Textatelier
BLOG vom: 14.02.2007

Huldigung an den Freidenker Victor Hugo (1802–1885)

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Bei uns mag Victor Hugo wohl am besten als Autor von „Les Misérables“ und „Notre-Dame de Paris“ bekannt sein. Er hat auch ein überaus reiches poetisches Œuvre hinterlassen, war ein erfolgreicher Dramaturg, trat als Politiker und Menschenrechtler hervor, prangerte die Kirche heftig an und bezeichnete sich als Freidenker. Als Gegner der Todesstrafe schrieb er 1829 seinen Roman „Le Dernier Jour d’un condamné“ (Der letzte Tag eines Verurteilten), der viele Schriftsteller von Charles Dickens, Fjodor Dostojewski bis Albert Camus nachhaltig beeinflusste.
 
Als Napoléon III. an die Macht kam, ging Victor Hugo ins Exil, zuerst nach Brüssel, dann auf die Inseln Jersey und Guernsey im Ärmelkanal. Erst als Napoléon III. von der 3. Republik abgelöst wurde, kehrte er in seine Heimat zurück. Am Rande vermerkt, war er auch ein ausgezeichneter Zeichner. Kurzum: Er war ein Universalgenie, wie es sie in unserer Zeit kaum mehr gibt. Als Künstler gehörte er der Romantischen Bewegung an und erkannte in Chateaubriand sein Leitbild. Victor Hugo kann auch als Nachfolger von Voltaire gelten, ein anderer Freigeist von universaler Bedeutung.
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Ich möchte einige Stellen aus 2 seiner Werke hier auswählen. Das 1. heisst „Post-Scriptum de ma vie“ (Nachsatz zu meinem Leben) und ist ein Sammelsurium seiner Gedanken, unter diesem Titel von Henri Guillemin präsentiert und 1961 vom Verlag „Ides et Calendes, Neuchâtel“ veröffentlicht. Diese nummerierte Ausgabe kann teilweise als Original gelten, da viele unveröffentlichte Gedankensplitter aus Victor Hugos Nachlass eingeflossen sind. Ich verdeutschte diese Auszüge, die mich noch immer ansprechen und die ich vor Jahren angekreuzt habe, so gut ich kann:
 
„Gestern wurde ich bei der Volkszählung befragt, ob ich ein Katholik sei. Ich antwortete: ‚Nein, Freidenker.’“
 
„An Dinge glauben, die Umrisse haben, ist sehr angenehm (doux). Ich glaube an Dinge, die keine Umrisse haben; das ermüdet mich.“
 
„Weder Dilettant noch Virtuose.“
 
„Ich bin ein Instrument, kein Ornament.“
 
„Die Rhythmen sind in mir Strophen der Flügelschläge meines Denkens.“
 
„Gott zeigt das Glück, doch gibt es nicht.“
 
„Ich liebe alle Leute, die denken, selbst jene, die anders denken als ich.“
 
„So wie man seinen Traum macht, macht man sein Leben.“
 
„Das Genie ist vor allem eine gute Absicht.“
 
„Die Melancholie ist das Glück, traurig zu sein.“
 
„Die Wahl des Poeten ist so wenig freigestellt wie die Früchte an einem Baum.“
 
„Das politische Leben und das literarische Leben sind 2 Seiten der gleichen Sache, die das öffentliche Leben ausmachen. Die einen tauchen mit der Tat im politischen Leben auf, die anderen mit der Idee. Letztere werden Träumer, Poeten und Philosophen genannt. Die ersten sind die Staatsmänner (les hommes d’État). Zum Lob der Ideen muss gesagt sein, dass Ideen immer Taten sind, indessen Taten selten Ideen sind. Man dringt folglich tiefer mit dem literarischen Leben in die Seele der Völker und in die innere Geschichte der menschlichen Gesellschaft ein als mit dem politischen Leben.“
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Das 2. Werk wurde mir aus der reichhaltigen Bibliothek von Lilys Grossvater, Hassan Pirnia (Teheran) geschenkt, nämlich der in rotem Leder gebundene Band 37 „Chansons des Rues et des Bois“ (Lieder der Strasse und der Wälder), 1866 von Lacroix , Verboeckhofen, dem von Victor Hugo bevorzugten Verleger, in Brüssel veröffentlicht.
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Doch ehe ich ganz kurz nur in Victor Hugos Poesie einbiege, macht mich Lily auf 2 Leserzuschriften politischer Art aufmerksam, im „Sunday Times“ vom 11. Februar 2007 erschienen, die mit ihrer Überzeugung – und auch meiner – übereinstimmen. Unter dem Titel „Empathie“ (Einfühlungsvermögen) schrieb Michael Jabir:
 
„Wenn ein amerikanischer Katholik Empathie für einen Katholiken in Belfast empfindet, oder wenn ein britischer Jude – über eine UK-Hilfsorganisation – Geld an eine israelitische Organisation spendet, warum soll denn ein britischer Muslim nicht Empathie gegenüber einem Palästinenser oder Tschetschenen empfinden dürfen, ohne als ein ‚Sprachrohr der Terroristen’ beschimpft zu werden?“
 
Desmond Campbell schrieb in der gleichen Rubrik:
 
„Ich schäme mich, was wir getan haben. Ich verstehe den intellektuellen Kurzschluss nicht, der Leute zubilligt, Iran für sein Nuklearprogramm zu kritisieren, wohlwissend, dass wir Billionen aufwenden, um unser Trident Nuklear-Arsenal zu aktualisieren.“
 
Ich bin sicher, dass Victor Hugo ebenfalls einige seiner Wortgeschosse gegen solchen Unfug abgefeuert hätte.
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Doch schön, dass sich Victor Hugo in seiner Poesie so kraftvoll ausdrückt, wie im 1.Vers seines Gedichts „Genio Libri“ aus diesem Band zitiert: 
O toi qui dans mon âme vibres,
O mon cher esprit familier,
Les espaces sont clairs et libres ;
J’y consens, défais ton collier.
 
(O du, der in meiner bebenden Seele,
O du, mein lieber vertrauter Geist,
Die Räume sind licht und frei;
Ich bin einverstanden, löse deine Halskette.) 
Wie gern ich noch viele andere Verse eingefügt hätte! Aber in diesem Blog wollte ich vornehmlich dem Freidenker Victor Hugo huldigen.
 
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