Textatelier
BLOG vom: 24.01.2007

Den Kindern schmerzt das Ohr, wenn sie giftige Töne hören

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
 
Es hiess, der mysteriöse Pfeifton würde nur von Kindern wahrgenommen. Er schmerze in ihren Ohren. Die Foto zum entsprechenden Bericht aus dem Tages-Anzeiger vom 30.12.2006 zeigt einen Knaben, der sich die Ohren zuhält. Er steht an der Kreuzung Uraniastrasse/Seidengasse in Zürich. Auch im Hauptbahnhof, im Durchgang von der Halle her gegen das Alfred-Escher-Denkmal hin, seien diese schrillen Töne zu hören. Aber nur von Kindern. Recherchen ergaben, dass sie von elektronischen Geräten zur Taubenabwehr ausgesendet werden.
 
Anders als Primo nahm ich die Mitteilung einfach hin, dass Erwachsene diese Pfeiftöne nicht mehr wahrnehmen könnten. Ich weiss, dass mein Gehör schon etwas abgewetzt ist. Er aber wollte bei Gelegenheit den besprochenen Ort finden und dort prüfen, wie es um seine Ton-Wahrnehmung steht. Gut. Sehr gut. Auch ich konnte das beschriebene Signal hören und den Rhythmus der Intervalle, übereinstimmend mit ihm, ausmachen. Das freute mich. Auch wenn uns der Ton nicht weh tat, konnten wir ihn doch hören.
 
Das brauchte aber seine Zeit. Wir mussten die Lärmquellen analysieren. Es war, wie wenn wir einzelne Instrumente aus einem Zusammenklang isolieren wollten. Wir erschraken über die Lärmfülle, über ihr Gemisch, dem wir täglich ausgesetzt sind und gelernt haben, es zu ignorieren. Da ist es verständlich, dass sich das Gehör im Alter erschöpft.
 
Das beweist mir auch die 90-jährige Celeste, die mir einen neuen Wecker zeigte und nicht wusste, ob er funktioniere. Sie drehte den Zeiger, bis es läutete. Sehr laut, wie ein Wecker schellt, wenn er einen aus dem Schlaf holen muss. Sie reagierte lange nicht, nahm ihn dann sicherheitshalber ans Ohr, um herauszufinden, ob er läute. Dann sagte sie: „Er funktioniert.“ Dass sie schwerhörig geworden ist, ist mir nicht entgangen. Aber, neben ihr stehend zu erleben, was schwerhörig wirklich heisst, erschütterte mich schon.
 
Den Ton am Fernsehgerät darf sie nicht mehr einschalten. Die vielen Reklamationen verhindern es. Die Lautstärke, die sie brauchen würde, wäre eine Zumutung an die Nachbarn im Heim. Sie gibt aber nicht auf. Sie verfolgt die Fortsetzungs-Serien mit grösstem Interesse und reimt sich die Geschichte selber zusammen. Sie brauche den Ton nicht, sagte sie mir. Sie könne sich die Geschichten selber ausdenken. Das sei spannend. Sie ahne vieles voraus. Gerade heute müsse eine Entscheidung fallen. Da sie immer noch gerne Familien- und Liebesgeschichten liest und ein Flair für Intrigen hat, bewegt das ihre Fantasie und füllt die vorbeiziehenden Bilder mit Leben.
 
Und die Tauben im Hauptbahnhof? Auch sie haben etwas begriffen. Mindestens 2 von ihnen wissen bereits, dass die giftigen Töne nicht lebensbedrohend sind. Ich sah sie friedlich auf einem Gewölbeabsatz im Umfeld der Pfeiftonanlage sitzen. Oder ist ihr Gehör auch schon so geschädigt, dass alles, was wehtun könnte, an ihnen abprallt?
 
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