Textatelier
BLOG vom: 12.11.2006

Nostalgisches am Weg: Kartoffeldämpfer, Dampflokomotiven

 
Autor: Heinz Scholz, Schopfheim D
 
Am 2. November 2006 unternahm ich mit einem Wanderfreund eine Wanderung ins Markgräflerland. Ausgangspunkt war die Wittlinger Höhe, nahe von Lörrach. Wir wanderten Richtung Egerten, Egisholz, Hammerstein und Holzen. Der Rückweg führte uns von Holzen nach Maugenhard. Dann überquerten wir die Bahnlinie der  Kandertalbahn und erreichten nach Frequentierung von Wollbach wieder unseren Ausgangspunkt.
 
Es war an jenem Tag gehörig kalt. Auf den schattigen Wiesen bildete sich schon am frühen Morgen Raureif. Als wir so gegen 10.30 Uhr loswanderten, hatten wir eine Temperatur von 4 °C. Nachdem vorher noch Temperaturen um 25 °C gemessen worden waren, empfand ich diesen Temperatursturz als besonders gravierend. Aber nach den ersten forschen Wanderschritten durch einen Wald wurde es mir bald wohlig warm. Als wir den Wald verliessen, tat sich vor uns eine paradiesische Landschaft auf. Wir erblickten die sonnigen grünen Hügel des Markgräflerlands, und in der Ferne begrüssten uns die Berge der Vogesen und des Schweizer Juras. In Egerten konnten wir sogar einen Blick auf Basel erhaschen (es gibt dort die Strasse „Baselblick“).
 
Von einigen Besonderheiten auf dieser Wanderung möchte ich hier berichten.
 
Das Storchendorf Holzen
Holzen gehört seit 1974 zur Stadt Kandern. Dieser Teilort hat sich einen Namen als Storchendorf gemacht. Seit 1979 ist hier ein Storchengehege, in dem jetzt 30 Störche ihre Heimat gefunden haben. Man erblickt in diesem Dorf Storchennester auf dem Kirchturm (dort sind sogar 2 Nester) und auf anderen hohen Gebäuden. In den umliegenden Orten wie in Tannenkirch, Mappach, Efringen-Kirchen und Märkt sind sogar besetzte Nester auf Kirchtürmen.
 
Eine besondere Attraktion ist die tägliche Fütterung der Störche im Gehege (im Sommer um 17.00 Uhr, im Winter um 16.00 Uhr). Ein Erlebnis der besonderen Art sind die Jungstörche, die im Mai und Juni schlüpfen und dann die ersten Flugversuche unternehmen (www.holzen-online.net).
 
In Holzen kehrten wir in einem typischen Landgasthaus, dem Pflug, ein. Das Gasthaus wird von der Familie Petrusch geführt. Hier wird noch nach alter Tradition gekocht. Und das schmeckt man auch! Wir verzehrten vorzüglich schmeckende Güggeli mit Bauernbrot. Dazu tranken wir Rotweinschorle.
 
Die Besitzer haben sich etwas Originelles einfallen lassen. Am Freitag, dem Waie-Tag, gibt es Rahmwaie, Käswaie, Speckwaie, Flammewaie und Zwiebelwaie, und am Samstag kommt Schäufele im Brotteig mit Kartoffelsalat und grünem Salat auf den Tisch (www.pflug-holzen.de).
 
Alter Kartoffeldämpfer
Als wir in Egerten „einmarschierten“, erweckten ein alter verrosteter Kartoffeldämpfer und weitere alte landwirtschaftliche Geräte auf dem Gelände des Kreiterhofes (www.kreiterhof.de) meine Neugier. Dabei fiel mir eine Geschichte ein, die in der Zeitschrift Der Sonntag  (9.1.2000) publiziert wurde und die ich in meine Anekdotensammlung eingefügt hatte. Hier ist sie:
 
In den Wintern der Jahre 1941 und 1942 zog Karl Jurth aus Hauingen (bei Lörrach) mit seiner Dampfmaschine über die Dörfer des kleinen Wiesentals bis Bürchau, und später kam er auch nach Gersbach (heute Ortsteil von Schopfheim). Er dämpfte die Kartoffeln, die in der Schweinemast eingesetzt wurden. Nach einer Anlernzeit von nur 2 Tagen wurde Jurth losgeschickt, um Kartoffeln in einem grossen Kessel, der 5 Zentner fasste, zu dämpfen. Karl Jurth: „Die Bauern kamen, schauten mich von oben bis unten an und meinten dann: ,Wenn Du es so machst wie Dein Vorgänger, dann kriegst Du Streich.’“ Er bekam jedoch keine Prügel. Vielleicht haute der Ehemalige seine Kunden übers Ohr oder er dämpfte die Kartoffeln nicht richtig.
 
Die Dämpfer kann man hier und da bei Brauchtumsfesten bzw. Erntedankfesten in Aktion bewundern. Das Gerät besteht in der Regel aus einem beheizbaren Dampferzeuger. Zunächst wird der Kessel an die Wasserleitung angeschlossen, und dann wird kräftig eingeheizt. Der Dampf wird dann über einen Schlauch in die mit Kartoffeln befüllten Grosstöpfe geleitet. Über ein Ventil an den Töpfen kann der Dampf entweichen. Wenn es zu zischen beginnt – Ähnliches beobachtet man ja auch beim häuslichen Dampfkochtopf –, dann weiss der Dämpfer, dass die „Herdäpfel“ gar sind. Er schliesst den Dampfschlauch an einen anderen Topf an und wartet, bis der Inhalt gegart ist. Das Gerät auf dem Kreiterhof aus dem Jahr 1962 ist übrigens mit 4 grossen Töpfen bestückt und jetzt nicht mehr voll funktionsfähig. Er wird dann bei nostalgischen Traktorentreffen immer wieder als Attraktion gezeigt, wie mir Armin Kreiter am Telefon erzählte.
 
