Textatelier
BLOG vom: 09.03.2007

Entriegelung des Städtchens Olomouc in Tschechien

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Heute habe ich ein Blog nötig, sage ich mir, und beginne:
 
Am 20. Februar 2007 flog ich mit dem 1. Flug ab London zur Geschäftsreise nach Prag, da ich mir vorgenommen hatte, etwas Freizeit zu kapern. Um die Mittagszeit sass ich im Bus vom Flughafen in die Stadt Prag, wechselte auf die U-Bahn über und fragte mich bis zum Hotel durch. Das ist nicht so einfach, denn die Tschechen sprechen meistens weder Englisch noch Deutsch, von Französisch ganz zu schweigen. Um 2 Uhr nachmittags sass ich beim Imbiss gegenüber der astronomischen Turmuhr beim Altstädter Rathaus. Es war warm und sonnig zu einer Zeit, wenn in Tschechien Temperaturen unter Null vorherrschen sollten. Anschliessend klopfte ich wieder einmal einige der mir bekannten Prager Sehenswürdigkeiten ab, worunter die Karlsbrücke, worüber ich mich hier nicht auslassen will.
 
Insgeheim freute ich mich sehr auf meinen Besuch von Olomouc, ganz unverhofft zum 2. Mal seit 2002. Diesmal ging es nicht um vorverpackte Salate, sondern um Müsli Bars oder Riegel. Also los: entriegele ich Olomouc.
 
Nach langer Bahnfahrt ab dem Prager Hauptbahnhof erreichte ich abends dieses Städtchen, stellte mein Gepäck im Hotel gegenüber ab, löste ein Trambillett und war im Nu in der Stadtmitte. Ich schnupperte. Ein toller Knoblauchduft aus einer Restaurantküche unterbrach meinen 1. Streifzug. Ich verliess das Restaurant mit einer Knoblauchfahne.
 
Bei Nieselregen verliess ich anderntags das Bahnhofhotel. Die alte Wackelbahn nach Usov gab es nicht mehr. So musste ich den Besuchsort, 35 km von Olomouc entfernt, mit dem Taxi erreichen. Dies ist der landwirtschaftliche Teil von Tschechien, in der einstigen mährischen Marktgrafschaft. Meine Absicht sollte sich erfüllen: Ich wurde dort eine gute Stunde vor meiner Besuchszeit empfangen. Zum Glück hatte der Geschäftsführer gleich 2 Übersetzerinnen herbeigerufen, eine sprach deutsch, die andere englisch. So kam ich flott voran. Nach 2 Stunden war das Gespräch beendet, und ich wurde vom Chauffeur des Riegel-Herstellers nach Olomouc zurückgefahren, reichlich befrachtet mit einer Riegel-Musterkollektion. Inzwischen schien wieder die Sonne.
 
So gehörte der ganze Nachmittag mir allein. Die Fassaden der herrschaftlichen Gebäude prangten im neuen, zumeist ockerfarbigen Verputz. Im Gegensatz zu Prag waren keine Touristen in Sichtweite, was mir recht war. Olmütz hiess einst diese historisch gesegnete Hauptstadt von Mähren (heute Moravia). Mit etwas Glück trifft man ab und zu eine ältere Person, die noch einige Brocken Deutsch spricht. Der Fluss March durchschlängelt das Städtchen. Olomouc entstand aus dem Schwemmland dieses Flusses im 7. Jahrhundert. Angeblich soll die Stadt von den Römern gegründet worden sein. Das kann mit der Zeitrechnung allerdings nicht übereinstimmen. Auch soll sie Julius Cäsar besucht haben, was ich stark bezweifle, denn so viele Orte, die sich auf Julius Cäsar berufen, kann er unmöglich besucht haben; er wurde ja von seinen Kriegszügen beschlagnahmt.
 
Dennoch hatte ich Grund, Julius Cäsar dankbar zu sein, als ich das gleichnamige altmodische Kaffeehaus genau wie in Prag gegenüber der astronomischen Uhr am Ratshaus mitten im Hornì-Marktplatz betrat. Auf gut gepolsterten Sitzen sassen die Gäste und plauderten. Man sah ihnen an, dass sie dort stundenlang kleben bleiben. In Olomouc gibt es wirklich keine Hast und Hetze. Wozu auch?
 
