BLOG vom: 11.04.2007
Schönschrift als Unterrichtsfach: Ein edles Handwerk stirbt
Autor: Heinz Scholz, Schopfheim D
In einer Privatschule im schottischen Edinburgh führte Schulleiter Bryan Lewis Schönschrift als Schulfach ein. Die Schüler sollen wieder mit dem Füllfederhalter umgehen lernen und diesen für Schönschriftarbeiten benutzen. Er ist der Ansicht, dass das Schreiben mit dem Füller kunstvoll und mehr Sorgfalt erfordere. Durch das Schönschreiben werden die Leistungen angekurbelt, und das Selbstwertgefühl der Schüler gesteigert.
Im Alter von 7 Jahren werden die Schüler langsam an den Füller gewöhnt. Auch die Lehrer sind gefordert, da viele nicht mit diesem Gerät richtig schreiben können. Für neue Lehrer gibt es sogar Kurse im Umgang mit dem Füller, „bevor sie auf die Schüler losgelassen werden“, wie „Spiegel online“ am 26. November 2006 berichtete. Auf Grund der modernen Unterrichtsmethoden in den 70er- und 80er-Jahren hatten die Lehrer das ordentliche Schreiben verlernt. Viele hatten im wahrsten Sinne des Worts eine Sauklaue.
Wie die Scottish Qualifications Authory, eine Koordinationsstelle für Bildung in Schottland, betont, haben nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler das schöne Schreiben in Zeiten der SMS und E-Mails verloren. Oft ist es so, dass bei Prüfungen die schludrige Handschrift von Uni-Bewerbern kaum zu entziffern ist.
Die Eltern der Schüler müssen knapp 9800 Euro im Jahr als Schulgeld berappen. Dafür bekommen Sie die Gewähr, dass ihre Sprösslinge wieder schön schreiben können. Dies kommt ihnen sicherlich bei Bewerbungen zugute. Firmen lassen nämlich oft handschriftliche Bewerbungen von Graphologen analysieren, um Rückschlüsse auf den Charakter des Bewerbers zu ziehen. Menschen mit einer Sauklaue haben kaum eine Chance. Menschen, die Bewerbungen in Druckschrift einreichen, kommen in den Verdacht, ihr fehlendes Schreibtalent zu verstecken. Also vorher unbedingt Schönschrift üben, üben und nicht klecksen, wenn der Füller benutzt wird.
USA: Schüler beherrschen die Kursivschrift nicht
Wie „Telepolis“ am 13. Oktober 2006 meldete, beherrschten nur noch 15 % der US-Schüler, die sich einem SAT-Eignungstest für eine höhere Schule unterzogen, die Kursivschrift. Die meisten lieferten ihre Arbeiten in Druckbuchstaben ab. Die „Washington Post“ orakelte bereits, dass die Handschrift bald als Kommunikationsform überholt sei.
Grund für diese Misere: In den Elementarschulen werden kaum noch die handschriftlichen Fähigkeiten gefördert. Auch die Lehrer sind nicht erbaut, den Schülern Schönschrift beizubringen. Sie sehen das Unterrichtsfach „Schönschrift“ als Relikt an. Die Handschrift ist nur noch als Unterschrift nötig. Es gebe Wichtigeres zu unterrichten, ist die Meinung vieler Lehrer an US-Schulen. In US-Kindergärten bekommen die Kleinen zuerst das Tippen auf dem Keyboard beigebracht (umso besser sind sie später bei den Computerspielen). Und was machen die Schüler? Sie machen sich vielfach ihre Notizen mit dem Laptop und ihre Hausaufgaben auf dem PC.
Die Förderung handschriftlicher Kompetenzen sollte man unbedingt frühzeitig angehen. Untersuchungen ergaben eine Steigerung der kognitiven Fähigkeiten und des Ausdrucksvermögens der Schüler.
Interessant war eine Vanderbilt-University-Studie über Schulanfänger. Konnten die Schüler anfangs nur 10 bis 12 Buchstaben in der Minute schreiben, verbesserte sich die Fähigkeit nach einem 9-wöchigen Unterricht in Handschrift (an 3 Tagen in der Woche je 15 Minuten) auf die doppelte Anzahl von Buchstaben. Die Aufsätze, die im SAT-Eignungstest in Kursivschrift vorgelegt wurden, erzielten bessere Noten.
Wunderbare alte Schriften
Historiker und Literaturwissenschaftler beklagen diese Entwicklung. Sie vermuten, dass zukünftig kaum ein Mensch noch alte Schriften lesen bzw. entziffern kann.
Wie wunderbar solche handgeschriebene Dokumente, Briefe und Bücher sind, konnte ich anlässlich des Besuches im Kloster Neustift bei Brixen (Südtirol) in der dortigen Bibliothek erfahren. Besonders beeindruckend waren für mich die religiösen Bücher aus der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks. Hier konnte man die Kunst des „Schönschreibens“ (Kalligrafie) in höchster Vollendung bewundern. Schöpfer dieser Werke waren Klosterbrüder, die viel Zeit in diese herrlichen Abschriften investierten.
