BLOG vom: 08.10.2006
Das „Wort zum Sonntag“: Mit der Schärfe des Schwerts
Autor: Walter Hess, Biberstein CH
Falls Sie eine Stadt erobern wollen, hier das passende Erfolgsrezept:
„Wenn du vor eine Stadt ziehst, um gegen sie zu kämpfen, so sollst du ihr zuerst den Frieden anbieten. Antwortet sie dir friedlich und tut dir ihre Tore auf, so soll das ganze Volk, das darin gefunden wird, dir fronpflichtig sein und dir dienen.“
Selbstverständlich ist das der eleganteste Weg. So lassen sich bei Eroberungsfeldzügen Verluste auf der Seite der eigenen Kampftruppen verhindern. Man erhält, was man will und kann die Stadt und das Stadtvolk nach Belieben ausbeuten. Aber es dürfte in den wenigsten Fällen so einfach sein; denn viele angegriffene Städte haben die Frechheit, sich zu verteidigen, sich gegen Diebe zu wehren. Dann tritt die Stufe 2 des Erfolgsrezepts in Aktion:
„Will sie (die Stadt) aber nicht Frieden machen mit dir, sondern mit dir Krieg führen, so belagere sie. Und wenn sie der Herr, dein Gott, dir in die Hand gibt, so sollst du alles, was männlich darin ist, mit der Schärfe des Schwerts erschlagen.“
Für die Frauen hat man schliesslich noch anderweitig Verwendung, wie dem beizufügen ist. Oder aber als Originalzitat: „Nur die Frauen, die Kinder und das Vieh und alles, was in der Stadt ist, und alle Beute sollst du unter dir austeilen und sollst essen von der Beute deiner Feinde, die dir der Herr, dein Gott, gegeben hat. So sollst du mit allen Städten tun, die sehr fern von dir liegen und nicht zu den Städten dieser Völker hier gehören.“
Hier sind also Welteroberungsabsichten inbegriffen, inklusive Gemetzel. Globalisierung eben. Heute sind die Schwerter durch wesentlich leistungsfähigere Streubomben ersetzt.
Religiöse Menschen haben sofort erkannt, dass ich da aus der Bibel, und zwar aus dem alttestamentarischen Buch „5. Mose“ (20. Kapitel, Verse 10 ff.), dem Deuteronomium, zitiert habe. Es geht darin um die ausdrückliche Ermächtigung zum Plündern und Morden an Israel durch den Bibelgott.
Radio DRS1 liess diese und weitere einschlägige Zitate am Sonntagmorgen, 1. Oktober 2006, als erbauliches „Wort zum Sonntag“ freundlicherweise durch Roswita Schilling vorlesen, als die letzten israelischen Soldaten gerade das in Schutt und Asche verwandelte Land Libanon verliessen. Ich bin zwar nicht sicher, ob es wörtlich so vorgelesen wurde, weil ich nicht weiss, welche Luther-Bibelfassung dem Radio zu Gevatter stand. Meine eigenen, hier wiedergegebenen Zitate derselben Stellen sind der „Thompson Studien-Bibel (Bibeltext nach der Übersetzung Martin Luthers)“, Fassung 1984, entnommen. Am Inhalt ändert das ja nichts; es kann sich höchstens um Nuancen handeln.
Im Moment wird nach der missglückten Feststellung von Papst Benedikt XVI. über die Gewalttätigkeit des Islam gerade häufig zum Thema „Islam und Gewalt“ diskutiert. Es ist verdienstvoll, dass das Radio DRS die Hörer in diesem Umfeld darauf aufmerksam gemacht hat, auf was für einem geistigen Fundament unsere jüdisch-christliche Kultur basiert. Juden und Christen sollten bitte einmal ihre Gedanken etwas neu ordnen und sich fragen, ob diese Bibel mit ihren hollywoodreifen Schlachtszenen und Grausamkeiten tatsächlich ein Fundament für ein ethisches Leben sein kann. Kann die Bibel überhaupt eine Grundlage für ein friedliches Zusammenleben (auch mit der Natur) sein?
Ich selber gehöre weder der einen noch der anderen Religion an; für mich bedeutete und bedeutet Religionsfreiheit seit je die Möglichkeit, von allen Religionen und den damit verbundenen ewigen Streitereien frei zu sein; ich bin im Alter von 18 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, auf Nimmerwiedersehen. Und mit zunehmendem Alter und den entsprechenden Erfahrungen habe ich immer mehr Gründe gefunden, die diesen Schritt rechtfertigen.
