BLOG vom: 14.04.2007
Näfelserfahrt: Schlachten gegen Habsburger und Wildwasser
Autor: Walter Hess, Biberstein CH
1388 fand die Schlacht bei Näfels statt, und seither wird jedes Jahr die Näfelser Fahrt (eine Wallfahrt) durchgeführt, eine von einer Prozession umrahmte Totengedenkfeier zu Ehren der Gefallenen, welche die angriffigen Habsburger zurückgeschlagen hatten.
Die Habsburger waren nicht eben zimperlich, wenn es darum ging, aufmüpfige Bergbauern und andere Eidgenossen zu unterjochen. Deshalb gehört es in der Schweiz zum schulischen Geschichtswissen, dass diese machtgierigen Gesellen von den alten Eidgenossen, unseren Altvorderen also, eins ums andere Mal eins auf den Deckel (Helm) bekamen, was unseren schweizerischen Nationalstolz genährt hat: In der Schlacht am Morgarten (1315) wurde das habsburgisch-österreichische Heer aus dem Hinterhalt mit Hilfe von Baumstämmen vernichtet, sozusagen war es eine Lawine aus Holz und wohl auch aus Steinbrocken (so habe ich es jedenfalls gelernt, und mag man das alles noch so sehr in den Bereich des Mythischen verweisen, ich behandle den Fall weiterhin als historischen Tatbestand). Heute würde man natürlich von Terrorismus sprechen, wenn sich Menschen, die sich ohne teure Waffenarsenale, dafür mit etwas Grütz im Kopf, gegen schwer bewaffnete Krieger wehren. Die alten Eidgenossen in ihren Hirtenhemden, mit denen wir uns gern solidarisieren, gewannen auch die Schlacht bei Laupen BE (1339), die Schlacht bei Sempach LU (1386) und dann eben die Schlacht bei Näfels – und schliesslich (1403) die Schlacht bei Vögelinsegg und 2 Jahre später auch noch die Schlacht am Stoss AR. Als Schüler war ich froh, dass da nicht noch mehr Daten über Heldentaten gegen die Habsburger Übermacht zusammenkamen, die wir auswendig lernen mussten. Heute haben wir Schweizer den Roger Federer, der für uns Sieg um Sieg einheimst, und ich weiss nicht, ob die Schüler alle seine gewonnenen Tennisturniere kennen lernen müssen. Die Fans können jetzt an seiner Briefmarke lecken.
Zum Gedenken an den Sieg
Da ich nach der Besichtigung der Linthebene schon lange den aus dem Glarnerland zum Walensee führenden Escher-Kanal besichtigen wollte, dachte ich, dieses Dokument der Schlacht gegen die Natur könnte gleich mit einem Besuch der Näfelser Schlachtfeier verbunden werden. Bemerkenswerterweise aber war es mir nicht möglich, im Internet das Schlachtfeierprogramm 2007 zu orten, nicht einmal auf der offiziellen Webseite der Gemeinde Näfels (www.naefels.ch). Dabei wäre es im Amtsblatt des Kantons Glarus vom 4. April 2007 zu lesen gewesen – unter „Fahrtsfeier 2007“; dieser Begriff fiel mir bei meiner Suchaktion nicht ein. Das Amtsblatt berichtete gleich vor den „Vorschriften über den Auftrieb von Vieh auf Weiden und Alpen im Kanton Glarus für das Jahr 2007“ über das bevorstehende Schlachtfeier-Getöse.
Ich reiste also am Donnerstagmorgen, 12. April 2007, auf gut Glück los, um mein Interesse an der Habsburgergeschichte (Blog vom 10.4.2007: Vom Schloss Wildegg zur Habsburg, vorbei an Bohnerz u.a.) und an Kanalbauten (Blog vom 19.3.2007: Aspekte der Geradlinigkeit: Linthebene und Linthkanal heute) in einem Kombiausflug zusammenzufassen. Etwas vor 10 Uhr traf ich in Näfels ein, wo ein grosser Jahrmarktbetrieb herrschte; da wurden sogar aus Holz geschnitzte Schwerter und Hellebarden in Kindergrösse verkauft. Die vorangegangene Prozession zu den Brennpunkten der Gefechte hatte ich verpasst, was ich seelisch problemlos zu verkraften verstand. Ich sprach mit einer freundlichen Näfelserin, welcher das ortskundliche Wissen ins ausdrucksstarke Gesicht geschrieben war. Sie wies mir den Weg zum Fahrtsplatz hinauf, der nicht zu verfehlen war, denn dort intonierten die Harmoniemusik Näfels und der Glarner Kantonal Gesang Verein gerade „Grosser Gott“. Den Rahmen bildete ein Publikum auf Holzbänken, das diesmal des schönen Wetters wegen (und vielleicht auch wegen der in der Schweiz wieder erwachten Heimatliebe) wesentlich grösser als üblich war, wie ich von einem Eingeborenen erfuhr. Häufig sei es am 1. oder 2. April-Donnerstag noch kalt gewesen; also war das ein Resultat der Klimaerwärmung, die bis ins Glarnerland vorgedrungen ist.