Auch in den Ortsbeschreibungen sind oft alte Dokumente zur Geschichte (Stadterhebung, Ortsgründungen usw.) in Schönschrift abgebildet. Erst kürzlich entdeckte ich anlässlich einer Wanderung im Markgräflerland in der Gaststätte „Erbprinzen“ in der Hauptstrasse 32 in Auggen ein Dokument (Kopie) aus dem Jahre 1796 mit einer solchen Schönschrift. Das Dokument erlaubte dem damaligen Wirt die Schankerlaubnis und die Namensgebung. Wir konnten die Schrift ganz gut lesen.
Noch heute ist die chinesische und japanische Schriftkultur der Kalligrafie (Kalligraphie) bedeutungsvoll und inspirierend. „Wichtiger als die Lesbarkeit ist dabei die Erzielung perfekter ästhetischer Ausgewogenheit und das Sichtbarmachen von Emotionen“ (zitiert nach Wikipedia). Viele Kalligrafen verweisen auf den fast meditativen Charakter ihrer Arbeit: „Die Ruhe dieser Arbeit erfüllt das ganze Wesen mit einer umfassenden Zufriedenheit, wo Zeit und Raum, für kurze Zeit wie weggewischt, uns nicht mehr kümmern noch belasten.“ (Andreas Schenk).
Die westliche Kalligrafie (es gibt die arabische, hebräische, chinesische und japanische Kalligrafie) ist heute als Kunstform und Hobby lebendig. Vielfach können wir diese bei Urkunden, Glückwunschkarten und Plakaten bewundern.
Mehr Sorgfalt nötig!
Als ich die Berichte über das Schönschreiben las, erinnerte ich mich auch an meine Schreibkünste in der Schule. In der Grundschule mussten wir die Schönschrift üben und üben. Wer zu schludrig war, konnte zu Hause weiter üben.
Neugierig, wie ich bin, sah ich mir das alte Zeugnisheft der Volksschule und Landwirtschaftlichen Berufsschule Buchdorf (Bayern) an und wollte wissen, welche Note ich damals in „Schrift“ bekommen habe. In den Schuljahren 1949/50 bis 1951/52 erhielt ich die Note 2 („gut“ bei damals 5 Notenstufen). Nur in einem Jahr hatte ich eine 3 („befriedigend“). In diesem Jahr schrieb die Lehrerin Luise Gumpp unter der charakterlichen Würdigung Folgendes ins Zeugnis: „Ein geweckter, anständiger Schüler. In den schriftlichen Arbeiten wäre noch mehr Sorgfalt nötig.“
Andere Beurteilungen in diversen Zeugnissen lauteten: „Ein frischer, arbeitsfreudiger Bub! Aufmerksamkeit schwankend!“ oder „Ordentlich und anständig!“ Ich wusste gar nicht mehr, dass ich so frisch und arbeitsfreudig war. Heute bin ich nur noch arbeitsfreudig.
Auch in den ersten Klassen der Mittelschule Hl. Kreuz in Donauwörth war Schönschrift angesagt (Note: 2). Später waren die Fächer „Zeichnen“ und „Kurzschrift“ wichtiger, während der Religionsunterricht und das Singen einen noch höheren Stellenwert hatten.
Emil Baschnonga, Aphoristiker aus London, schrieb mir zum Thema dies: „Ja, auch ich musste das ‚Schönschreiben’ üben. Diese Schriftproben wurden ins Reinheft eingetragen und vom Lehrer eingesehen und bewertet. Leider ‚sudle’ ich heute, doch bin ich immer wieder beeindruckt, wenn ich einen schön geschriebenen Brief erhalte. Mit der E-Mail ist leider der Brauch des Schönschreibens in Vergessenheit geraten. Dem sollte entgegengesteuert werden, denn wer leserlich schreibt, denkt besser.“
Auch bei unserer Bloggerin Rita Lorenzetti-Hess aus Zürich war Schönschreiben ein Thema. Sie sieht das Schönschreiben als schönes, ordentliches Schreiben. Aber lassen wir sie selbst berichten: „Kalligrafie, als Form von hoher Schreibkunst, wurde uns in der Schule nicht vermittelt. Dafür waren die Berufsschulen für die grafischen Berufe zuständig. In der Primarschule lernten wir die so genannte Druckschrift, also die einzelnen Buchstaben, wie sie hier im Text erscheinen. Später folgte die ‚Schnüerlischrift’, wie wir im Schweizer Dialekt sagen. Die Schrift als fortlaufende Schnur. Und dort setzte dann das Schönschreiben ein, wie ich es in meiner Interpretation einordne.
Wir benutzten für die Übungen des Schönschreibens ein Heft, in dem sowohl die 3 Zonen der Schrift, wie auch die Schräglage, vorgegeben waren. Dahinein mussten wir unsere Buchstaben führen und uns selbst in das vorgegebene Muster fügen. Das verlangte Konzentration und Disziplin. Immer wieder gab es diese Lektionen, die uns Zeit liessen, uns im Schreiben zu perfektionieren.