Die Sache mit dem Tierschutz und dem Baum-Umhauen
Als Publizist befasse ich mich seit Jahrzehnten unter anderem mit ökologischen Themen, und ich habe mich dabei gefragt, wie es denn überhaupt möglich sei, dass die abendländische Kultur solch ein feindschaftliches Verhältnis zur Natur habe. Die Antwort war leicht zu finden: Die Bibel bietet überhaupt keine Natur- bzw. Tierschutzgrundlagen, und alle Bibelreligionen, wozu auch der Islam gehört, haben auch hier schwere Defizite. Und wenn es in jenem Kulturraum dennoch Tierschutzbemühungen und Ansätze zu einer Umweltethik gibt, dann trotz und nicht etwa wegen der vorherrschenden Religion.
Auch Eugen Drewermann sieht das so. Im Publik-Forum vom 27. Januar 2006 hielt er fest: „Pazifismus, Vegetarismus und eine Relativierung der Rechte des Homo sapiens zu Gunsten der Überlebensinteressen der Tiere an unserer Seite waren nie ernsthafte Themen kirchlicher Verkündigung. In keinem dieser Punkte habe ich die katholische Kirche als wirklich offen für ein Gespräch erlebt.“ An der Frühjahrstagung der Gesellschaft für Gesundheitsberatung (GGB) in Lahnstein D (24. bis 26. März 2006) hielt der Theologe Drewermann in einem starken Vortrag fest, er habe keine einzige Bibelstelle gefunden, die etwas Tierschutz zu rechtfertigen vermöchte. Schlimmer noch: Der Mensch kann mit den Tieren tun und lassen, was ihm beliebt; laut Bibel sind sie ihm untertan (siehe Blog vom 27. März 2006).
Natürlich liefert das oben bereits teilweise zitierte 20. Kapitel von 5. Mose ab Absatz 19 auch wertvolle Ratschläge zum Umgang mit Bäumen (die ebenfalls am Radio vorgelesen worden sind, sozusagen als Sonntagsandacht):
„Wenn du vor einer Stadt längere Zeit liegen musst, gegen die du kämpfst, um sie zu erobern, so sollst du ihre Bäume nicht verderben und mit Äxten umhauen, denn du kannst davon essen; darum sollst du sie nicht fällen. Die Bäume auf dem Felde sind doch nicht Menschen, dass du sie belassen müsstest!
Die Bäume aber, von denen du weisst, dass man nicht davon isst, die darfst du verderben und fällen und ein Bollwerk daraus bauen gegen die Stadt, die mit dir Krieg führt, bis du sie besiegt hast!“
Soweit ein Beitrag zum biblischen Naturverständnis, das ausschliesslich menschliche Interessen berücksichtigt und grosszügig darüber hinwegsieht, dass die Vögel des Himmels doch auch gegessen haben müssen; sie leben nicht nur von dem, was die Menschen als ihre Nutzpflanzen bezeichnen. So können Vögel beispielsweise Tollkirschen unbeschadet verzehren. Aber die Bibelautoren waren eher Krieger und Mörder als Ökologen, wie man sofort merkt.
Die Sache mit dem Baum-Umhauen scheint allerdings selbst dort, wo man nach dem Alten Testament lebt, nicht immer ganz klar zu sein. So hat Israel im Rahmen der Zerstörung der Lebensgrundlagen der benachbarten Palästinenser Hunderttausende von Olivenbäumen niedergewalzt (obschon man davon essen kann), angeblich um den Palästinensern die Deckungen für hinterhältige Attentate zu zerstören (konsequenterweise müsste man das ganze feindliche Land einebnen). Das Eroberungsziel geht da offensichtlich dem Erhalten von Früchte tragenden Bäumen vor. Prioritäten müssen sein.
Schöner Sonntag!
Machen Sie sich, liebe Nutzerin und lieber Nutzer, einen schönen Sonntag, und lesen Sie wieder einmal in der Bibel, oder lassen Sie daraus vorlesen. Das ersetzt Grusel- und Horrorfilme.
PS: Sind Ihre Schwerter gut geschliffen?
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