Dann verlas der Ratssekretär Josef Schwitter auf einer schönen Kanzel mit samtenem, purpurfarbenem Himmel vor einem stattlichen Publikum, das von Soldaten im Kampfanzug und mit Sturmgewehr bewacht wurde, den Fahrtsbrief im alten Glarner Hochdeutsch – ein sprachlicher Genuss, der dem „almächtigen Got, siner lieben mutter Marien und den hochgelobten himelfürsten Santi Fridli und Sant Hilari, unsern getrüwen lieben Nothelffern“ die Ehre erweist. Die Flaggen der alten Orte, die den Glarnern bei ihrem Freiheitskampf Unterstützung geboten hatten, zierten die Feierstunden, eine Jahrhunderte dauernde Freundschaft wurde 1388 erneut besiegelt. Auch die „abgestorbenen christgläubigen Seelen“, die in der Mordnacht von Weesen und in der Schlacht von Näfels umgebracht wurden oder umkamen, sind nach Herkunftsort bekannt gegeben worden, unter vielen anderen der „Ruedi unterem Birenbaum“, ein bildkräftiger Name, der mir besonders auffiel.
Der Freiheitsbegriff
Anschliessend sprach der Weihbischof von Chur, Dr. Paul Vollmar, aus gegebenem Anlass zum Thema Freiheit. Diese Freiheit präge die Lebensgeschichte von Anfang an; insbesondere junge Menschen seien auf Freiheit aus, sagte der hohe Würdenträger, der Begriff sei ein Leitwort unseres Lebens. Er war von einem Kaplan oder Bodyguard eskortiert; ich kann mich da nicht festlegen, was den treffenden Ausdruck anbelangt. Doch sei damit, mit dem Wort Freiheit eben, oft auch Etikettenschwindel verbunden. Das Wort diene manchmal zur Tarnung von Willkür und Eigennutz. Dann trat der Oberhirte dem Bestreben von immer mehr modernen Menschen nach Freiheit von der Religion und von Gott mit wohlgesetzten Worten entgegen. Wer sich nur selbst produzieren wolle, gerate in die Tyrannei seiner eigenen Leistung und damit auf den Abweg. Die Freiheit ohne Einbindung führte zur Ausbeutung. Meines Erachtens ist auch der andere Fall möglich; aber da hatte ich nichts zu sagen. Nur jener werde den Gefahren entgegentreten können, der in Freiheit Bindungen eingehe, lautete die Fazit.
Unter dem Publikum befanden sich viele Pfarrherren im Ornat und Kapuziner bzw. Franziskaner (1986 haben die Kapuziner das Kloster Näfels an die Franziskaner abgetreten). Sie waren auf einer eigenen Holzbank aufgereiht, die gar nicht so recht zu den prachtvollen Pontifikalgewändern passen wollte. Die Sonne brannte ihnen aufs Gesicht, was in einer kühlen Kirche nicht passieren kann. Einige von ihnen nickten ein; vielleicht waren sie auch nur in eine tiefe Meditation versunken. Und zum Schluss der Feier auf dem Fahrtsplatz sangen die Sängerinnen und Sänger „Juchzet Gott“. Der Festzug mit dem „Rösslispiel“, wie die Eingeborenen zu den politischen und kirchlichen Oberen sagen, zog zum Schlachtdenkmal und schliesslich zur Pfarrkirche weiter. In der Pfarrkirche fand ein Hochamt mit der Schubert-Messe in G-dur für Soli, Chor und Orchester statt, wie aus dem Programm hervorgeht.