Die Dämpfer hatten früher Hochkonjunktur. Es waren Zeiten, da Schweine vorzugsweise mit Kartoffeln gemästet wurden. Die gedämpften Kartoffeln wurden fest im Silokessel gestampft. Die Schweine hatten dann über den ganzen Winter Kartoffeln auf ihrer „Speisekarte“.
 
Karlheinz Fechtig, Vorsitzender der Trachtenkapelle Berau (Ühlingen-Berau), erinnerte sich noch gut an den Dämpfer aus seiner Kindheit. Wenn der Kartoffeldämpfer durchs Dorf gezogen wurde, war dies eine Sensation. Die Kinder warteten dann geduldig, bis die Kartoffeln gar waren. Sie gingen nicht eher nach Hause, bis sie eine Dampfkartoffel bekommen hatten. Das war ein Festschmaus (www.uehlingen-birkendorf.de).
 
Bei Brauchtumsfesten in unserer Zeit können die Besucher Dampfkartoffeln mit Butter essen. Viele beurteilen diese Speise als Köstlichkeit. Den meisten sind nämlich solche einfachen Gerichte in Zeiten von Fast-Food und einem Überangebot an Nahrungsmitteln fremd geworden. Wir essen ab und zu mit Begeisterung Pellkartoffeln (Gschwellti) mit Butter oder Kräuterquark. Ich finde es gut, wenn solche einfachen, schmackhaften und leicht verdaulichen Speisen auch in einigen Gasthäusern und Vesperstuben (z.B. im Bruckrainhof  in Rümmingen bei Lörrach) angeboten werden. Wir müssen nicht immer unseren Bauch mit Speck, BratwürsteN oder WurstsalateN voll schlagen.
 
Arbeiten mit Händen in den Taschen
In der Nähe des Kreiterhofs waren gerade 3 Männer und eine Frau dabei, Kartoffeln zu sortieren. In eine Rüttelmaschine wurden die Erdäpfel geschüttet. Die Maschine befreite die Kartoffeln von Erde, und die angeschlagenen wurden dabei von Hand aussortiert. Die guten Kartoffeln wurden dann in Säcken aufgefangen. Wegen der Kälte hatten wir unsere Hände tief in den Taschen vergraben. Als uns ein Sortierer sah, meinte dieser spitzbübisch grinsend: „Das sind mir die richtigen Arbeiter mit Händen in den Taschen.“ Ich musste dem Burschen Recht geben, denn mit den Händen in den Taschen kann man wirklich nicht gut arbeiten.
 
Das merkten auch die Bauern, die deutsche Erntehelfer (Sozialempfänger) für die Spargelernte anheuern wollten. Es kamen nur wenige, und die auftauchten, erschienen teilweise auch mit den Händen in den Taschen oder hatten die Hände auf dem Rücken verschränkt. Sie begutachteten das Feld und verschwanden nach einem Tag der Arbeit mit Rückenschmerzen. Der Bauer hatte das Nachsehen. Mit den polnischen oder rumänischen Erntehelfern hatten sie bisher keine Probleme. Bei geringem Lohn zeigten sie sich sehr arbeitswillig.
 
Mit dem „Chanderli“ unterwegs
Die erwähnte Kandertalbahn ist eine erhalten gebliebene klassische Regelspur-Nebenbahn im südlichen Schwarzwald. Die Waggons werden von den Dampflokomotiven „Chanderli“ (Baureihe T3) oder „Tigerli“ von Weil-Haltingen durch das liebliche Kandertal bis zur Töpferstadt Kandern gezogen (www.kandertalbahn.de). Es ist eine Museumsbahn. Vor 2 Jahren unternahmen wir im Sommer einen Familienausflug mit dieser Bahn. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Schnaubend und prustend bewältigte die altersschwache Lok die 13 km lange Strecke. Die Räder und auch die klapprigen Waggons quietschten bei jeder Kurvenfahrt. An jedem unbeschrankten Bahnübergang wurde kräftig das Signalhorn betätigt. Es war ein Höllenspektakel und eine Rüttelei sondergleichen. Wir liessen uns bei geöffnetem Fenster den Fahrtwind, der mit Russpartikeln und Rauch geschwängert war, um die Ohren wehen. Aber das tat unserer Freude keinen Abbruch. Unsere Kleider rochen dann noch tagelang nach Rauch, und das stampfende Geräusch der Lokomotive und das Quietschen der Räder verfolgte uns noch während der Heimfahrt.
 
All dies kam mir bei der Überquerung der Bahngleise bei Wollbach in den Sinn. In Gedanken hörte ich die Lokomotive schnauben, die Räder quietschen und den ohrenbetäubenden Pfeifton. Es waren nur Gedanken und nicht die Wirklichkeit. Die Lokomotive und die Waggons befinden sich nämlich schon im Depot in Kandern und bleiben dort bis Anfang April des nächsten Jahres 2007. Dann beginnt wieder die neue Saison.
 
Noch etwas fiel mir ein: Im Jahre 2003, als die grosse Hitze über das Land kam, musste die Kandertalbahn den Betrieb wegen der Schienenverbiegung kurzfristig einstellen.
 
Über die Entdeckung eines Topinamburfelds auf der Wanderung und insbesondere über diese bemerkenswerte Pflanzen werde ich in einem weiteren Blog berichten.
 
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