aber gibt wesentlich mehr zum Nachdenken Anlass als die Ammoniumgehalte des immer trüberen Deponiesaftes. Phenole (Hydroxybenzol, Karbolsäure) hätten unter keinen Umständen in Kölliken abgelagert werden dürfen. Industriell werden sie zu Kunstharzen, Lacken, Schaumstoffen, Farbstoffen. Arzneimitteln, Weichmachern und Gerbstoffen verarbeitet. Wenn sie über die traditionelle, gewissermassen für den Hausgebrauch konzipierte mechanisch-biologische Kläranlage hinaus in die Bäche gelangen, besteht Gefahr für das Grundwasser; denn ein Teil des Bachwassers versickert ins Grundwasser, was einleuchtend ist.
Kanalisation ist angefressen
Aber selbst, wenn die Kläranlage mit solchen Umweltgiften fertig würde, wäre eine Versickerung auf dem Transport von der SMDK zur Kläranlage nicht auszuschliessen: Die Kanalisation der Gemeinde Kölliken ist, wie aus Kontrollen durch die Abteilung Gewässer hervorging, der Ätzwirkung aggressiver Abwässer ausgesetzt. „In den Schächten ist der Überzug bei den Durchlaufrinnen zum Teil etwas porös geworden, und die alten Anfressungen haben sich etwas vergrössert“, hiess es bereits in einem Schreiben vom 17. Juli 1984 an den Gemeinderat. Auch in einem ähnlich alten Kontrollbericht heisst es: „Die alten Anfressungen sind grösser geworden; der Betonüberzug ist aufgeweicht, porös.“
Genug Gifte
Das sind nicht eben die besten Voraussetzungen zum Durchleiten von undefinierten Säften aus der SDMK im Grundwassergebiet. Da man nicht an die Dokumente herankommt, ist es auch unmöglich, den Grad der Gefährdung des Grundwassers im Suhrental zu beurteilen. Jedenfalls haben bereits andere Verschmutzungsquellen das Suhrentaler Grundwasser teilweise ruiniert: Muhen muss sein Trinkwasser aus Kölliken beziehen. Auch das Grundwasser im Bereich der Industriefassung der Karton + Papier AG in Untermuhen hat eine ähnlich hohe Verunreinigung durch Perchlor- und Trichlorethylen wie jenes in Muhen. Ein erhöhter Gehalt an solchen Giften ist auch bei einer Probebohrung in Holziken und in der Wasserfassung der Zentralmolkerei Suhr festgestellt worden. Ob alles aus dem Schöftler Lösungsmitteldestillationsbetrieb stammt, muss noch abgeklärt werden.
Die Kosten für eine Sanierung, soweit sie überhaupt möglich ist, werden Riesensummen verschlingen, und weitere Belastungen des erstrangigen Lebenselementes Wasser kann man sich nicht mehr leisten. Wenn sich die Behörden in Schweigen hüllen und Belastungsgrade nicht exakt angeben, dann wird das Vertrauen in die Aufsichtsorgane nicht eben verbessert. Die Bevölkerung hätte ein Anrecht, nicht nur darüber informiert zu werden, was sie trinkt, sondern auch darüber, was sie voraussichtlich in Zukunft trinken muss.
Walter Hess
Hinweis auf ein weiteres Blog zum Thema Vergangenheitsbewältigung
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