BLOG vom: 08.12.2006
Der Riesenhäcksler, der den Büscheli-Mann vertrieben hat
Autor: Walter Hess, Biberstein CH
Die Bäume und Sträucher sind während der vergangenen Vegetationsperiode wieder kräftig gewachsen, wie es sich gehört. Sie spenden Sauerstoff und Schatten, und manchmal verhindern sie den Lichtzutritt auch dort, wo man es sich wünscht, zum Beispiel im Gemüse- und Kräutergarten.
Wenn wir in unseren Breitengraden alles wachsen liessen, wäre bald einmal überall Wald. Doch sind wir keine Waldmenschen mehr, wir wollen Licht und Aussicht und wirtschaften wie die Wilden drauflos. So erging es auch einem unserer Nachbarn, dessen Wäldchen auf der abfallenden Südseite vor seinem Haus das Mass des Tolerierbaren überschritten hatte. Er fragte mich, ob er meinen Vorplatz zum Stapeln der abgeschnittenen Stauden und anschliessend für den Betrieb eines Häckslers benützen dürfe. Ich willigte ein und fügte einige abgestorbene Äste aus dem eigenen Garten dem wachsenden Asthaufen zu. Und dann kam, von einem riesigen Traktor gezogen, ein Häcksler-Ungetüm angefahren und dahinter ein Ladewagen. Der zupackende einheimische Landwirt Markus Nadler und ein muskulöser Helfer, der sich als Kurt vorstellte, schnitten mit ihren Motorsägen dicke Fichtenstämme durch, und ich bat sie, auch meinen 30-jährigen Ahornbaum zu fällen, der mitten aus der Kräuterspirale herauswuchs und die lichtbedürftigen Küchen- und Teekräuter in ihrer Entfaltung seit Jahren behinderte, aber durch sein schönes Laub im Herbst alle Behinderungen wieder wettmachte. Es musste aber dennoch sein. Ich entschuldigte mich bei dem schönen und gesunden Baum. Er zeigte Verständnis.
Nach 2 Schrägschnitten knapp über dem Kräuterspiralen-Oberteil und einem Einschnitt auf der entgegengesetzten Seite fiel der Baum in die gewünschte Richtung. Markus schnitt die Äste mit der Motorsäge ab und zerkleinerte den Stamm in gleichmässige, etwa 1 m lange Stücke. Er warf den Traktormotor und den Häcksler per Knopfdruck an. In dessen Einschuböffnung mit den beidseitigen Leitplanken aus Eisen und einem Vorhang aus Plastikstreifen konnten beliebig dicke Äste geschoben werden. 2 gegenläufige Riffelwalzen zogen auch die dicksten und längsten Äste gierig ein, und durch einen abgerundeten Auswurfkanal flogen die zerkleinerten Holzstücke in kühnem Bogen in den Ladewagen. In wenigen Minuten waren die Bäume in Häckselgut verwandelt, das wiederum zu Erde (Humus) und damit zu einer Lebensgrundlage für neue Bäume und kleinere Pflanzen werden würde. Es war für mich die reinste Aromatherapie; vor allem die zerkleinerten Fichtenäste dufteten zart harzig; ich rieche Harzdüfte ohnehin gern: unverfälschte Naturparfüms.
Früher gabs noch keine Häcksler. Aus den gefällten Bäumen, aus Stamm und Ästen, machte man Büscheli (Böscheli, Büreli, Bürdeli, Wädele, Wäue) oder Reiswellen, ein Ausdruck, den der neue „Duden“ nicht mehr kennt. Und die erwähnten Ausdrücke in der Schweizer Mundart verlieren sich mehr und mehr. Dafür hat uns die Moderne den Begriff Häcksler und das Verb häckseln geschenkt.
Zur Erleichterung der Reiswellen-Herstellung gab es damals den Büschelibock, den man zuerst mit den grösseren Spälten (gespaltene Stammteile) belegte, diese wie eine Omelette mit dünnerem Astmaterial (Reisig) überhäufte, und am Schluss wurde alles mit Hilfe eines Spanners bei Ausnützung der Hebelwirkung zusammengerollt und mit Draht zusammengebunden. In trockenem Zustand war das dann ein wertvolles Brenn- bzw. Heizmaterial; die Ofenlöcher waren noch gross genug (heute füttert man Öfen mit Holz in Pillenform, mit Pellets). Und das war auch eine gute Winterarbeit. Fritz Wasser, der unseren Häckselplatz kurz besuchte, erinnerte sich, einmal gelesen zu haben, dass vor etwa 200 Jahren 5 Rappen pro Holzbündel bezahlt worden sei; denn es gab Männer, die sich im Fremdauftrag dieser Art der Holzverwertung annahmen und den Gertel (ein schweres Hackmesser) mit Kraft und Geschick zu schwingen verstanden.
Inzwischen gibt es Hochleistungshäcksler, die bis zu 70 cm dicke Baumstämme im Eiltempo zu Hackschnitzelgut umwandeln, die man z. B. zum Abdecken der Gartenböden verwenden kann. In Biberstein AG stellt die Gemeindebehörde das Häckselgut der Bevölkerung jeweils gratis zur Verfügung. Man kann sich frei bedienen, das Material mitnehmen und rund ums eigene Haus ausbreiten und die Humusbildung dadurch beflügeln.
Ja, das Zerkleinern von Bäumen und Sträuchern ist einfach geworden, ein Beitrag zur Arbeitslosigkeit. Es gibt für jeden Zweck Maschinen, die uns schwere (und auch leichte) Arbeiten abnehmen. Und ich muss zugeben, dass ich von dieser Häckslerleistung schon beeindruckt war, besonders als Markus Nadler einen wohl 50 cm verzworrenen Wurzelstock einer Haselnussstaude in den gefrässigen Häckslermund warf. Einen Moment schienen die Walzen schockiert anzuhalten; doch fassten sie sich in der nächsten Sekunde gleich wieder, um mit umso grösserer Kraft über den unförmigen Holzklotz-Kraken herzufallen und ihn in Kleinstholz zu verarbeiten. Und der Häcksler störte sich auch daran nicht, dass noch während dieses Prozesses ein dicker Ast mit der Breitseite nach vorn nachgeschoben wurde. So schnell wie der Häcksler arbeitet, kann man gar nicht nachschieben.
Die Moral der Geschichte. Häcksler haben keine Moral. Sie tun ihre Arbeit mit Getöse, und sie tun ihre Arbeit gut. Sie brauchen Energie, aber der relativ langsame Büscheli-Mann von früher brauchte solche ebenfalls, wenn auch in anderer Form. Er trank keinen Diesel-Treibstoff. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, sind zu Maschinisten geworden, auch wir Schreiber.
Geniessen wir das Unabänderliche! Wir produzieren statt Reiswellen jetzt mehr Freizeit und deshalb eben Reisewellen.
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