Beinahe erhielt man das Gefühl, dass es die Kirche gewesen war, welche damals die Habsburger aus dem Ländchen vertrieben habe. Nach lokaler Auffassung war zweifellos die Hilfe des lieben Gottes dabei, der bekanntlich immer auf eidgenössischer Seite stand. Das lange anhaltende Glockengeläute wies ebenfalls mit aller Deutlichkeit darauf hin. Und die katholische Religion hat es schon immer verstanden, sich auffällig in Position zu setzen; jeder Event-Veranstalter kann davon nur lernen. Und auch vor Schlachten und Kreuzzügen schreckte das Christentum, laut Karlheinz Deschner „die faktisch kriegerischste Religion", nie zurück.
Auf welcher Seite steht oder sitzt denn Gott eigentlich? Die Glarner Regionalzeitung „Fridolin“, die zweimal wöchentlich in Schwanden erscheint, schrieb in der Ausgabe vom 11. April 2007 unter dem Titel „Sind Schlachtfeiern noch aktuell?“ mutig relativierend auf der Frontseite: „Auch die Österreicher – sie stammten damals aus den heute schweizerischen Kantonen wie dem Aargau und dem Thurgau – sind zweifellos unter Anrufung Gottes in den Kampf gezogen und wohl ebenfalls mit einem Gebet auf den Lippen gestorben, so dass ihnen Gott mit Recht gnädig und barmherzig sein durfte“ (Autor: Jann Etter).
Im Freulerpalast
Um 12 Uhr öffnete der Freulerpalast sein mit Schnitzwerk versehenes Hauptportal, das fast zu einem Triumphbogen geworden ist. Dies war das Haus des Gardeobersten Kaspar Freuler (1595–1651). Hier findet zwischen dem 1. April und dem 30. November 2007 die Jubiläumsausstellung „200 Jahre Linthkorrektion 1807–2007“ bei freiem Eintritt statt. Ich hatte mich gerade an der Fassade des Hauses mit Haupt- und Nebenflügel (für Bedienstete) sattgesehen: Eckquader, gequaderte Gurtbänder, Fenster mit dekorativ bemalten Läden und ein durchgehendes Dachgesims haben sich harmonisch vereint. Es ist eine Mischung aus einheimischer und italienischer Baukunst, aus einem gotischen Giebel- und Erkerhaus und einem Palast, wie ihn die Renaissance geboren hat, wenn sie in guter Laune war.
Von 1635 bis zu seinem Tode befehligte Freuler das Garderegiment der französischen Krone, ein offensichtlich ausserordentlich einträgliches Geschäft. Die Erklärung dafür liegt darin, dass der Kriegsherr Freuler ein selbstständiger Militärunternehmer war, der seine Kompanie selber anwarb, besoldete und diese dem französischen König für eine feste Summe zur Verfügung stellte. In den Jahren 1642 bis 1647 liess er sich mit dem Überschuss aus Aufwand und Ertrag (wohl von dem, was er einnahm und nicht an seine Soldaten weitergab) im heimatlichen Näfels seinen überdimensionierten Wohnsitz errichten, der zu den schönsten und baulich interessantesten Profanbauten der Schweiz aus dem 17. Jahrhundert gezählt wird. Berühmt sind auch dessen Innereien: die pracht- ja prunkvollen Täferzimmer, die Kassettendecken und Kachelöfen, die ganze Bildergeschichten erzählen. Die Sala terrena (ebenerdiger Saal) mit den überquellenden, vergoldeten Stukkaturen am Gewölbe mit Akanthusranken und wo auch die Figur der Weisheit auszumachen ist, zeugt von der Lust am Gestalten, Verschönern und an der Symbolik. Man wird von dieser Ausschmückungs-Hypertrophie im Innern förmlich erschlagen. Dass darin auch eine Sennhütte mit Kopfsteinpflästerung und Ablaufrinnen anzutreffen sein würde, erwartet kein Mensch. Auch ausgestopfte Älper tragen zum Eindruck des Lebensechten bei.
Es lohnt sich schon, dieses opulent ausstaffierte Haus mit dem Museum des Landes Glarus zu besuchen und sich seine Gedanken zu machen. Ein wunderschönes, werbewirksames Plakat mit dem gebogenen Damm des Molliser-Kanals vor der Bergwelt, ein Ausschnitt aus einem offenbar futuristischen Panoramabild, angeblich von 1816 von Hans Conrad Escher höchstpersönlich gezeichnet und signiert, verlockt zur Ausstellungsbesichtigung. So prächtig wie auf dem Bild war sein trostloser Kanal wohl nie. Eine vom fotografischen Standpunkt her eindrückliche 3-D-Schau zeigt den Weg der Linth und die Geschichte ihrer Bändigung. Und den Rest besorgt die Sonderausstellung.
