BLOG vom: 22.05.2006
Erfand wirklich ein Eunuch die Schwarzwälder Kirschtorte?
Autor: Heinz Scholz
Es war für mich eine der unglaublichsten Meldungen der letzten Jahre, die ein findiger Zeitungsredakteur publik machte. Die berühmte Schwarzwälder Kirschtorte, die für viele die Königin unter den Torten ist, soll ein persischer Eunuch erfunden haben. Damit sollten die liebreizenden Haremsdamen eine Fülligkeit ohnegleichen erreichen.
Nach dieser Meldung, die jedem Schwarzwälder einen Stich ins Herz versetzte, wollte ich der Sache einmal auf den Grund gehen. Wer hat nun die Schwarzwälder Kirschtorte wirklich erfunden? Nach Auskunft von Achim Fenner, seines Zeichen Museumsleiter von Radolfzell, gilt als Erfinder der weltberühmten Torte der Konditormeister Josef Keller (1887−1981). 1915 bereitete er sich auf seine Meisterprüfung im damaligen Prominentencafé Anger in Bad Godesberg (heute Bonn-Bad Godesberg) vor. Dort kam ihm die geniale Idee, unter Kirschen mit Sahne einen Boden zu legen, einen Schuss Kirschwasser hinzu zu geben und das Werk mit Schokoladenraspeln zu verzieren. Die Gäste waren begeistert. Nach dem Ersten Weltkrieg pachtete er in Radolfzell ein Café. Hier entwickelte der „süsse Josef“, wie Keller genannt wurde, sein Rezept für die Torte weiter. Die Begeisterung für die Kirschen-Sahne-Komposition kannte auch hier keine Grenzen.
Die Stadt Radolfzell widmete sich intensiv der Erforschung der Schwarzwälder Kirschtorte und richtete sogar ein Museum ein.
Übrigens entstand am 1. August 1999 in Enzklösterle die grösste Schwarzwälder Kirschtorte der Welt mit einem Durchmesser von 5,10 Metern. Die Konditoren mussten hier Schwerstarbeit leisten. Sie verarbeiteten für diese imposante Torte 340 Liter Sahne, 28 Kilogramm Mehl, 95 Kilogramm Kirschen, 1120 Eier und 60 Liter Schwarzwälder Kirschwasser. Innerhalb von 2 Stunden wurden 4500 Tortenstücke verkauft.
In eine Schwarzwälder Kirschtorte kommt nur echtes Kirschwasser. Wie unter den Spezialitäten von Baden-Württemberg nachzulesen ist, ist der Name „Schwarzwälder Kirsch“ ein Gütesiegel und gesetzlich geschützt. Für den Brand kommen nur heimische Kirschen in Frage. Kirschen aus Südeuropa dürfen nicht in den Schwarzwald gefahren und dort gebrannt und als „Schwarzwälder Kirsch“ verkauft werden. Ein solcher Etikettenschwindel ist strafbar. Trotzdem wird getrickst. So gibt es Bezeichnungen wie „Kirschwasser aus dem Schwarzwald“. Hier wird der unaufgeklärte Verbraucher getäuscht.
Kirschtortenfestival in Todtnauberg
In Todtnauberg fand am 14. Mai 2006 das 2. Kirschtortenfestival statt. Hier zauberten Profis und Amateure aus den besten Zutaten ihre Versionen der Schwarzwälder Kirschtorte. Die besten Torten wurden anschliessend mit Goldmedaillen prämiert. Die höchste Punktzahl erreichte in diesem Jahr Inge Borchert aus Todtnauberg. Zum ersten Mal nahmen an diesem Wettbewerb, der alle 2 Jahre über die Bühne gehen soll, Kinder der 3. und 4. Klasse der Grundschule in Todtnauberg teil. Ausser Konkurrenz fertigte Alfred Boch mit seinen Kindern eine vierstöckige Muttertags-Kirschtorte an.
