BLOG vom: 25.06.2006
Wenn die Espe zittert und die Ameisen Blattläuse melken
Autor: Heinz Scholz
Die am 17. Juni 2006 von Magdalena Müller durchgeführte Heilkräuterwanderung in Unteribach (Hotzenwald) war für mich und die anderen 20 Teilnehmer ein besonderes Erlebnis. Erfuhren wir doch auf dieser Exkursion viel Interessantes über Heil- und Küchenkräuter. Viele der Heilpflanzen standen wegen der zurückliegenden kühlen Witterung und der Höhenlage von Ibach (946 bis 961 m ü. M.) noch nicht in voller Blüte.
Übrigens gehört Unteribach zur Gemeinde Ibach. Dieser Ort setzt sich aus den Orten Ober- und Unteribach, Mutterslehen und Lindau zusammen. Ibach liegt zwischen Todtmoos und St. Blasien. In diesem Gebiet liegen 22 kleine Hochmoore, die zum Teil sehr empfindliche Naturschutzgebiete sind.
Magdalena Müller, die ich schon in meinem Heilpflanzenbuch „Arnika und Frauenwohl“ und im Blog „Die Landfrauen von heute: Zwischen Pflug und Partyservice“ vorgestellt habe, ist eine Spezialistin für fernöstliche Heilweisen und für heimische Heilpflanzen. In ihrem Haus „Tannenhof“ veranstaltet sie Heilpflanzen-Seminare und Kochkurse mit Heil- und Küchenkräutern. Beliebt sind die Kräuterexkursionen, die sie alle 14 Tage von Juni bis Ende September durchführt. Treffpunkt ist dann immer samstags um 14.30 Uhr am Unteribacher Kirchenparkplatz. Bei Regen fällt die entsprechende Wanderung aus. Die ausserordentlich aktive Expertin führt auch ayurvedische Massagen in Einzelbehandlungen durch, gibt dieses Wissen aber auch in Seminaren weiter.
Erstaunlich für mich war die Tatsache, dass es hier, rund um Ibach, 130 Heilpflanzen gibt, die man sammeln kann. Während der Exkursion lernten wir etwa 30 kennen, die sich am Wegesrand, auf Wiesen, in Wäldern und auf Äckern befanden. Einige Pflanzen werde ich nun vorstellen.
Heilpflanzenporträts
An einem Bachlauf lernten wir den Giersch (Geissfuss) kennen. Es handelt sich um einen Doldenblütler, dessen Blätter und Stängel für Salate, Suppen und Aufläufe verwendet werden. In der Volksmedizin benutzte man das zerquetschte Kraut bei Rheuma und Ischias, Insektenstichen und Wunden. Die Früchte dienen als Kümmelersatz. Wer die Samen kaut oder einen Tee davon bereitet, hat ein gutes Mittel gegen Blähungen.
Der Quendel (Feld-Thymian) wirkt innerlich bei Bronchitis, Husten, Heiserkeit, Blähungen und Völlegefühl und äusserlich bei Ekzemen, Bronchitis, Husten, Schnupfen.
Wir lernten auch die Bereitung des Thymianöls (Hautöls) kennen. Frau Müller gibt zu 1 Liter Sesam- oder Sonnenblumenöl 2 Handvoll Thymian oder Quendel, lässt die Mischung 8 Wochen an der Sonne stehen, dann wird abgeseiht und das Öl in braunen Flaschen aufbewahrt. Das Öl macht die Haut zart und weich und ist auch eine Wohltat für Neurodermitiker.
Es ist auch ein Küchenkraut. Den Bratkartoffeln zugefügt, hilft die Pflanze bei der Verdauung. Auch zu Salaten sind die Blüten geeignet. Man sollte jedoch nicht zuviel verwenden, da der Quendel oder Gartenthymian einen starken Eigengeschmack hat.
