BLOG vom: 02.06.2006
Die Lust an der Gewalt: Der Infantilismus ist übermächtig
Autor: Walter Hess
Heute Mittag brachte ich einige Postsendungen zum Briefkasten beim Oberen Dorfplatz in Biberstein AG. Dort war ein Baulastwagen parkiert und 3 Kinder, die gerade aus dem Kindergarten kamen, warfen Steine gegen das parkierte Auto. Ich sagte ihnen, dass sie das nicht machen dürften, da sonst das Auto kaputt gehe. Sie taten so, als ob sie ihren Heimweg fortsetzen würden. Als ich nach 2 Minuten zurückkam, waren sie wieder am Steinewerfen; sie entdeckten mich und rannten davon.
Szenenwechsel: Kürzlich spazierte ich zum Aussichtspunkt des Aarschächlisees, der im Rahmen des Auenschutzparks Aargau zwischen Rohr AG und Rupperswil AG entstanden ist. Das Publikum hat an einer Stelle einen Zugang zu einem kleinen Hügel, von dem aus es die Naturvorgänge im offen gelegten Grundwasser beobachten kann. 2 etwa 11- bis 12-jährige Knaben waren von dort aus Steine gegen eine Schwanen-Familie. Ich schickte die dummen Lümmel weg.
Szenenwechsel: Ein Bekannter, der jeweils im Auto in der Tiefgarage eines Einkaufszentrums wartet, während seine Frau die Einkäufe tätigt (er erträgt die Atmosphäre in Shopping-Centers nicht), erzählte mir, wie viele Parkschäden dort angerichtet würden, gehe auf keine Kuhhaut. Beim Aussteigen durch die Hintertüren würden vor allem Kinder keine Rücksicht nehmen. Sie würden von den Eltern nicht zurechtgewiesen, und das Auto werde dann einfach umparkiert, um der Strafe bzw. der Haftbarmachung zu entgehen. Man müsse bei diesem Vandalismus schon intelligent parkieren, das heisst für genügend Abstand sorgen, sagte der Gewährsmann.
Und daheim las ich dann bei Spiegel-online von einem Berliner Prügelschüler, der einer Lehrerin das Gesicht gebrochen haben soll. In der "Netzzeitung" stand, ebenfalls am 2. Juni, in der nordirakischen Stadt Samarra hätten amerikanische Soldaten eine hochschwangere Frau erschossen, die auf dem Weg zur Entbindung im Krankenhaus war. Wie die irakische Polizei mitteilte, wurde auch die Schwester der 35-Jährigen getötet. Der Fahrer des Autos, ein Cousin der Frauen, wurde verletzt, er hatte falsch abgebogen und das kam den Soldaten verdächtig vor. Mit irgendwelchen Wiedergutmachungen ist nicht zu rechnen. Das gehört nicht zur US-Praxis.
Dann las ich die weitere tausendste Fortsetzung über die ständigen Massaker an Zivilisten, die schiessfreudige US-Soldaten im Irak anrichten. www.dw-world.de: „Iraks Ministerpräsident Al-Maliki hat den US-Truppen im Land wegen mutmasslicher Gräueltaten an irakischen Zivilisten in der Stadt Haditha schwere Vorwürfe gemacht. ‚Es ist nicht zu rechtfertigen, dass eine Familie getötet wird, weil jemand gegen Terroristen kämpft’, sagte Nuri al-Maliki am Dienstag (30. 5. 2006) dem britischen Sender BBC.“ Und das Pentagon untersucht gegen sich selbst, wie üblich, damit die feigen Mörder straffrei ausgehen. Was tun eigentlich die geldgierigen Advokaten-Heerscharen in Amerika?
Und die gleiche Meldung lautet weiter: „Nach Angaben des neuen irakischen Botschafters in den USA, Samir al-Sumaidaie, gibt es viele Hinweise darauf, dass US-Soldaten wehrlose Zivilisten ‚absichtlich getötet haben’. Auch sein Cousin sei im November 2005 in der Stadt Haditha grundlos von US-Soldaten erschossen worden, sagte er dem US-Sender CNN.“ Es muss schon sehr schlimm sein, wenn selbst CNN, das treu ergebene Sprachrohr der Bush-Regierung, solche Meldungen nicht mehr unterdrücken (totschweigen) kann.