Auch Jochen Stückler, ehemaliger Olympiakoch und Inhaber des Hotels „Arnica“ in Todtnauberg, war ausser Konkurrenz am Werk. Er produzierte mit Kollegen eine ganze Menge Kirschtorten. Aber lassen wir ihn selbst berichten:
Am Samstag haben wir schon 60 Kirschtorten fertig vorbereitet, da wir diese Anzahl schon vor 2 Jahren gemacht hatten. Wir waren zu Viert, 3 Köche (Jochen Stückler vom „Hotel Arnica“, Fredi Boch vom „Hotel Engel“, Sebastian Wetzel vom „Hotel Mangler“) und eine Hausfrau (Ilka Kaiser) mit guten Verzierungskünsten. Ab und zu half noch ein Handlanger namens Sascha Hotz, Kurgeschäftsführer der Tourismus GmbH Todtnauer Ferienland. Nach 4 Stunden war das Werk vollbracht, und alle 60 Torten in vielen Kühlschränken versorgt. Leider mussten wir am nächsten Tag feststellen, dass einer der Kühlschränke nicht funktioniert hat. 4 Torten wanderten leider in den Müll. Gut vorbereitet warteten wir gespannt auf die Gäste. Wir waren uns nämlich keinesfalls sicher, ob so viele kommen würden, doch wir hatten wieder einmal Glück gehabt. Es waren zwar weniger Gäste als vor 2 Jahren da, wir verkauften jedoch knapp 80 Torten (neben unseren Torten kamen noch andere dazu) zu je 14 Stück. Es war ein voller Erfolg. Die Begeisterung war gut und auch der SWR sowie Pro7 machten Aufzeichnungen.
Soweit der Bericht. Die Aufzeichnung wird erst im Juli 2006 auf Pro7 in der Sendung „Galileo“ gezeigt. Die Gewinner des diesjährigen Festivals, das Rezept der Schwarzwälder Kirschtorte und weitere Infos finden Sie unter www.kirschtorte.de
Preisträger produzierte 36 000 Kirschtorten
In der Ausgabe der Zeitung „Der Sonntag“ vom 14. Mai 2006 wurde der amtierende Kirschtortenkönig (Sieger beim 1. Kirschtortenfestival von 2004) Bernd Ropertz, Konditormeister aus Todtnau, von Sven Meyer interviewt. Er betonte, dass jeder seine Kirschtorte etwas anders macht. Wichtig sind frische Zutaten. Manche machen den Fehler, zu viel vom Kirschwasser zu verwenden. „Wenn Sie nach einem Stück Torte halb besoffen sind, dann wurde etwas verkehrt gemacht“, so der Meister seines Fachs.
Es ist unglaublich, wie Holländer, Amerikaner, Schweizer und Briten auf diese Torte abfahren. Besonders die Briten können von dieser Köstlichkeit nicht genug bekommen. Bernd Ropertz hört dann immer von seinen staunenden Gästen begeisternde Ausrufe wie „beautiful“ oder „delicious“.
Auf die Frage, wie viel Torten er in seinem Leben schon produziert habe, antwortete er nach kurzer Überlegung: „Das müssten so 36 000 Stück sein.“ Pro Tag stellt der Konditormeister 6 Kirschtorten her. Wenn eine Busladung Gäste auftaucht, und die Torten nicht ausreichen, kann er innerhalb von 15 Minuten eine Torte hervorzaubern. Er macht sie dann immer frisch.
Auch ich ass einmal nach einer Wanderung im Belchengebiet in einem Lokal eine Schwarzwälder Kirschtorte. Die Wirtin meinte es wohl zu gut oder hatte der Koch das Kirschwasser vergessen? Ich beobachtete nämlich, wie sie am Tresen ein volles Schnapsgläschen Kirschwasser über das Stück Torte goss. Da kam Freude auf, d. h. ich roch noch eine ganze Weile nach Schnaps. Und eine Schnapsfahne sollte man laut Ropertz nach dem Verzehr dieser Köstlichkeit nicht haben.
Auch etwas anderes fiel mir auf. In vielen Cafés und Gaststätten beobachte ich immer wieder, wie gerade die kugelrundesten Damen die grössten Portionen Schwarzwälder Kirschtorte oder andere Sahnetorten in sich hineinstopfen. Wenn man diese Frauen sieht, bekommt man Appetit auf solch eine Köstlichkeit. Wenn ich einmal ein Stück dieser Torte verzehre, dann geniesse ich sie mit Andacht. Ich kenne so manchen Zeitgenossen, der beim Essen solch eine Schnelligkeit an den Tag legt, so dass er wohl nachher nicht mehr weiss, wie das eine oder andere Gericht oder Produkt geschmeckt hat. Das ist dann eine reine Abfütterung.
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