Leider wurde die astronomische Uhr, erstmals 1519 erwähnt, während Jahrhunderten vernachlässigt. Sie überlebte knapp den Dreissigjährigen Krieg, wie Olomouc auch. Die Kommunisten hingegen haben dieses Meisterwerk der Uhrmacherkunst für immer verschandelt. Einst spielten Gruppen von mechanischen Spielpuppen an den Seitenflügeln der Uhr. Über ihnen liess ein Mönch während der Stundenschläge seinen Rosenkranz durchrasseln. Der Eremit hielt mit und zog die Glocken. Auch die Maria mit dem Christkind war zugegen, von den 3 Königen umringt. Trompetenbläser wurden zu Glockenspielern.
 
Nach dem 2. Weltkrieg, Stalins Zeit, wurden die übrig gebliebenen Figuren durch jubelnde Figuren von Sportlern, Arbeitern usf. ersetzt. Dem einstigen Erbauer dieser Uhr soll ein furchtbares Geschick beschieden gewesen sein. Damit er ja keine solche Uhr für eine andere Stadt baue, wurden ihm kurzerhand die Augen ausgestochen. Wieder draussen, schaue ich mir die Uhr nochmals an und seufze: „Na ja, so ist es.“ Ein bisschen weiter unten des Marktplatzes stört mich an der Ecke ein McDonald’s: O Graus, selbst dort, in diesem abgelegenen Teil von Tschechien, halten diese Lümmel Einzug.
 
Olomouc hat viele Wahrzeichen, worunter die kolossale Säule der Allerheiligen-Dreieinigkeit, von Säulenheiligen gemäss ihres Ranges ringsum über mehrere Stockwerke hoch getürmt und mit einer goldenen Monstranz bewipfelt. Hinzu kommt eine 2. Säule: die Pestsäule, diesmal auf dem anschliessenden Dolnì-Marktplatz.
 
Überhaupt wimmelt es nur so von Heiligen in Olomouc. Manche Brunnen jedoch sind mit Gestalten aus der Antike besiedelt, worunter Herkules, Jupiter, Merkur, Neptun usf. Vàclav Render hat viele dieser imposanten Brunnen geschaffen. Ein gläubiges Volk muss in Olomouc gelebt haben, denke ich, wie ich da und dort vor einer der vielen Kirchen aus der Renaissance bis über den Barock hinweg innehalte und einige davon betrete. Die St.-Wenzel-Kathedrale – also schon wieder ein Heiliger – ist auf der Domanhöhe und wird gegenwärtig renoviert. Dort ist ein Stück der alten Stadtmauer an einer March-Flussschlaufe erhalten geblieben.
 
„Halt“, erinnerte ich mich, als ich vom Dolnì-Marktplatz weiter schlendernd in eine Strasse einbog, „dort unten ist ein wirklicher Markt“. Die Händler räumten bereits ab. Ich erwischte gerade noch einen, der Setzzwiebeln verkaufte. Er verstand nicht auf Anhieb, dass ich bloss ein halbes Kilo davon haben wollte. Selbst so hatte ich viel zu viel für meinen Garten, es sei denn ich spate den Rasen um.
 
Es braucht keinen geschichtlichen Nachhilfeunterricht: Olomouc ist eine reiche und bedeutende Stadt gewesen und gewann ihren Aufschwung unter der Herrschaft der Luxemburger. Die Stadt wurde im 16. Jahrhundert zum Zentrum der humanistischen Bildung.
 
Im Nu war mein freier Nachmittag verflogen, und ich sputete zum Bahnhof zurück und erduldete anschliessend die lange Bahnfahrt nach Prag zurück. Dort angekommen, entfloh ich dem riesigen Bahnhof, denn dort lungert viel Gesindel herum, genau so wie beim Olomouc-Bahnhof, vor dem man sich in Acht nehmen muss.
 
Wie immer warten einem die schönsten Erlebnisse weit abseits von Flughäfen und Bahnhöfen auf. Soll ich noch mehr über Olomouc berichten? Lieber nicht, denn abseits von Touristen gefällt es mir immer am allerbesten. Vor ihnen mögen die Heiligen Olomouc schützen, mich ausgenommen.
 
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