Bei dem Einsatz der US-Marines in Haditha waren nach Berichten von US-Medien 24 irakische Zivilisten, darunter auch Frauen und Kinder, angeblich grundlos getötet worden. Der demokratische US-Abgeordnete John Murtha hatte dem Verteidigungsministerium in Washington vor kurzem vorgeworfen, das Massaker vertuschen zu wollen, und von „kaltblütigen Morden“ gesprochen.
Und die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) berichtete am 1. 6. 2006 dazu: „Haditha hat alles Potenzial, für die Bush-Regierung zum irakischen My Lai zu werden: 24 Zivilisten, unter ihnen 7 Kinder und ein wehrloser Grossvater im Rollstuhl, wurden voriges Jahr offenbar Opfer eines Racheaktes amerikanischer Marines. Bisher wagten es nur das Magazin Time sowie grosse US-Zeitungen wie die Washington Post und die New York Times, ihre Reporter in die 90 000 Einwohner grosse Stadt am Euphrat zu entsenden.“
In einzelnen Zeitungen und im offeneren Internet sind solche Meldungen seit Jahren aus glaubwürdigen Quellen zu lesen. Berichte über die Schandtaten wie Massaker und Folterungen von Angehörigen einer Nation, die von ethischen Skrupeln unberührt und ständig in Kriege verwickelt ist und bald einmal den ganzen Irak zerstört hat, sind an der Tagesordnung. Seitdem die Amerikaner im Irak randalieren, sind die Zustände dort schlimmer denn je: Das Krankheitswesen und die Schulen funktionieren nicht mehr, und Todesschwadronen im US-Auftrag sorgen für einen Bürgerkrieg. Gott steht allein auf der Seite der Amerikaner, wie schon immer, die ungestraft 3 Millionen Vietnamesen ermorden durften, um nur ein markantes Beispiel zu nennen. Von Völkermorden wagt in diesem Zusammenhang niemand zu sprechen.
Die ehemalige US-Aussenministerin und Hardlinerin Madeleine Albright in der „SZ“ vom 1. 6. 2006 zu den religiösen Aspekten des Neokonservativismus: „Die USA sind ein aussergewöhnliches Land. Sie wurden gegründet von Menschen, die der religiösen Verfolgung entflohen (...) Wir können Gott nicht allein beanspruchen. Wir müssen uns deshalb mit dem identifizieren, was Gott will. Und wir sollten nicht behaupten, dass Gott alles gut heisst, was wir tun. Ich beobachte diese Überbetonung von Gottes Zuneigung, die gefährlich werden kann.“
Ja, was ist das für ein Gott, der die Ermordung von Schwangern, Kindern, Frauen, Männern und Greisen zulassen und solch eine Nation segnet?
Und dann diskutiert man in den Medien hilflos über die zunehmende Gewalt, als ob es Erscheinungen wie die vor Grausamkeiten triefende Bibel, Hollywood, Videospiele und Sensationsmedien nie gegeben hätte. Man ist sich nicht einmal darüber einig, ob denn die Gewalt überhaupt zugenommen habe, währenddem Fussballstadien gerade in Hochsicherheitsgefängnisse umgewandelt werden und die Personenüberwachung jenseits aller Datenschutzgesetze ausgebaut werden. Warum denn nur?
Hinterher bedaure ich es, dass ich die Kindergärtler nicht gefragt habe, warum sie denn Steine aufs Auto werfen. Wahrscheinlich hätte ich keine tiefschürfende Antwort erhalten. Das gehört einfach dazu, weil es genügend Vorbilder gibt. Und wenn sich solche Kinder geistig nicht entwickeln, was ich den Dreien nicht unterstellen will, und im Zustand des Infantilismus zu politischer Macht gelangen, dann sind wir bei amerikanischen Regierungsverhältnissen. Und fast die ganze Welt schaut weg, macht den Mächtigen unterwürfig den Hof und schwört ewige Vasallentreue, was auch immer an Verbrechen begangen werden mag.
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