Zittern wie Espenlaub
Während unserer Wanderung kamen wir auch an 2 Espen vorbei. Die Espen oder Zitterpappel kann man gar nicht verwechseln, weil die Blätter beim leisesten Luftzug sich merkwürdig drehen. Nach einer Legende soll die Espe wegen ihres Hochmuts beim Tode Christi unbeweglich geblieben sein. Sie wurde mit ewiger Unruhe bestraft. In Schweden und Schottland wurde überliefert, dass das Kreuz Christi aus Espenholz gefertigt wurde und deshalb nie zur Ruhe kommt.
Frau Müller erzählte uns eine ganz andere Geschichte: Anlässlich einer Wanderung, die die Baumheilkunde zum Thema hatte, forderte sie die Teilnehmer auf, ihren Lieblingsbaum aufzusuchen. 2 Damen aus der Gruppe, die ängstlich und nervös waren, suchten und suchten und fanden ihren Baum nicht. „Wie wäre es mit den Tannen dort drüben?“ fragte die Kursleiterin. „Die machen uns Angst“, war die einhellige Meinung. Als sie zu einer Espe kamen, meinten sie, das wäre der gesuchte Baum, der ihnen die Angst und Unruhe nimmt.
Ameisen melken Blattläuse
Horst Böss, Leiter der „Badischen Zeitung“ in St. Blasien, der auch bei dieser Kräutertour anwesend war, machte uns auf eine Symbiose zwischen Ameisen und Blattläusen aufmerksam. Unscheinbar am Wegesrand sahen wir auf bestimmten Pflanzen die Schwarzen Wegameisen, wie sie Läuse molken. Die Blattläuse leben auf Obstbäumen, Beerensträuchern und auch auf anderen Pflanzen. Die Läuse schlürfen aus den Leitungsbahnen der Pflanzen zucker- und eiweissreiche Säfte. Die Blattläuse verbrauchen nur einen Teil dieses „Lebenselixiers“ für ihren eigenen Bedarf, der grosse Rest wird über besondere Drüsen am Hinterteil ausgeschieden. Die Schwarze Wegameise und auch andere Ameisenarten ernten das Sekret durch Betasten und Beklopfen des Hinterleibs der Blattläuse. Interessant ist, dass die Ameise nicht nur erntet, sondern die Laus auch vor Angriffen des Marienkäfers, der Schwebfliegenlarven oder Florfliegen schützt. Die Symbiose geht noch weiter. Die Ameise trägt die Blattlaus zu immer neuen Futterplätzen, besonders dann, wenn die Wirtspflanze eingegangen ist. Vor Beginn des Winters wird die Laus sogar in den Ameisenbau getragen. Wenn die jungen Blattläuse im Frühjahr geschlüpft sind, kommen sie wieder huckepack auf die Pflanzen.
Gartenfreunde wollen die Läuse und Ameisen gerne aus ihren Gärten vertreiben. Sie helfen sich damit, dass sie Knoblauchzehen in die Erde stecken oder Lavendel- oder Orangenöl ausbringen.
Rezept für müde Wanderer
Frau Müller hat mich dazu animiert, doch einige interessante Geschichten rund um die Heilpflanzen zu erzählen. Das liess ich mir nicht entgehen, da ich immer wieder in der Vergangenheit über Brauchtum und Aberglaube bei den Teilnehmern auf Interesse und ungläubiges Erstaunen stiess. Manchmal hatten die Gäste was zum Lachen. Hier einige dieser Geschichten, die auch in meinem Heilpflanzenbuch „Arnika und Frauenwohl“ erwähnt wurden:
Müde Wanderer mussten sich nur unter einem Wacholderbusch ausruhen, dann waren sie wieder erfrischt und konnten sich frohen Mutes auf die Wanderschaft begeben. Heute hält man nicht viel von diesem Rezept. Als ich einmal während eines Vortrags von diesem Brauch erzählte, bemerkte ein Wanderfreund: „Ich trinke lieber Wacholderschnaps, das bringt mich garantiert wieder auf die Beine!“
Unsere Altvorderen hatten ein probates Einschlafmittel. Sie legten ihren unruhigen Kindern die duftenden und leicht beruhigend wirkenden Schafgarbenblüten auf die geschlossenen Augen. Auch junge Mädchen machten dies, aber nicht als Einschlafhilfe, nein, sie wollten ihren Geliebten im Traum sehen.