Die Linth-Geschichte
Im Zentrum der reichhaltig dokumentierten Schau stehen die ehemalige Versumpfung der Linthebene im 18. Jahrhundert und die Erbauung der Linthkanäle von 1807 bis 1823. Die Leiter jenes Unternehmens, die den Traum von einer kanalisierten Welt träumten, werden gebührend gewürdigt, unter ihnen neben Escher der Oberingenieur Johann Gottfried Tulla (1770–1828) und der Ingenieur Andreas Lanz (1740–1803). Es wird sogar jener Männer gedacht, die in mühseliger Handarbeit mit einfachen Werkzeugen die Landschaft grossräumig verändert haben, was sonst in der Regel vergessen wird. Auch der Weiterausbau der Kanäle nach 1840, die Melioration der Linthebene von 1941 bis 1964 und die vielfältigen Auswirkungen dieses Wasserbauwerks gelangen unter positiver Betrachtungsweise zur Darstellung, denn am Escher-Retter-Mythos darf nicht gerüttelt werden. Schliesslich hat er eine Grosstat vollbracht. Inzwischen sind die Kanäle baulich gealtert, und man weiss nicht, wie viele Hochwasser sie noch aushalten werden. Das vorliegende Projekt „Hochwasserschutz Linth 2000“ bildet den Übergang zu Gegenwart und Zukunft des Linthwerks. Damit sind viele Vorschläge für ökologische Verbesserungen verbunden, die vor 200 Jahren noch kein Thema waren. Damals gab es noch kaum Natur-Defizite.
Dieses karge Glarnerland zwischen stotzigen Bergen mit den schroffen Felswänden und deren Urgewalten hat einen besonderen Menschenschlag hervorgebracht. Weitere Ausstellungen im Freulerpalast über den Glarner Textildruck und die Arbeits- und Lebensbedingungen in früheren Jahrhunderten machen den ständigen Überlebenskampf augenfällig.
Beim Escherkanal
Der Escherkanal (vormals: Molliserkanal), der seit 1811 die Linth von Näfels/Mollis im Kanton Glarus in den Walensee führt, gehört zu den Relikten der Kämpfe dieser kampferprobten Gegend. Zuvor hatte die Linth den Walensee rechts liegen gelassen. Ich folgte nach den entsprechenden Lektionen im Freulerpalast diesem schnurgeraden, und an sich wenig reizvollen Kanal in Gottes freier Natur bis zur Einmündung in den Walensee (Gebiet Gäsi), wo eine Massenansammlung von Brücken den markanten technischen Abschluss bildet: 2 Autobahnbrücken (A3 Zürich–Chur), 1 Eisenbahnbrücke und 1alte Eisenbahnbrücke überqueren den Escherkanal auf engem Raum. An diesem Kanal sind verschiedene Aufweitungen (1 km bei 6,5 km Länge) vorgesehen, welche bei Hochwasser die Lage entschärfen und ganz allgemein den Reiz dieser Landschaft erhöhen würden. Man käme dem ursprünglichen Flusslauftyp mit seinen Mäandern dadurch wieder etwas näher, auch wenn dieser andere Wege gesucht hatte.
Im Bereich der Einmündung der zum Escherkanal gewordenen Linth in den Walensee ist ein ganzer Berg von Geschiebe aufgetürmt worden, der mir als willkommener Aussichtspunkt diente. Man sieht von dort oben auch die Strassengalerie, bevor die Autobahn vollständig im steilen Fels des Kerenzer Bergs (im Weisswandtunnel) verschwindet. Zudem ist dort eine Wasserstandsanzeige im Massstab 1:1 vorhanden, welche die natürlichen und künstlich herbeigeführten massiven Pegelstandsschwankungen eindrücklich vor Augen führt.
Damit war auch mein Kanalbedarf gedeckt. Nördlich des unteren Teils des Escherkanals befindet sich im Gebiet mit dem vertrauten, anheimelnden Namen Morgärtli (Flechsen, Gäsitschachen) ein topfebenes Landwirtschaftsgebiet. Noch nie habe ich so viele Kühe auf der Weide gesehen wie genau hier. Nach der Besichtigung des Escherkanals tat dieser Beweis von wiedererwachter Naturverbundenheit gut.
Das Glarner Wappenkäsli, das ich auf dem Jahrmarkt in Näfels gekauft hatte, freute mich umso mehr, weil ich annehme, dass die Milch dafür dem Euter von glücklichen Kühen abgezapft worden ist.
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