Textatelier
BLOG vom: 29.08.2006

Brunegg: Langsam essen, Wasser trinken nicht vergessen

Autor: Walter Hess
„Wasser ... es ist nicht so,
dass man dich zum Leben braucht;
du selber bist das Leben!“
Antoine de Saint-Exupéry
 
Slow Food umfasst mehr als langsames (verlangsamtes) Essen, jedenfalls wenn man den Begriff auf die international bekannte Vereinigung bezieht, die sich dem Regionalen zuwendet. Es geht ihr um die Wertschätzung und Pflege des Traditionellen, Ortsangepassten, Speziellen, Originalen und Originellen. So jedenfalls habe ich es verstanden. Dazu gehören eine angenehme Umgebung, die leibliche Gesundheitspflege, wobei das Wasser eine dominante Rolle spielt. Und so war denn die jüngste Veranstaltung der Slow-Food-Sektion Aargau/Solothurn vom 28. August 2006 dem Thema Wasser gewidmet. Es regnete sinnvollerweise in Strömen; die Stimmung war gerettet. Der Wasserkreislauf, von dem der naturheilkundige Paulo Bleisch aus CH-5023 Biberstein AG, sprach, wurde genährt, wie wir Teilnehmer übrigens auch (siehe später).
 
Brunegger Geschichte(n)
Der von Wolfgang und Edith Byland, CH-5033 Buchs AG, organisierte Anlass fand im traditionsreichen Landgasthof „Zu den drei Sternen“ in CH-5505 Brunegg AG statt, am südlichen Dorfrand und unterhalb des Schlosses gelegen. Der Gasthof ist so alt, dass das Baujahr nicht mehr genau zu ermitteln ist. Als droben auf dem Schloss noch die Dienstmannengeschlechter wie die Schenken von Brunegg und die Gessler von Meienberg die Lage überblickten und im Griff behielten, diente die Tavernenwirtschaft (Waldschenke) als Zufluchtsort bei schlechtem Wetter. Bei Regen fühlt man sich dort tatsächlich wohl, noch heute. Die Gesslers mit dem bezeichnenden Namen beschafften sich ihr Geld mit der Reisläuferei und dem überfallmässigen Ausnehmen von Durchziehenden, die nicht einkehrten; später wurde dann der Zehnten eingeführt, der Vorläufer unserer allseits beliebten Steuern.
 
Der behäbige, schöne Gasthof, ein Baukomplex unter Ziegeldächern, teilweise im Riegelbaustil, wie er heute besteht, wurde mit einiger Gewissheit Anfang des 18. Jahrhunderts von Jakob Hilfiker geplant und gebaut. 1878 wurde das umfangreiche Gebäude von Jakob Wernli gekauft, der es 1886 seinen Söhnen vermachte. Und nun kommen wir allmählich zu bekannteren Namen: Im selbigen Jahr residierte der adlige schwedische Dichter und Nationalromantiker Werner von Heidenstam (1859−1940, bekanntes Werk: „Wallfahrt und Wanderjahre“) im Schloss Brunegg auf dem östlichen Ende des Kestenbergs, und selbst der schwedische Dichter August Strindberg (1848−1912) wandte sich oft in der Dorfwirtschaft leiblichen Genüssen zu; er formulierte damals (um 1886) an seiner berühmten Liebesgeschichte „Sohn einer Magd“ herum, einem Werk mit betont autobiografischem Inhalt. In jüngerer Zeit kehrten dort der Schlossherr, Dichter und Historiker Jean Rudolf von Salis (1901−1996), der am Radio für uns Schweizer den 2. Weltkrieg intelligent kommentierte, und der Schriftsteller Hermann Burger (1942−1989) ein; das Schloss ist noch heute im Besitze der Familie von Salis. Der Zigarrenraucher Hermann Burger („Die künstliche Mutter“, „Brunsleben“, „Aus meinen Tabakblättern“) war eine Zeitlang einer meiner Redaktionskollegen beim „Aargauer Tagblatt“, und manchmal haben wir beim Fotokopieren über Gott und die unheil gewordene Welt gesprochen; Burger lebte im Pfarrhaus auf dem Kirchberg ganz in der Nähe des Friedhofs zwischen Küttigen und Biberstein. Ich hätte damals nie vermutet, dass die Depression dieses fulminante Leben beenden würde.
 
Die Taverne in Brunegg trieft also geradezu vor Geschichte. Der älteste Teil davon kam ans Licht, als Ernst Müller 1989 den Gasthof kaufte und renovieren liess. Die Historie wurde in jedem Sinn des Worts wieder ausgegraben. So wurde, wie uns Ernst Müller schilderte, ein etwa 800 Jahre alter Keller hinter einem schönen, von der Baggerschaufel zwar beschädigten Eingangsgewölbe entdeckt, sozusagen ein gefundenes Fressen für einen Wirt, der gern Wein lagert und reifen lässt. Um diesen Sternenkeller wurde eine Sickerleitung gezogen, über die das eindringende Wasser (womit wir wieder beim Thema wären) reguliert werden kann. Der altehrwürdige Tonboden nimmt etwas eindringendes Wasser auf und gibt es kontinuierlich an die Kellerluft ab. Die Feuchtigkeit erreicht dann jenen Wert, bei dem sich die Flaschen aus der Vor-Drehverschluss-Zeit wohlfühlen (etwa 60 bis 80 %); die Temperatur bleibt bei etwa 18 °C während des ganzen Jahres konstant. Sie ist etwas hoch, aber gute Weine gewöhnen sich daran.
 