Als ich diese Geschichte zum Besten gab, bemerkte eine Mitfünfzigerin: „Dies brauchen wir nicht mehr, wir sind aus dem Alter raus.“ Eine andere entgegnete schmunzelnd: „Aber gegen süsse Träume hätte ich nichts.“
Rubinrotes Öl bei Neuralgien
Frau Müller verwendet übrigens Johanniskrautöl bei Kindern, die nicht einschlafen können. Sie reibt eine kleine Menge des Öls auf den Fusssohlen und im Nacken ein (die Nackenmassage erfolgt im Uhrzeigersinn!). Auch für Manager oder sonstige Gestresste hat die Expertin ein wirksames Mittel zur Beruhigung der Nerven parat: Eine Einreibung des ganzen Rückgrates mit Johanniskrautöl.
Frau Müller gab uns auch das Rezept zur Herstellung von Johanniskrautöl bekannt: 4 bis 6 Handvoll trockene Johanniskrautblüten mit 1 Liter Oliven- oder Sonnenblumenöl in einer Milchflasche übergiessen, Flasche mit einem Tuch bedecken und diese 3 bis 4 Tage an die Sonne stellen, öfters umschütteln. Danach wird die Flasche mit dem Schraubdeckel verschlossen und 6 bis 8 Wochen der Sonne ausgesetzt. Das rubinrote Öl über ein sauberes Leinentuch filtrieren, in braune Flaschen abfüllen und dunkel lagern.
Das Öl eignet sich als Einreibemittel bei Neuralgien, Rheuma, Nierenbeschwerden (Öl in der Nierengegend einreiben!), Sonnenbrand, Geschwüren und Quetschungen.
Johanniskrautzubereitungen (Tee, Tropfen, Pflanzensaft, Dragees, Ampullen) helfen bei psychovegetativen Störungen, Depressionen, Angst und nervöser Unruhe. Bei Depressionen sind jedoch höhere Dosierungen notwendig.
Magdalena Müller wies auch auf Nebenwirkungen hin. Johanniskraut zeigt nämlich eine lichtsensibilisierende Wirkung. Es wird deshalb besonders empfindlichen Personen (Rotblonde, Blonde) nahegelegt, nach Aufnahme von Johanniskraut eine starke Sonnenbestrahlung zu meiden. Vereinzelt zeigten sich sonnenbrandähnliche Hautreizungen.
Pflänzchen gut für Frauen und Männer
Sehr beliebt bei den Frauen ist der Frauenmantel. Früher rieben sich die Frauen im Kanton St. Gallen ihr Gesicht und ihre Stirn mit den Blättern ab, um angeblich Sommersprossen zu entfernen. Dieser Glaube entwickelte sich wohl dadurch, dass die in den Blättern angesammelten Wassertropfen als „Tau“ bezeichnet wurden, und dieser galt im Volk schon immer als Gesichtspflege- und Schönheitsmittel.
Die Alchemisten des Mittelalters nannten diesen Tau „Himmelswasser“. Mit diesem Wasser versuchten die Alchemisten den Stein der Weisen herzustellen. „Für sie war der Frauenmantel ein kleiner Alchemist, der das Wasser aus der Erde in sich aufsaugt, ,läutert' und wieder abgibt, um es dem Himmel zu opfern, es der letzten Stufe der Verwandlung hinzugeben“, so Susanne Fischer-Rizzi, Autorin des Buches „Medizin der Erde“.
