Textatelier
BLOG vom: 25.10.2006

Spiritualismus und Fatalismus: Darf man Pflanzen essen?

Autor: Walter Hess, Biberstein CH
 
Die Weltanschauungen, die unser Verhalten bestimmen, sind grundverschieden: In unserem abendländischen Kulturraum ist der Materialismus üblich, das heisst die philosophische Lehre, die alles Wirkliche als Materie interpretiert oder von ihr ableitet. Er ist auch die Grundlage der Schulwissenschaftlichkeit, die im Grunde nur das Messbare, nicht aber das Erfahrbare als existent betrachtet.
 
In der chinesischen Tradition spielt die überall fliessende Energie die tragende Rolle: Alles ist Energie. Sind die Energieflüsse gestört (blockiert), empfinden wir das als Krankheit. Diese Auffassung (man darf ebenso gut von Erkenntnissen sprechen) findet durchaus ihre Bestätigung in der modernen Atomforschung und ebenso in der Quantenmechanik. Energie, Materie und Zeit werden spätestens seit Albert Einstein als verschiedene Dimensionen des Raumes verstanden, die beliebig ineinander überführbar sind. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass alles belebt ist, also auch Steine, wie ich im Wegwarte-Büchlein „Kiesel und andere edle Steine“ (ISBN 3-9522671-6-3) beschrieben habe, und andere „tote Materie“, sogar Metalle, Kunststoffe und Nanopartikel.
 
Noch einen Schritt weiter geht der Spiritualismus, also jene philosophische Richtung, die alles Wirkliche als geistig beziehungsweise als Erscheinungsform des Geists ansieht. Ein konsequenter Vertreter dieser Weltanschauung ist der in Basel lebende PD Dr. Jakob Bösch (64). Seine Folgerungen daraus sind unter anderem, dass es keine Zufälle, kein Richtig und Falsch, kein Gut und Böse und keine Opfer und somit keine Opferrolle gibt: Was uns begegnet, wird von uns benötigt und von unserer geistigen Führung zugelassen, und es kann also nur eine einzige Form von Heilung geben: die Selbstheilung.
 
Bösch arbeitet mit der ebenfalls in Basel lebenden Heilerin Anouk Claes, einer Belgierin, zusammen, die seine Auffassungen teilt und durch ihre Hellsichtigkeit einen vertieften Zugang zur geistigen Welt hat („Seit meine Mutter gestorben ist, habe ich häufiger mit ihr gesprochen als zu ihren Lebzeiten“). Die beiden hatten einen gemeinsamen Auftritt an den 13. Schweizerischen Gesundheitstagen 2006 (GHT) am Abend des 20. Oktober 2006 in der Rythalle in Solothurn; der Grossanlass stand unter der Obhut der EGK-Gesundheitskasse und wurde von der GfM (Gesellschaft für Marketingberatung) AG organisiert. Diese Krankenkasse besonderer Art sieht auch in einer breit gefächerten Information der Bevölkerung eine ihrer wichtigen Aufgaben, in einer Wissensvermittlung ohne Indoktrinationsabsichten. Rund 1000 Personen fanden im Alten Zeughaus Platz, weitere rund 300 Personen mussten abgewiesen werden. Das Thema ist also, wie man sieht, von ausserordentlich grossem Publikumsinteresse.
 
Ich möchte an dieser Stelle nur auf einen einzigen, marginal behandelten Aspekt eingehen, um zu zeigen, wie sehr sich unterschiedliche Weltanschauungen auf das persönliche Verhalten auswirken können. Auf die Frage einer Zuhörerin an Anouk Claes (sprich: Claas), ob sie denn Fleisch esse oder Vegetarierin sei, antwortete diese sinngemäss, sie esse durchaus Fleisch. Denn wie Tiere seien auch Pflanzen mit Sinnen ausgestattete Lebewesen. Und so habe sie sich damit abgefunden, töten zu müssen, um selber überleben zu können. Sie lasse gewissermassen ihren Körper über die Nahrungsauswahl entscheiden, wähle aus, was ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt als zuträglich erscheine.
 
Die Vegetarier entgegnen solchen Argumenten in der Regel mit dem Hinweis, dass über den Umweg Fleischproduktion weit mehr Pflanzen umgebracht werden müssen als wenn man sie direkt isst, auch wenn nicht alles Fleisch aus der Nutztierproduktion stammt, und dass Pflanzen kein vegetatives Nervensystem hätten. In den Mastställen sind die Zustände oft so, dass man förmlich zum Vegetarismus getrieben wird. Mit fadenscheinigen Vogelgrippe-Argumenten wird in der Schweiz gerade wieder einem Teil des haltungsmässig bevorzugten Freiland-Geflügels der Auslauf verwehrt. Und so möchte ich denn keineswegs den Vegetarismus heruntermachen, zumal ich aus zahlreichen Begegnungen weiss, dass sich viele ethisch hochstehende Menschen für diese Lebensform entschieden haben und erwiesenermassen gesünder sind als jene, die der Fleischübermast frönen, eine willkommene Begleiterscheinung.
 
Ich wollte bloss aufzeigen, zu welch verzwickten Konstellationen eine nach unseren Möglichkeiten eingehende Erforschung unserer Stellung im kaum bekannten Universum führt. Es sind viele Unbekannte da, die tatsächlich keine Aufteilung in Richtig und Falsch ermöglichen, genau im Sinne von Jakob Bösch. Er löst das Problem unausgesprochen mit einer gewissen Hingabe an den Fatalismus im Sinne einer Ergebenheit an die als unabänderlich hingenommene Macht des Schicksals. Doch darf das nicht zur Gleichgültigkeit führen.
 
Dabei steht Bösch (ebenfalls unausgesprochen) meines Erachtens dem Buddhismus näher als dem Christentum, obzwar er dieses sehr markant in seine Ausführungen einbezieht: Im Buddhismus wird nicht in manichäischer Weise in Gut und Böse unterteilt – ganz im Gegensatz zum stets kampfbereiten Christentum mit seinem Himmel-Hölle-, Gott-Teufel- oder Christen-Heiden-Dualismus, seinen Schwertern und seinen Drohungen, seiner Angstmacherei. Der religiöse, rücksichtslose Weltkrieger George W. Bush huldigt bei seinen Kreuzzügen, die einen offensichtlichen materialistischen, monetären Hintergrund haben, gegen die Achse des Bösen ebenfalls diesem auf Schwarz und Weiss reduzierten, kleinkindgerechten Weltbild. Und dagegen kann selbst die ehemals berühmte demokratische Verfassung der USA nichts mehr ausrichten. Die bananenrepublikanische Korruption nimmt überhand. Aus spiritueller Betrachtungsweise ist das nicht zu werten, verhelfen solche Zustände doch zu neuen Einsichten.
 
Meines Erachtens sind alle Bemühungen, geistige Beschränkungen, die sich aus einer beengten Wahrnehmung ergeben, zu durchbrechen und zu überwinden, begrüssenswert. Davon können Lebensräume, Pflanzen, Tiere und Menschen in dem Sinne profitieren, dass sich andere Zustände ergeben. Ich habe das Adjektiv „besser“ bewusst vermieden, um selber nicht aus einer eingeschränkten Optik heraus zu urteilen und um eine gewisse Lernbereitschaft und -fähigkeit zu markieren.
 
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