Wasser ist auch zum Degustieren da
Im kellerartigen Vorraum mit den mörtellosen Naturkalksteinmauern genehmigten wir den Apéro; man konnte auch Wasser haben. Anschliessend versammelten wir uns im Cheminéeraum, wo Paulo Bleisch zu seinem ausgezeichneten Vortrag ansetzte. Er war Feuer und Flamme, als er das Wasser als hervorragende Ernährungsbasis vorstellte, das, bewusst degustiert, auch deutliche Geschmacksnuancen offenbart. Er empfahl dringend, stilles Wasser (ohne Kohlensäure) zu wählen, vor allem aber Quellwasser, das bei seinem Aufstieg aus dem Untergrund Energien aufgenommen hat; das Grundwasser seinerseits sei an sich noch nicht reif, könne in unseren Breitengraden aber problemlos getrunken werden. Wir kosteten das in einem Kanister mitgebrachte Bibersteiner Quellwasser (Bleisch: „Bibersteiner Silberquell“), das milde, weiche „Evian“ und das substanzreiche „Aqua Panna“ (S. Pellegrino).
 
Bleisch rief zum sorgsamen Umgang mit dem Wasser auf, diesem „Sinnesorgan der Erde mit Bezug zum Kosmos“. Wird es mit Hormonen und Chemikalien belastet, schafft es deren Abbau kaum. Notfalls kann Wasser gereinigt werden, wenn man es in Petflaschen an der Sonne liegen lässt. Das ist ein Notbehelf, denn die Petflaschen sind sicher nicht das, was ein lebendiges Wasser zu seinem Wohlergehen braucht. Wasser, Sauerstoff und Licht, das sind die tragenden Elemente, nicht der Kunststoff.
 
Interessant ist laut Bleisch der Umstand, dass der Durchschnitts-Mensch mit zunehmendem Alter langsam austrocknet (Dehydrierung): Neugeborene bestehen aus 80 % Wasser, 3 Monate alte Säuglinge aus 75 %, 25-Jährige auf 65 % und 80-Jährige aus 50 %. Mit katastrophalen Folgen: Weil Wasser alles im Fluss hält, nimmt dieser Fluss des Lebens dann eben ab. Wer auf Bleisch hört und genügend Wasser trinkt (pro Kilo Körpergewicht und Tag: etwa 30 g – und pro Tasse Kaffe 2 dl dazu), erfreut sich einer besseren Gesundheit.
 
Bleisch wurde nicht müde, in selbstloser Weise zu einem ausreichenden Wasserkonsum aufzufordern: Allein durch die Ausatmung verlieren wir etwa 1 Liter Wasser pro Tag, und in der Nacht tritt ungefähr ein halber Liter aus (weshalb sich die meisten Schlaganfälle in den frühen Morgenstunden einstellen, wie ich mir beizufügen erlaube). Auch die Alzheimer Krankheit, Herzinfarkte und die Parkinsonsche Krankheit führte der Referent auf einen Wassermangel zurück.
 
Und eine schwere Krankheit ist auch das GATS, das WTO-Abkommen über Dienstleistungen, das auch die Privatisierung (und Kommerzialisierung) des Trinkwassers vorsieht. Der Referent warnte dringend davor, dieses Lebenselement aus der öffentlichen Hand zu geben. Recht hat er, das ist einer der verheerendsten Auswüchse der neoliberalen Globalisierung mit ihrer Raffgier, die vor nichts Halt macht.
 
Das Wasser-Menü
Und so schütten wir denn allerhand Flüssigkeiten in uns hinein, dummerweise auch solche, die eher der Dehydrierung dienen wie Wein und Kaffee. Aber in den frischen Salaten und der kalten spanischen Tomaten-Gemüse-Suppe (Gazpacho) aus der vorzüglichen 3-Sternen-Küche war auch Wasser dabei. Aus dem Wasser kamen die delikaten Zutaten zu den Fischgerichten, und anderes war im Wasser gegart worden (Spaghetti, Fischragout, Reis). Beim Dessertbuffet hatte man, abgesehen vom frischen Fruchtsalat, etwas mehr Mühe, die Kuchen und Pâtisserie mit Wasser in Verbindung zu bringen. Aber immerhin es war nicht verboten, dazu Wasser zu trinken.
 
Giuseppe Domeniconi, der zusammen mit Ursula Hasler das Präsidium innerhalb des 7-köpfigen Slow-Food-Conveniums Aargau/Solothurn teilt, orientierte über die nächsten Veranstaltungen; bei der nächsten kommen Kastanien und Kürbisse zum Zuge. So wird viel organisatorische Arbeit geleistet, um interessierten Personen Zugang zu unbekannten gastrosophischen Freuden zu verschaffen.
 
Die etwa 30 Personen umfassende Gesellschaft bestand aus durchwegs interessanten und interessierten Leuten, und man hatte am Schluss das Gefühl, in einer inspiratorischen Atmosphäre viel Lebenswichtiges erfahren zu haben. Der fachkundige Wasserprediger Paulo Bleisch hatte übers Wasser reinen Wein eingeschenkt. Man darf ihm dafür dankbar sein.
 
Buchhinweis
Angaben über die Slow-Food-Bewegung finden sich im Buch Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann" von Walter Hess, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005, Seite 2002 ff.: "Slowfood und Nearfood".
 
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