Der Tau ist in Wirklichkeit kein Tau, sondern es sind Guttationsperlen (Guttation = Abgabe von Wasser in flüssiger Form, dadurch wird der Transport von mineralischen Nährstoffen von der Wurzel aufrecht erhalten).
Der Frauenmantel (Tee, Tinktur) hilft bei Wechseljahrbeschwerden, starken Monatsblutungen, Durchfallerkrankungen, Magen- und Darmbeschwerden.
„Gibt es eigentlich auch Pflanzen für Männer?“, wurde einmal die Expertin gefragt. Dann verwies sie aufs Kleinblütige Weidenröschen und berichtete von dessen Wirkung bei Prostata-, Blasen- und Nierenbeschwerden. Ein Teilnehmer bemerkte dann noch, dass es noch ein ganz anderes Prostatamittel gibt, nämlich Bier. Der Hopfenbestandteil Xanthohumol soll den Prostatakrebs hemmen. Frau Müller, die auch diesen Forschungsbericht gelesen hatte, bemerkte, dass man jedoch 15 Halb-Liter-Gläser voll Bier trinken müsse, um einen Effekt zu erzielen. Ein anderer Teilnehmer entgegnete, vielleicht helfen schon homöopathische Dosen.
Der Gute Heinrich, ein Spargel- und Spinatersatz
Kurz vor Ende der Exkursion wurde uns der Gute Heinrich vorgestellt. Es ist eine immergrüne Pflanze mit gestielten, dunkelgrünen, spiessförmigen, dreieckigen Blättern, die sich sandig anfühlen. Die jungen Blätter und Stängelspitzen eignen sich für Kräutersuppen, Gemüse und Salat. Der Gute Heinrich dient als Spinatersatz. Die jungen Triebe kann man wie Spargel verzehren. In England ist dieser als Spargelspinat bekannt, wobei die Triebe im Dunkeln bleich gezogen werden. Der Name erinnert übrigens an die Legende vom aussätzigen Armen Heinrich. Früher wurde die Pflanze bei Hautkrankheiten verordnet.
Auch die jungen Blätter und Stängel des Schlangen-Knöterichs (Wiesen-Knöterich) kann in der Küche wie Spinat oder Gemüse zubereitet werden.
Indische Laufenten im Kräutergarten
Nach Abschluss der Wanderung wurde ich noch zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Es gab einen herrlich schmeckenden Pfefferminz-Melisse-Tee und dazu eine köstlich schmeckende Knabberei, bestehend aus getrockneten Maulbeeren und Kumquats.
Vom Balkon des traumhaft schön und ruhig gelegenen „Tannenhofs“ beobachteten wir ein interessantes Pärchen. Es waren keine Urlauber, sondern Indische Laufenten, die immer auf der Jagd nach Schnecken sind. Der Kräutergarten von Magdalena Müller ist somit vor Schneckenfrass geschützt. Am Abend werden die beiden von „Tisch und Bett“ getrennt und in gesonderte kleine Hütten gesperrt. Die Entenfrau betreut zurzeit ein Gelege. Die Einsperrung während der Nacht ist wegen der herumstreunenden Füchse notwendig.
Es war eine sehr interessante Wanderung in einem besonders schönen und ruhigen Zipfel des Hotzenwalds, welcher ein vorgeschobener Eckpfeiler des südlichen Schwarzwalds ist. Wohl kaum einer der Teilnehmer wusste, dass hier in dieser kargen Gegend sehr viele kräftige Heil- und Küchenkräuter in einer unverfälschten Natur heranwachsen. Frau Müller hat es ausgezeichnet verstanden, ihren Gästen altes und neues Wissen über die Heilpflanzen in verständlicher Form zu vermitteln. Wir alle waren erstaunt, welche Heilschätze es in Wald und Flur gibt.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein Spruch von Paracelsus ein, der einmal schrieb: „Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheke.“
Infos im Internet
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