Wir begannen zuerst mit dem Bleistift, später mit Feder und Tinte. Diese Werkzeuge liessen den persönlichen Druck, also Duktus, zu. Mit der Feder wurde es anspruchsvoller. Das Resultat unseres beschriebenen Schönschreibens wurde benotet. Im Zeugnis gab es die Rubrik ‚Schreiben’.
Meine Schulzeit begann im Frühjahr 1946. Ich lernte zuerst auf der Schiefertafel schreiben. 1947 zog meine Familie in die Stadt Zürich. Erst dort wurde ich in der Schule mit dem Bleistift bekannt.
In der Sekundarschule lernten wir zusätzlich Titel mit Tusche über unsere Aufsätze schreiben. Wir verwendeten eine starre, breite Feder und übernahmen von Vorlagen die Buchstaben in alter Manier. Den Namen dieser schlichten Schrift kenne ich nicht. In dieser katholischen Sekundarschule nannten wir sie etwas aufmüpfig ‚Kath-Sek-Gotik’.
Die 3 Zonen aus unseren Schreibheften werden in der Graphologie mit Oberzone = Geist, Mittelzone = Seele, Unterzone = Leib betrachtet. Das finde ich sehr interessant, auch dass wir angehalten wurden, alle Bereiche gleichwertig einzubeziehen. Aber sofort, als die stützenden Linien in Heften und anderer Fächer wegfielen, wurde nach und nach die Persönlichkeit der schreibenden Person sichtbar. Aber die Grundlage war für alle die gleiche. Schauen wir Handschriften an, sticht sofort ins Auge, dass niemand diese Bereiche exakt gleich und ausgewogen gewichtet. Das ist unsere Eigenart.
Für mich ist die Handschrift etwas Schönes und wie dargelegt, etwas, was die Persönlichkeit offenbart. Ich schreibe gern und fühle manchmal, wie meine Gedanken durch die Hand über eine Feder aufs Papier gelangen. Ist das nicht ein Wunder?“
Eine eindrucksvolle Ehrerbietung
Soweit Rita Lorenzetti. Auch ich freue mich immer wieder, wenn ich handschriftlich verfasste Grüsse aus dem Urlaub und Glückwünsche zu besonderen Ereignissen bekomme. Leider flattern mir immer wieder Briefe, die mit der Schreibmaschine oder dem Computer geschrieben wurden, ins Haus. Aber ich muss mich selber an die Nase fassen. Nur wenige handschriftliche Dokumente wie Geburtstags- und Weihnachtsgrüsse verlassen mein Haus.
Bevor der Computer bei mir Einzug hielt, verfasste ich meine Arbeiten immer mit einem Kugelschreiber oder Füller. Nach den eingefügten Korrekturen wurde der Text mit der Schreibmaschine (später mit der elektronischen Schreibmaschine) geschrieben und an die Redaktionen gesandt. Auch erhielt ich immer wieder Leserzuschriften, die meistens in gut leserlicher und schöner Schrift gehalten wurden. Einige waren schwer zu entziffern. Die Schreiber solcher Unleserlichkeiten entschuldigten sich wegen ihrer „Sauklaue“.
Eine besondere Zuschrift erhielt ich von Frau Rita K. aus München. Das Anliegen, es ging um Fragen zu Mineralstoffen, war in schöner Schrift auf blaues Papier mit weissen Wolken geschrieben. Später kamen immer mehr Briefe mit Schreibmaschinenschrift und heute in Zeiten der „Schneckenpost“ die schnellen E-Mails.
Es ist nicht verkehrt, wenn wir heute im Computerzeitalter hier und da unsere Handschrift aufblitzen lassen. Und wer ein mangelndes Handschreibtalent hat, kann ja üben. Es ist heute schon etwas Besonderes bzw. eine Rarität, wenn ein handgeschriebener Brief ins Haus flattert.
„Schöne Schriften sind einfach etwas Ästhetisches und für mich auch würdige Geschenke an sich“, bemerkt „absia“ in einem Forum unter www.penexchange.de
Unter dieser Internet-Adresse sind auch die Ergebnisse einer Umfrage nachzulesen. 46 % sind mit ihrer Handschrift zufrieden, 12 % beurteilen ihre Handschrift als nicht so schön und 40 % sind mit ihrer Handschrift unzufrieden und möchten etwas dagegen tun.
Auch Walter Hess ist der Überzeugung, dass man die Handschrift im Computer-Zeitalter weiterpflegen sollte. „Auch bei mit dem Computer geschriebenen und ausgedruckten Briefen sollte man einige handschriftliche Notizen einfügen, neben der Unterschrift zum Beispiel die Anrede und vielleicht noch ein Postskriptum. Ich habe das an einem Briefschreibekurs für Bankangestellte sehr betont. Ein handgeschriebener Brief ist heute eine eindrucksvolle Ehrerbietung.“
Internet
www.penexchange.de („Eine kultivierte Handschrift“, Forum mit Leserzuschriften)
http.//de.wikipedia.org/wiki/kalligrafie (Infos zur Kalligrafie)
Google-Suchmaschine: Suchbegriffe: „Schöne Handschrift“
Hinweis auf weitere Blogs zur Handschrift
29.05.2006: Individualität: Hochwertiges Papier adelt die HandschriftHinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
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