BLOG vom: 14.07.2006
Schablonenmoral (Neuroethik) entmündigt Menschen
Autor: Emil Baschnonga
Unter unserer Schädelkappe ist der eigene Wille arg eingeschränkt; so weisen es die Hirnforscher (Neuroscientists) nach. Unser Selbstgefühl als Individuum sei von Nervenzellen – das einem biochemischen Software-Programm gleichkommt – vorbestimmt, behaupten sie, teils wissenschaftlich untermauert. Der Mensch ist unbestreitbar in die Biologie eingebunden. Jetzt wird er mehr und mehr biochemisch behandelt, deutlicher gesagt: manipuliert. So kann der Mensch leichter als je für gute wie auch schlechte Zwecke gefügig gemacht werden.
So werden wir hoffnungslos vernetzt und verzahnt. Ein fehlerhaftes Programm löst Depressionen, Gedächtnisschwund bis zu mörderischen Impulsen und viele andere verbrecherische Anlagen aus. Der Volksmund nennt solche Programmfehler Dachschaden, Kurzschluss in der Leitung, Kopfschuss, falsch gewickelt usf.
Mit einem Drogen-Cocktail wird dem entgegengesteuert. Die Neuroscience (Wissenschaft von den Nerven) wird bald ein Mittel haben, das unser Moralempfinden reguliert, so wie heute Medikamente wie Prozac unsere Laune, Ritalin unsere Konzentration und Aricept unser Gedächtnis beeinflussen. Inzwischen entwickelt sich die Neuroethik (von Neurophilosophen inszeniert) dahingehend, die Grenzen zwischen dem moralisch normalen (akzeptablen) und abnormalen (verwerflichen) Verhalten zu bestimmen. Mich schaudert vor solch einer Schablonenmoral.
Nachweisbar können Hirnverletzung, Hirnkrebs, andere Tumore oder Zysten die Verhaltensweise eines Menschen grundlegend verändern. Ein sanftmütiger und intelligenter Lehrer, 40 Jahre alt und von einem Tumor befallen, vergriff sich sexuell an Kindern, selbst an seiner Schwiegertochter. Nachdem der Tumor wegoperiert war, fand er wieder zu seinem alten Selbst zurück. Ein Arsenal von Fallbeispielen dieser Art häuft sich und treibt die Neurowissenschaft voran.
Alkohol und Drogen lösen wohl die meisten Persönlichkeitsstörungen aus, unter vielen anderen Einflussfaktoren. Wer etwa in schlechter Gesellschaft verkehrt, wird von ihr leicht wie von faulen Äpfeln angesteckt. Desgleichen junge Leute, die von rohen Gewaltfilmen beeinflusst auf Abwege geraten. Ein solches Fehlverhalten kann nicht auf die Gene abgewälzt werden, sondern es wird hauptsächlich von widrigen und von aussen aufgezwungenen Umständen ausgelöst, worunter Armut und Elend, mangelhafte Erziehung, liederliche Eltern und schlechte Vorbilder sind.
Mit der Neuroscience kann die ganze Justiz auf den Kopf gestellt werden. „Nein, nicht er hat den Diebstahl begangen, sondern sein Kopf …“, meldet der Verteidiger. Der Dieb wird freigesprochen.
Hier erreiche ich endlich wieder die Standfeste meiner eigenen Überzeugung, wonach jeder vernünftige Mensch Spielraum hat, sein eigenes Verhalten zu bestimmen, Verantwortungen auf sich zu nehmen und zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Diesen Spielraum gilt es durch gesunde Moral und Ethik zu fördern. Es gibt genug Wegweiser zur freien Willensäusserung innerhalb erprobter Spielregeln, die unser Selbstgefühl als Individuum, ohne Abstriche auf Kosten unserer Mitmenschen, gewährleisten. Dies will ich den Neurophilosophen unter die Nase reiben.
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05.06.2006: „Denkschablonen, die den Freiheiten im Wege stehen”
24.01.2006: „Zurückschauen und etwas Schönes finden“
08.05.2005: „Wege und Übergänge: Um Freunde zu finden“
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