Textatelier
BLOG vom: 22.09.2006

Schlechteste Noten: Vom Untergang der guten Manieren

Autor: Heinz Scholz
 
„Gesegnet ist, wer geschmückt ist mit dem Mantel der Aufrichtigkeit und erleuchtet ist mit dem Licht der Höflichkeit."
Aus den Bahái-Schriften
 
In unserer übertechnisierten, hektischen Zeit scheinen ethische Denkansätze und damit die Moral und gute Manieren ausgedient zu haben. Besonders negativ fallen Manager von Konzernen auf, die mit Brachialregeln ihren Einstand „feiern“. So vor einigen Jahren, als ein Konzernchef meinte: „Mache alles, was nötig ist. Töte, um zu gewinnen, mach keine Gefangenen.“ Da stockte selbst einer internationalen Marketing-Elite der Atem. Dieser Manager, der Anleihen aus dem US-Kriegsjargon wählte, wolle − so ein Firmensprecher − die Leute als Team motivieren und begeistern, alles daran zu setzen, neue Produkte mit Vehemenz an den Mann zu bringen. Neoliberalismus in reiner Ausprägung.
 
Von einer Vorbildfunktion, wie man sie von Führungskräften müsste erwarten können, kann da freilich nicht mehr die Rede sein. Vielmehr wird ganz bewusst (oder auch nicht!) die unterste Schublade herausgezogen. Wen wunderts, dass sich bestimmte Gruppen des Fussvolks rasch anpassen und auf nicht minder rigorose Weise ihr betriebliches Fortkommen in Form von Mobbing auf Kosten anderer zu sichern versuchen. Mobbing – ein Zeichen der Unkultiviertheit! Dabei ist es gar nicht so schwer, im Leben Grösse zu zeigen und zu einem kultivierten Umgangston zurückzukehren. Die wahren Worte des französischen Moralisten Jean de La Bruyère (1645−1696) sollte man sich zu eigen machen: „Ein Mensch von feiner Lebensart pflegt sich so zu benehmen, dass die anderen nach seinen Worten und seinem Verhalten mit ihm und mit sich selbst zufrieden sind.“
 
Politiker sind oft schlechte Vorbilder
Schlechte Vorbilder sind häufig auch Politiker, die das Wahlvolk nach Strich und Faden belügen und schlechte Manieren an den Tag legen. So gingen mehrmals Abgeordnete im Parlament von Südkorea aufeinander los. Dort flogen schon einmal Schuhe in Richtung des Parlamentspräsidenten („Die Zeit“, 18.3.2004). Äusserungen, die von Missgunst geprägt sind, kommen aber auch in europäischen Parlamenten vor.
 
Oder der neue Vorfall in Ungarn: Da belog der jetzige Ministerpräsident Ferenc Gyurcsany vor der Wahl die Wähler („Wir haben am Morgen, am Abend und in der Nacht gelogen“). Diese bezeichnenden Äusserungen kamen nach der Publikation eines Tonbandprotokolls heraus. Das Wahlvolk hatte die Schnauze voll und protestierte. 10 000 Demonstranten zogen vor das Parlament in Budapest und viele stürmten die Zentrale des staatlichen Fernsehens.
 
Der ungarische Präsident will dennoch nicht zurücktreten. Er legte eine Arroganz an den Tag, dass es einen nur so friert. Zumindest eine Entschuldigung wäre wohl angebracht gewesen. Wahrlich kein gutes Vorbild, aber bezeichnend für die gegenwärtige Lage.
 
Schüler mit geringer Sozialkompetenz
Auch viele Schüler und Auszubildende scheinen wenig Sozialkompetenz mitbekommen zu haben. „Unsere Lehrlinge kommen mitten in der Pubertät zu uns, und sie haben sehr unterschiedliche Manieren. Bei einigen muss man damit anfangen, dass sie lernen, ,Guten Morgen’ zu sagen“, meinte ein Lehrlingsausbilder eines Pharmakonzerns. Um diese soziale Kompetenz zu verbessern, gehen die Ausbilder einen ungewöhnlichen Weg. Es wurde ein spezielles Feedback-Verfahren entwickelt, das alle 5 bis 6 Wochen die Fortschritte misst. Die Lehrlinge beantworten Fragen zu den Themen Lernverhalten, Arbeitsverhalten und Sozialverhalten. Es erfolgen eine Selbst- und eine Fremdbeurteilung. Dabei gibt es Noten fürs Verhalten. Die guten Manieren entscheiden letztendlich, ob jemand nach der Ausbildung angestellt wird oder nicht. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf nehmen die Auszubildenden das persönliche innere Wachstum ernst.
 
Die Verrohung der Sitten greift bereits in den Schulen immer mehr um sich, wie bedauernswerte Lehrer immer wieder versichern. Dabei ist von einem Ausmass die Rede, das Betroffenheit auslösen muss. Lichtblicke sind Schüler mit guten Manieren. Aber diese haben es verdammt schwer. Sie sind in den Augen der Unkultivierten Aussenseiter und werden als Weicheier, Schleimer und „A...-kriecher“ bezeichnet. Aber mir sind die Weicheier immer noch angenehmer als die undisziplinierten Schüler.
 
Dazu ein Vorfall, den mir ein Nachbar, der eine Hausmeisterstelle hat, erst kürzlich erzählte. Er beobachtete einen Schüler, wie dieser eine leere Getränke-Plastikflasche auf den Gehweg vor seinem Haus warf. Als der Hausmeister ihn darauf ansprach, bemerkte dieser: „Das geht Ihnen einen Schissdreck an. Sie haben mir nichts zu sagen.“
 
Ein anderes Beispiel: Am 19. 9.2006 sendete RTL ein Experiment. Da wurden 3 „Pöbelkinder“ (es waren Mädchen im Alter von 16 Jahren) in einen Benimmkurs geschickt. Die Jugendlichen lernten während einer Woche das richtige Essen (Umgang mit Besteck, Tischmanieren usw.), und es wurde ihnen gutes Benehmen beigebracht.
 
Vorher pöbelten sie herum, gingen, wenn sie keine Lust hatten, nicht zur Schule. Nach dem Kurs wurde es etwas besser. Aber dann verfielen sie wieder in den alten Trott. Die Eltern waren hilflos. „Ich bin 16 und kann machen, was ich will“, sagte die Rotzgöre frech zur Mutter. Diese behalf sich damit, dass sie die Tochter auf ihr Zimmer schickte.
 
Warum ist gutes Benehmen Mangelware?
Es stellt sich die Frage: Warum ist heutzutage gutes Benehmen eine Mangelware und das Verhalten zu Lehrern, Eltern und Mitschülern gestört?
 
Der Gründe sind viele, darunter die Verherrlichung von Gewalt in Filmen, die brutalen Computerspiele, die Abwendung vom Glauben, die Interesselosigkeit gegenüber ethischen Grundsätzen und die häufig geringe soziale Kompetenz der Eltern. Auf den Ethikunterricht in den Schulen angesprochen, meinte ein Lehrer, dieser falle des Öfteren aus und es gebe viele jüngere Lehrkräfte, die von dem, was sie vermitteln sollen, nur wenig Ahnung hätten. Meiner Ansicht nach sollten gerade ethische Grundsätze den Heranwachsenden schon früh nahegebracht werden. Aber auch so manche Eltern bräuchten eine Schulung, einen Nachhilfeunterricht.
 
Am 18.9.2006 schlug Bernhard Bueb, langjähriger Schulleiter an der Internatsschule Schloss Salem (jetzt pensioniert), im RTL-Mittagsmagazin „Punkt 12“ vor, man solle wieder eine strengere Erziehung einführen. Viele Eltern haben nämlich Skrupel, klare Regeln vorzugeben und Grenzen zu ziehen. Die Eltern „leiden gleichzeitig darunter, dass ihnen die Kinder auf der Nase herumtanzen“. Dies kann man in seinem Buch „Lob der Disziplin. Eine Streitschrift“ nachlesen. Er betonte, dass Disziplin eine zentrale Rolle bei der Kindererziehung spielen sollte. Sie ist in seinen Augen die Voraussetzung für Glück und Freiheit. „Nur wer früh gelernt hat, Verzicht zu üben, Autoritäten anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen, kann später sein Leben selbstbestimmend in die Hand nehmen“, so Bueb.
 
Kein Wunder, dass heute die „Super Nannys“ wie die Diplom-Pädagogin Katharina Saalfrank im Fernsehen Hochkonjunktur haben. Die Pädagogin kommt in die Wohnstuben und zeigt den überforderten Eltern, wie sie mit ihren Kindern fertig werden können. Zurzeit läuft bei RTL eine Doku-Soap mit 16 Folgen.
 
Es ermangelt dieser Zeit an inneren Werten. Dem materiellen Überfluss steht eine geistige Verarmung sondergleichen gegenüber, und damit auch ein Absacken in die Unkultur. Hier passen die Worte von Johann Peter Hebel (1760−1826), der in seinen „Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande“ anführt: „Einer wurde gefragt, wo er seine feinen und wohlgefälligen Sitten gelernt habe. Er antwortete: ,Bei lauter unhöflichen und groben Menschen. Ich habe immer das Gegenteil von demjenigen getan, was mir an ihnen nicht gefallen hat.`“
 
Es wäre eine Wohltat, wenn sich recht viele Menschen zu dieser Lebensmaxime entschliessen könnten. Man wäre dann fraglos auch mit sich selber zufriedener und glücklicher.
 
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